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Rückenwind für deutsche Rüstungsindustrie?

31. März 2024

Panzer, Munition und Raketen sind gefragte Güter. Nicht nur Kanzler Olaf Scholz möchte, dass mehr davon in Deutschland produziert wird. Doch so einfach ist das nicht.

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Bundeskanzler Olaf Scholz läuft vor einem Panzer in einer Halle: zu Besuch beim Rüstungskonzern Rheinmetall, Februar 2024
Bundeskanzler Olaf Scholz zu Besuch beim Rüstungskonzern Rheinmetall, Februar 2024Bild: Fabian Bimmer/Getty Images

Bundeskanzler Olaf Scholz liebt lange, verschachtelte Sätze. Das sind Sätze, bei denen man am Ende oft nicht mehr weiß, was er am Anfang gesagt hat. Als im Februar das größte deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall zum symbolischen ersten Spatenstich für den Bau einer neuen Munitionsfabrik geladen hatte, fand der Kanzler allerdings klare Worte.

Rüstungspolitik sei in Deutschland "viel zu lange" so betrieben worden, als gehe es dabei um den Kauf eines Autos, so Scholz. Das müsse man nur bestellen und dann würde es nach drei oder sechs Monaten da sein. "Aber so funktioniert Rüstungsproduktion eben nicht. Panzer, Haubitzen, Hubschrauber und Flugabwehrsysteme stehen nicht irgendwo im Regal." Rüstungsgüter darf nur der Staat in Auftrag geben. Folgerichtig muss der Kanzler nun feststellen: "Wenn über Jahre hinweg nichts bestellt wird, dann wird auch nichts produziert."

Landesverteidigung ist wieder ein Thema

Sätze, die das Dilemma umreißen, in dem die Bundesregierung steckt. Der Bedarf an Waffen und Munition ist gewaltig, nicht nur um die Ukraine militärisch weiter zu unterstützen. "Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Amerikaner immer für alles die Zeche zahlen beziehungsweise das Material zur Verfügung stellen", sagte der grüne Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck im März auf einer Tagung. "Das heißt, die Hochskalierung der militärischen Produktion, der Wehr- und Rüstungsindustrie, Szenarien auch Einsatzszenarien zur Landesverteidigung, die müssen jetzt alle wieder reaktiviert werden." Der Kanzler formuliert es schlichter: "Wir müssen mehr tun. Wir müssen die Produktion hochfahren."

Das Foto zeigt Bundeskanzler Olaf Scholz, Armin Papperger, Vorstandsvorsitzender der Rheinmetall, Mette Frederiksen, Ministerpräsidentin von Dänemark, und Boris Pistorius, Bundesminister für Verteidigung, bei der Besichtigung einer Produktionshalle des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Die Gruppe steht vor einer Maschinen, an der Munition produziert wird. Ein Arbeiter zeigt dem Kanzler eine Patrone.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.l), Armin Papperger (M), Vorstandsvorsitzender der Rheinmetall, Mette Frederiksen (2.v.r), Ministerpräsidentin von Dänemark, und Boris Pistorius (SPD, r), Bundesminister für Verteidigung, bei der Besichtigung einer Produktionshalle des Rüstungskonzerns RheinmetallBild: Philipp Schulze/dpa/picture alliance

Nach Jahrzehnten der Abrüstung ist das nicht weniger als eine Kehrtwende um 180 Grad. Nach dem Fall der Mauer 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 schien Frieden für Deutschland der neue Status Quo. Die Bundeswehr wurde verkleinert, Ausgaben für Kriegsgerät zusammengestrichen. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung schrumpfte die wehrtechnische Industrie in Deutschland um bis zu 60 Prozent. Von rund 290.000 Arbeitsplätzen blieben knapp 100.000. 

Kein "Geschäft mit dem Tod" gewünscht

Es entsprach dem deutschen Zeitgeist, dass auch Politiker auf Abstand zur Rüstungsindustrie gingen. Er wolle kein "Geschäft mit dem Tod", sagte 2014 der damalige Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) interessierte sich nicht für das Rüstungsgeschäft. Große Konzerne wie Rheinmetall verlagerten ihr Geschäft zunehmend ins Ausland - auch, um die Exportbeschränkungen aus Deutschland zu umgehen. 

Noch Ende 2021, als SPD, Grüne und FDP die Regierung übernahmen, planten sie, deutsche Rüstungsgeschäfte weiter einzuschränken. Doch dann überfiel Russland im Februar 2022 die gesamte Ukraine. 

"Made in Germany" ist nicht mehr viel

Wie schwierig es ist, die politische Kehrtwende umzusetzen, zeigt sich schon bei der Aufrüstung der Bundeswehr. Zwar wurde ein Großteil des 100 Milliarden Euro schweren "Sondervermögens" in Rekordtempo vertraglich vergeben - das ist Geld, das der Bundestag angesichts des Ukrainekriegs kurzfristig zusätzlich zur Verfügung gestellt hat. Die Lieferung wird sich aber über Jahre hinziehen und das meiste Material wird nicht aus Deutschland kommen. Viele Aufträge sind in die USA vergeben worden. Die mehr als 120 Radpanzer, die der Bund bei Rheinmetall in Auftrag gegeben hat, produziert das Unternehmen in Australien. 

Bundeskanzler Scholz: "Bedrohung durch Russland ist real"

Die Oppositionsparteien CDU und CSU kritisieren, dass die Regierung viel zu wenig unternehme, um die Produktionskapazitäten in Deutschland wieder anzukurbeln. "Während Russland die Umstellung zur Kriegswirtschaft vollzogen hat, unternimmt die Bundesregierung bisher keine ausreichenden Schritte zur dringend notwendigen Stärkung der wehrtechnischen Industrie", heißt es in einem Antrag der Unionsfraktion, der Mitte März im Bundestag debattiert wurde. 

Ängsten und Sorgen Raum geben

Wenn der Kanzler - wie jüngst bei Rheinmetall - betont, "wie wichtig" es sei, "eine flexible, moderne und tüchtige Verteidigungsindustrie zu haben", hält die Opposition dagegen, dass die Regierung bis heute keine aktualisierte Strategie für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie habe. Die Planungen sind nach wie vor auf dem Stand von 2020. Im Sommer 2023 hatte die Regierung angekündigt, die Strategie zu überarbeiten.

Tatsächlich gebe es dabei noch Abstimmungsbedarf innerhalb der Koalition, räumt Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen ein. Es sei wichtig, dass "Nachfragen, Sorgen und Ängste in Bezug auf die Rüstungsproduktion" ihren Raum bekämen. 

Rüstung kein Geschäft wie jedes andere

Was Habeck damit meint, wird deutlich, wenn man in den Bundestag hineinhört. In der Debatte über die Rüstungsindustrie sagte beispielsweise die grüne Bundestagsabgeordnete Merle Spellerberg, es sei zwar unbestritten, dass mit Blick auf die Ukraine die militärischen Produktionskapazitäten so schnell wie möglich hochgefahren werden müssten. "Aber - und das ist wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen - diese Kapazitäten müssen wir, sobald es die Sicherheitslage zulässt, auch wieder herunterfahren können." 

Rüstungsproduktion müsse im Einklang mit Werten und Interessen stehen. Und da gebe es noch viele offene Fragen, so die 27-Jährige. "Dürfen mit Waffen Gewinne erwirtschaftet werden, beziehungsweise, was genau soll mit diesen Gewinnen passieren? Wir brauchen eine Politik, die den Frieden und unsere Sicherheit priorisiert und nicht die Profite einzelner Rüstungsunternehmen."

Das Foto zeigt die verschwommenen Gesichter von mehreren Menschen. Sie halten nachgebildete Panzer aus schwarzer und weißer Pappe, die an Stöcken befestigt sind, in die Höhe. Auch die Schilder sind nur verschwommen zu erkennen. In der Mitte des Fotos  ist ein Banner mit einer blauen Friedenstaube zu sehen, das scharf ist.
Gegen Rüstungsexporte: Demonstration in Berlin 2014Bild: Daniel Naupold/picture alliance/dpa

Unternehmen verlangen Sicherheiten

Der Rüstungsindustrie dürften bei solchen Reden sprichwörtlich die Haare zu Berge stehen. Doch die Unternehmen wissen, dass sie angesichts der Bedrohung aus Russland derzeit alle Trümpfe in der Hand halten - und durchaus auch Forderungen stellen können. 

Als sich kurz vor Ostern Vertreter der Rüstungsindustrie mit Regierungsvertretern aus dem Kanzleramt, dem Verteidigungs-, dem Außen-, dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium trafen, sei es darum gegangen, welche Sicherheiten die Industrie brauche, um die Produktion zu erhöhen, sagte Wirtschaftsminister Habeck nach dem mehr als zweistündigen Gespräch.

Es wird teuer

Im Klartext bedeutet das, dass die Rüstungsunternehmen langfristige Verträge mit festen Abnahmeversprechen haben wollen. Doch dafür müssten im Bundeshaushalt die entsprechenden Mittel bereitgestellt werden und genau da liegt das Problem. Das "Sondervermögen" Bundeswehr wird 2027 aufgebraucht sein, danach tut sich eine gewaltige Lücke auf, die Haushaltsexperten mit rund 50 Milliarden Euro pro Jahr beziffern.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), besichtigt eine Produktionshalle mit Panzerfahrzeugen des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Er steht und blickt nach oben. Um ihn herum ist olivfarbenes Metall zu sehen.
Wo soll das Geld für die Aufrüstung herkommen? Diese Frage kann auch Bundeskanzler Olaf Scholz noch nicht beantwortenBild: Philipp Schulze/dpa/picture alliance

Wo soll das Geld herkommen? Der SPD-Kanzler wehrt sich dagegen, die Sozialausgaben zu kürzen. Wohl wissend, dass seine Partei einen Kahlschlag an dieser Stelle nicht mittragen würde und vielleicht auch viele Bürger ins Grübeln geraten, wenn für Rüstungsausgaben an anderer Stelle massiv gekürzt werden müsste. Ein Thema, das im Bundestagswahlkampf 2025 durchaus eine Rolle spielen dürfte.

Bürger wehren sich

Die vom Kanzler ausgerufene militärische Zeitenwende ist in den Köpfen vieler Deutscher ohnehin noch nicht so richtig angekommen. Das zeigt sich auch bei der Suche nach zusätzlichen Standorten für die Rüstungsproduktion. "Keine Munitionsfabrik in Troisdorf, wir beugen uns nicht dem Druck aus Berlin!" - mit diesem Slogan wehren sich Bürger und Lokalpolitiker in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt gegen Baupläne von Diehl Defence. Als Begründung wird auf die nötigen Abstandsflächen verwiesen, die aus Sicherheitsgründen vorgeschrieben sind. Diese Flächen würden für den Bau von Wohnungen gebraucht. 

Troisdorf ist kein Einzelfall. Auch in Sachsen gab es Protest, als im Frühjahr 2023 bekannt wurde, dass Rheinmetall über den Bau einer Pulverfabrik nachdachte. Am Ende sollen die Pläne allerdings daran gescheitert sein, dass der Bund keine Anschubfinanzierung leisten wollte. Das jedenfalls warf ein CDU-Abgeordneter der Regierung im Bundestag vor.