Rückeroberung von Aleppo als Wendepunkt?
16. Juli 2014Syriens früheres Handelszentrum Aleppo wurde zum Ziel der bisher heftigsten Luftangriffe des Konflikts. Sogenannte Fassbomben der Regierung, Ölbehälter, die mit hunderten Kilo Sprengstoff und Metallstücken gefüllt sind, haben in diesem Jahr schon tausende Menschen in den von Rebellen kontrollierten Gebieten getötet.
Die Angst vor einer Belagerung durch die Regierungstruppen ist in Aleppo gewachsen, seit die Armee in den vergangenen zwei Wochen erheblich vorrücken und das Industriegebiet Sheikh Naijar im Nordosten einnehmen konnte.
Die Bemühungen der Armee konzentrieren sich darauf, Handarat einzunehmen, ein Areal in der unmittelbaren Nähe von Aleppos zentralem Gefängnis. Dann könnte die Regierung schätzungsweise 300.000 Zivilisten kontrollieren, die sich noch in der Stadt befinden und die wichtigste Versorgungsroute der Rebellen ins Umland blockieren.
Der Vorstoß kommt nach mehreren Monaten, in denen sich die Regierungstruppen von Präsident Baschar al-Assad langsam vorgearbeitet haben. Seit die Kämpfe in Aleppo Mitte 2012 begannen, hat die Regierung es nicht geschafft, die Rebellen aus der Stadt zu drängen.
Politischer Preis
Eine Rückeroberung von Aleppo durch die Regierungstruppen wäre ein Wendepunkt im Syrien-Konflikt, sagt Yezid Sayigh vom Carnegie Middle East Centre in Beirut. "Sie wäre ein schwerer Schlag, was die Moral und die Politik angeht", erklärt er im DW-Gespräch. "Eine Rückeroberung von Aleppo würde symbolisieren, dass das Regime fähig ist, das Blatt zu wenden. Das wäre kein militärischer Hauptpreis, aber dafür ein politischer."
Sayigh hält es für wahrscheinlich, dass Regierungstruppen die Stadt umzingeln würden: "Denn das wäre eine relativ einfache Aufgabe. Die Soldaten gehen vielleicht nicht rein, aber sie werden die Stadt belagern, aushungern und bombardieren. Aber einen Ort mit etwa 300.000 Menschen einzunehmen, wird nicht so einfach sein."
Vorbereitung für die Belagerung
In Aleppo bereiten sich die Ärzte auf das Schlimmste vor. "Die Situation ist furchtbar", sagte ein Mediziner, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte. "Für den Moment gibt es genug Medikamente, aber wir arbeiten daran, noch mehr Vorräte anzulegen, damit wir so lange wie möglich genug haben. Das gilt auch für Nahrungsmittel. Wir müssen versuchen, etwas für unser Land zu tun."
Ein weiterer Mediziner fügte hinzu, dass es nicht mehr als 20 Ärzte vor Ort gebe. Vor dem Krieg seien es 6000 gewesen. Er sei besorgt über die Fassbomben, die vor kurzem auch über einige der letzten noch funktionierenden Krankenhäuser abgeworfen wurden.
"Wir haben genug medizinische Vorräte für einen Monat", sagt Muhammed, der Medizinartikel in Aleppo liefert. "Aber wir brauchen dringend Verbände und Schienen sowie Narkosemittel."
Ist die Revolution vorbei?
Obwohl die Situation in Aleppo immer kritischer wird, erklärte Oubai Shahbandar, ein Sprecher der Syrischen Nationalen Koalition, dass die Opposition bis zum Ende kämpfen werde. "Das Assad-Regime ist bei dem Versuch, Aleppo zu umzingeln, von iranischen Streitkräften und Hisbollah-Milizen abhängig", sagte er im DW-Gespräch. "Die Streitkräfte der syrischen Revolution kämpfen mit allem, was sie haben, um die Bewohner von Aleppo und der Umgebung zu beschützen. Eine Revolution können Assads Panzer nicht zerstören."
Anas Al-Haj vom Revolutionären Militärrat in Aleppo betonte, dass die Opposition nicht nur mit Regierungsstreitkräften zu kämpfen habe, sondern auch mit denen des Islamischen Staates (ehemals ISIS), die sich vor kurzem in die Umgebung Aleppos vorgekämpft haben: "Wir haben das Regime auf der einen und ISIS auf der anderen Seite." Doch die Rebellengruppen arbeiteten immer strukturierter und würden durch eine 600-Mann-starke Elitetruppe unterstützt, so Al-Haj. "Das Problem ist, dass wir keine Soldaten sehen, weil der ganze Kampf in der Luft stattfindet - Fassbomben über Fassbomben", fügte er hinzu.
"Unschuldige Menschen versuchen, die Stadt zu verlassen, aber die Armen können das nicht, weil sie kein Geld haben, um in die Türkei oder ins Umland zu kommen", so Al-Haj. "Aber selbst wenn das Regime eine Belagerung beginnt, wird Assad nicht tun können, was er will. Denn wir sind fähig, sie zu durchbrechen und werden unser Bestes tun."
Doch der Politik-Experte Sayigh ist skeptisch: "Ich glaube, die Rebellen können nicht gewinnen", sagte er. "Das heißt nicht, dass die Menschen sich nicht wehren und kämpfen. Aber als politische Struktur mit Erfolgen auf dem Schlachtfeld haben die Rebellen ihren Höhepunkt schon hinter sich. Ich glaube nicht, dass sie etwas erreichen können."