Die Kohle geht - die Lasten bleiben
17. Dezember 2018Wenn vor Weihnachten der "Deckel auf den Pütt" des Bergwerks Ibbenbüren und der Zeche Prosper Haniel in Bottrop kommt, dann endet ein bedeutendes Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte. Mit der Schließung der letzten beiden verbliebenen Zechen verabschiedet sich Deutschland vom Steinkohlenbergbau. In den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg förderten über 600.000 Kumpel Kohle zu Tage. Nun ist auch für die letzten 3500 Schicht im Schacht. Was bleibt, das sind die Spuren, die der Bergbau hinterlassen hat. Sogenannte Ewigkeitslasten, die jährlich über 220 Millionen Euro kosten. Diese Aufgabe fällt im Rahmen des sogenannten Nachbergbaus der RAG-Stiftung zu.
Die Stiftung wurde im Juni 2007 mit einem Grundkapital von zwei Millionen Euro gegründet, um die Abwicklung des von Subventionen getragenen deutschen Steinkohlebergbaus zu sichern. Der für die Kohleförderung verantwortliche Konzern RAG (ehemals Ruhrkohle AG) ist heute eine 100-prozentige Tochter der RAG-Stiftung.
Seit Mai amtiert Bernd Tönjes als Vorstandsvorsitzender der RAG-Stiftung mit Sitz auf dem Gelände des Weltkulturerbes Zeche Zollverein in Essen. Für Tönjes, der zuvor lange Jahre Chef des Zechenkonzerns RAG war, ist wenigstens eines tröstlich: "dass man diesen Weg sozial verträglich, ohne betriebsbedingte Kündigungen, ohne soziale Umbrüche in den Regionen beschreiten kann." Ungeachtet dessen muss die RAG-Stiftung vom kommenden Jahr an viel Geld in die Hand nehmen, um drohende Folgeschäden abzuwenden. Damit Regionen um ehemalige Zechen sprichwörtlich nicht absaufen, muss das Grubenwasser in den Schachtanlagen kontinuierlich abgepumpt werden. Hinzu kommen die Polderwasserhaltung über Tage sowie die Reinigung von Grundwasser.
18 Milliarden Euro auf der hohen Kante
Im Jahr 2007, als das Aus für die Steinkohle beschlossen wurde, veranschlagte man diese Ewigkeitskosten auf jährlich rund 220 Millionen Euro. Doch durch Preiseffekte in den vergangenen Jahren geht Tönjes davon aus, "dass sich die Kosten erhöhe". Ob möglicherweise auf bis zu 250 Millionen Euro, das kann der RAG-Stiftungschef derzeit noch nicht genau beziffern. Doch finanziell ist die Stiftung in der Lage, diese Aufgabe zu stemmen.
Als Mehrheitsaktionär des prosperierenden Chemiekonzerns Evonik verfüge man über ein ausreichendes Finanzpolster, bekräftigt Tönjes. "Wir gehen von 18 Milliarden Euro aus, die wir auf der hohen Kante haben." Allein in diesem Jahr überwies Evonik über 360 Millionen Euro an Dividende an die Stiftung. Mit der Platzierung von 16,3 Millionen neuen Evonik-Aktien sowie einer Anleihe nahm die RAG-Stiftung in diesem Jahr zusätzlich eine Milliarde Euro ein. "Von den Erträgen, die dieses Vermögen erwirtschaftet, können wir die Beiträge für den Nachbergbau ab 2019 sicher erbringen", ist Bernd Tönjes überzeugt. Ihm liegt auch viel daran deutlich zu machen, dass der Steuerzahler für die Ewigkeitskosten mit keinem Cent zur Kasse gebeten wird.
Ziel: Industrieholding
Derzeit besitzt die RAG-Stiftung 64,3 Prozent an Evonik-Aktien. Das Unternehmen Evonik entstand im selben Jahr wie die RAG-Stiftung, nämlich 2007. Hier wurde der sogenannte "weiße Bereich" des Kohlekonzerns RAG gebündelt. Auch wenn in der Stiftungs-Satzung das Ziel steht, den Anteil an Evonik auf 25,1 Prozent zu reduzieren, so besteht für Bernd Tönjes dennoch kein Anlass, sich von weiteren Anteilen zu trennen. Man wolle auf absehbare Zeit weiter Mehrheitsaktionär bleiben. Schließlich sei man überzeugt, dass die Strategie des neuen Evonik-Vorstandes "sehr profitabel ausgerichtet ist und wir sicher von einer Rendite ausgehen können, die den Vorstellungen der RAG-Stiftung auch genügt."
Darüber hinaus ist man bestrebt, über die RAG-Stiftung Beteiligungsgesellschaft langfristig weitere Erträge zu erzielen. Und zwar durch die Beteiligung an nachhaltig erfolgreichen Unternehmen zumeist aus dem mittelständischen Bereich. Die Zielsetzung lautet: Aufbau einer unternehmerisch geführten Industrieholding. Oder wie es Bernd Tönjes formuliert: "Wir akquirieren Firmen, die beispielsweise ein Nachfolgeproblem haben, wo der Eigentümer ein Interesse daran hat, dass er ein Fortführungsmodell für sein Unternehmen auch umsetzen kann. Da sind wir der richtige Partner, da wir langfristig investiert bleiben wollen."
Den Strukturwandel voranbringen
Bislang standen dabei global agierende Maschinenbau-, Automatisierungs- und Industriedienstleistungsunternehmen im Vordergrund. Aber man scheut sich auch nicht, in Unternehmen ohne Bezug zur Technik zu investieren, wenn diese großes Wachstumspotenzial versprechen. Darum stieg man mit mehr als zehn Prozent bei dem in Europa führenden Online-Fachhandel für Tierbedarf Zooplus ein. Im Rahmen der Diversifizierung ist die Stiftung außerdem Großaktionär des Wohnungskonzerns Vivawest, der mit rund 120.000 Wohnungen zu den Branchen-Größen in Deutschland gehört.
Die Stiftung benötigt schließlich Geld auf lange Sicht. Nicht nur zur Finanzierung der sogenannten Ewigkeitsaufgaben des Bergbaus. In der Pflicht sieht sich Vorstandschef Tönjes nämlich auch bei der Gestaltung der Zukunft der Bergbauregionen. Das Ruhrgebiet, sagt er etwa, sei mit über 270.000 Studenten eine Chancenregion. "Unser Anliegen muss es darum sein, möglichst viele von diesen Talenten in dieser Region zu halten, um neue Unternehmen und damit Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft in die Region zu bringen."
Als Beitrag zum Strukturwandel macht die Stiftung darum auch für die Förderung von Bildung und Kultur beträchtliche Millionenbeträge locker. Der Steinkohlenbergbau ist Geschichte, doch dessen Aufarbeitung gibt es nicht zum Nulltarif.