RAF, NSU, IS - ein Vergleich
22. Februar 2018"Bekommen wir jetzt eine braune RAF?", fragten sich manche Politiker und Medien, als im November 2011 der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) aufflog. Die Frage schien auf den ersten Blick plausibel zu sein, denn das Ziel der rechtsextremistischen Terrorgruppe deckte sich mit dem der Roten Armee Fraktion (RAF): Beide wollten mit hemmungsloser Gewalt eine andere Gesellschaftsordnung erzwingen. So verschieden ihre Ideologie war - rassistisch die einen, marxistisch verbrämt die anderen - so ähnlich waren ihre Methoden: Raubüberfälle, Bomben- und Brandanschläge, Morde.
Aber lassen sich RAF und NSU überhaupt vergleichen? Und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zum Islamischen Staat (IS)? Drei Experten wagten auf Einladung der CDU-nahen Adenauer-Stiftung in Berlin einen Versuch. Clemens Binninger leitete zuletzt den zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, Butz Peters hat mehrere Bestseller über die RAF geschrieben und Peter Neumann vom Londoner King's College gilt als einer der besten IS-Kenner.
Binninger: "Die Sicherheitsbehörden waren betriebsblind"
Die Experten war sich schnell einig, welcher Voraussetzungen es für Terrorgruppen jeglicher Couleur bedarf: charismatischer Anführer und großer Netzwerke. Zwei wichtige Faktoren, ohne die ein jahrelanges Leben im Untergrund kaum vorstellbar ist. Das NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos war 1998 abgetaucht und blieb bis zu seiner Selbstenttarnung 2011 unentdeckt. Was auch und vor allem daran lag, dass die Sicherheitsbehörden keinen Zusammenhang zwischen den Untergetauchten und neun mit derselben Waffe erschossenen Migranten erkannten.
"Die Sicherheitsbehörden waren auf dem rechten Auge nicht blind, aber sie waren betriebsblind", sagte NSU-Fachmann Binninger zum Versagen von Polizei und Verfassungsschutz. Man habe gesagt, das könne kein Terrorismus sein, weil es keine Bekennerschreiben gebe. In der Tat ist das der gravierendste Unterschied zur RAF und zum IS. Die Linksterroristen, die ihren Kampf gegen das verhasste System 1998 nach 28 Jahren einstellten, brüsteten sich mit dem Tod ihrer Opfer, wie dem 1977 entführten und nach sechs Wochen Gefangenschaft erschossenen Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer.
NSU: Angst und Schrecken auch ohne Bekenner-Videos
Beim militärisch zwar weitgehend besiegten, aber in Form von Attentaten immer noch aktiven IS gehört es zum Repertoire, Bilder von enthaupteten Opfern wie Trophäen im Internet zu präsentieren. Was die Dschihadisten heute mit wenigen Klicks ins Netz stellen, verschickte die RAF auf dem Postweg: Bekenner-Videos. Einzig der NSU bekannte sich erst nach seinem Auffliegen zu seinen Taten. Das Ziel, insbesondere türkischstämmige Menschen in Deutschland massiv zu verunsichern, wurde teilweise trotzdem erreicht. Denn anders als Sicherheitskreise und Medien, vermuteten Opfer-Familien schon früh einen rechtsextremistischen Hintergrund.
RAF-Spezialist Peters erwähnte auf der Berliner Veranstaltung ein bemerkenswertes Detail: Als die Rote Armee Fraktion 1998 ihre Selbstauflösung bekanntgab, gingen die NSU-Terroristen in den Untergrund. Im Bericht des Verfassungsschutzes für dasselbe Jahr gebe es zwar einen Hinweis auf drei in Jena untergetauchte Rechtsextremisten, aber auch eine "falsche These". Die handelte davon, dass der Rechtsterrorismus keine Gefahr darstelle.
Wie aber kann es zu derart gravierenden Fehleinschätzungen kommen und wie ließen sich terroristische Tendenzen besser erkennen? Eine pauschale Antwort darauf hatte auch IS-Spezialist Neumann nicht. Mit Blick auf Anis Amris Berliner Weihnachtsmarkt-Attentat sprach er von einem grundsätzlichen "Analyse-Fehler" der Sicherheitsbehörden. Die hätten Amri wegen seines Drogenhandels mehr für einen Kleinkriminellen gehalten als einen potenziellen Attentäter. Dabei gab es handfeste Hinweise darauf, dass er einen Anschlag vorbereitete.
Anis Amri hätte "locker" abgeschoben werden können
Es müsse für Sicherheitsbehörden ein "Alarm-Zeichen" sein, wenn jemand in den Untergrund gehe, sagte NSU-Experte Binninger. Die Rechtsterroristen Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos lebten unter falschen Namen unbehelligt in Sachsen, während der islamistische Attentäter Amri mit mehreren falschen Identitäten ständig quer durchs Land reiste. Dennoch hätte einer wie Amri entdeckt und gefasst werden können - davon ist Binninger überzeugt. Mehr noch: "Das Zusammenführen von Erkenntnissen des Staatsschutzes und lokale Ermittlungen hätte locker gereicht, um ihn abzuschieben."
Amri wurde nämlich im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum des Bundes und der 16 Bundesländer (GTAZ) als sogenannter Gefährder geführt. Er hätte sogar in Abschiebe-Gewahrsam genommen werden können, blieb aber auf freiem Fuß. Es herrschte "organisierte Verantwortungslosigkeit" kritisierte Binninger. Ein Befund, den er auch auf den NSU bezog. Eine bessere Terror-Abwehr mahnte IS-Experte Neumann angesichts der gewaltbereiten Salafisten-Szene an. Defizite beim Informationsaustausch sieht er sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene. "Der Fall Amri hat das gezeigt." Er ist fest davon überzeugt, "dass es auch noch in fünf Jahren dschihadistische Bedrohungen geben wird".