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Politik

Gefährliche Mischung in Myanmar

7. Februar 2021

Eine Woche ist es her, seit die Militärs die Macht in Myanmar übernommen haben. Gewalt ist das größte Risiko, aber mit COVID-19 und der grassierenden Armut wächst das Risiko einer Eskalation.

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Myanmar Rangun | Proteste gegen Militärregierung
Der Drei-Finger-Gruß ist ein Symbol der pro-demokratischen DemonstrierendenBild: REUTERS

Noch sind die Proteste nicht eskaliert, aber die Lage in Myanmar ist extrem angespannt. Die Tatmadaw, wie das Militär in Myanmar genannt wird, hat bisher vor allem die Kommunikation gestört, um die Organisation von Proteste zu erschweren. Zuerst wurde Facebook geblockt, dann Twitter und Instagram, bevor schließlich das Internet fast vollständig lahmgelegt wurde. Am Sonntagabend war die Internetblockade wieder aufgehoben, aber insgesamt bleibt die Kommunikation eingeschränkt.

Inzwischen verbreitete Myanmars staatliches Fernsehen aber auch eine Warnung: Die Demokratie könne zerbrechen, wenn keine Disziplin herrsche, hieß es in einem Ticker, der während des regulären Programms im Sender MRTV eingeblendet wurde. "Legale Maßnahmen" sollten ergriffen werden gegen diejenigen, die der Stabilität des Staats, der öffentlichen Sicherheit und der Rechtsstaatlichkeit schadeten. "Gesetzlose Übeltäter" sollten "beseitigt werden". Es war das erste Mal, dass von staatlicher Seite öffentlich auf die Proteste reagiert wurde.

Am Sonntag hatte in Yangon trotz aller Hindernisse ein großer Protest stattgefunden. Wie die Nachrichtenagentur Reuters und mehrere lokale Medien bestätigten, kamen bei der größten Kundgebung im Zentrum rund um die Sule-Pagode, die schon früher Treffpunkt für Proteste war, mehrere 10.000 Menschen zusammen. Sie hoben die Hand zum Drei-Finger-Gruß, der wie in Thailand zum Symbol des Widerstands wurde, und skandierten: "Wir wollen keine Militärdiktatur! Wir wollen Demokratie!"

Die Rolle der Mönche

In anderen Landesteilen gab es ebenfalls größere und kleinere Proteste. In der im Südosten, nahe der Grenze zu Thailand gelegenen Stadt Myawaddy war die Situation besonders brenzlig. Auf Facebookvideos sind Schüsse zu hören, eine aufgebrachte Menge läuft vor Polizisten weg, die Tränengaspatronen abfeuern.

Auch am Montag wurde demonstriert: In Yangon setzten sich buddhistische Mönche in ihren safranfarbenen Gewändern an die Spitze der Bürgerbewegung, Auch in der Küstenstadt Dawei im Südosten und in der Hauptstadt des Kachin-Staates im hohen Norden gingen Tausende auf die Strasse. Prominente Aktivisten rufen zu einem landesweiten Generalstreik auf.

Bisher agiert das Militär zurückhaltender als nach dem letzten Putsch 1988 - oder im Jahr 2007, als die Tatmadaw die sogenannte "Safran-Revolution" der Mönche niederschlug. Bei beiden Aufständen gab es Tote, wobei die Opferzahlen umstritten sind. Mehrere Tausend sollen es 1988 gewesen sein, zwischen 13 (offizielle Angaben) und mehreren Hundert (laut dem australischen Sender ABC) 2007.

"Proteste nehmen an Fahrt auf"

Angesichts der gewalttätigen Geschichte der Tatmadaw bei der Niederschlagung von Protesten twitterte der Historiker Thant Myint-U: "Die Anti-Putsch-Proteste nehmen deutlich an Fahrt auf. Einerseits können wir angesichts der Geschichte die Reaktion vorausahnen, andererseits ist die Gesellschaft Myanmars heute eine andere als 1988 und 2007."

Bewohner und Experten in Yangon, mit denen die DW sprechen konnte, die aber aus Sicherheitsgründen nicht zitiert werden wollen, sind wenig zuversichtlich. Sie rechnen in den kommenden Tagen mit gewaltsamen Zusammenstößen von Demonstranten und Sicherheitskräften.

Die Corona-Pandemie

Der Putsch und die Proteste fallen zeitlich mitten in die Corona-Krise. Die Pandemie trifft in Myanmar auf ein schwaches und schlecht ausgestattetes Gesundheitssystem, insbesondere im ländlichen Raum. Mit bisher 141.000 bestätigten Fällen und 3.168 Toten (laut Johns-Hopkins-Universität, 07.02.2021) gehört das Land im Vergleich zu anderen Ländern Südostasiens zu den mittelschwer betroffenen. Laut dem Washingtoner Think Tank "Center for Strategic and International Studies" kommen in Myanmar 2.600 Fälle auf 100.000 Einwohner (zum Vergleich: Vietnam 21, Thailand 326, Indonesien 4.235, Singapur 10.629). Die Zahlen waren zuletzt stark rückläufig, was vor allem mit einem im Oktober 2020 von der Nationalen Liga für Demokratie, der Partei von Aung Sang Suu Kyi, verhängten Lockdown zusammenhängt.

Myanmar Rangun | Proteste gegen Militärregierung
Medizinisches Personal ist an den Protesten beteiligtBild: REUTERS

Noch am Tag des Putsches erklärte der Gesundheitsminister der NLD, Dr. Myint Htwe, auf Facebook seinen Rücktritt. Er rief seine Mitarbeiter noch dazu auf, weiterhin dem Volk zu dienen. Viele Ärzte und Krankenschwestern aus staatlichen Krankenhäusern beteiligten sich nach dem Putsch dennoch an einer Kampagne zivilen Ungehorsams und blieben der Arbeit fern.

In jedem Fall begünstigen die Zusammenkünfte von Tausenden Menschen bei Protesten eine Ausbreitung des Coronavirus. Selbst wenn es also nicht zu einer gewalttätigen Niederschlagung der Proteste kommt, ist ein steiler Anstieg der Corona-Infektionen und damit auch der Corona-Toten zu befürchten.

Die Wirtschaft am Boden

Die neue Militärregierung erklärte am Freitag, sie werde sich auf die Wiederbelebung der Wirtschaft konzentrieren. Fabriken, die im Zuge des Lockdowns geschlossen wurden, sollten wieder geöffnet, Inlandsflüge erlaubt werden. Um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, sollten entsprechende Hygienemaßnahmen ergriffen werden. Was das konkret bedeutet und wie diese im aktuellen Ausnahmezustand umgesetzt werden sollen, lässt die Militärregierung offen.

Die Pandemie hat der Wirtschaft Myanmars bereits schweren Schaden zugefügt. Eine Studie des "International Food Policy Research Institute" vom November 2020 hat den Einfluss von COVID-19 auf die Wirtschaft untersucht. In Folge der Pandemie blieb der Tourismus aus, Textilfabriken wurden geschlossen, der Lockdown entzog vielen Tagelöhnern die Arbeitsgrundlage. Die Studie kam zu dem Ergebnis, das die einkommensbasierte Armut zwischen Januar 2020 und September 2020 von 16 auf 63 Prozent gestiegen ist. Zwei Drittel aller Einwohner des Landes leben von weniger als 1,90 US-Dollar am Tag. 38 Prozent aller Haushalte in Yangon gaben an, im September 2020 kein Einkommen mehr gehabt zu haben.

Myanmar Yangon  Anti Militär Proteste
"Ihr habt euch mit der falschen Generation angelegt" und "Nicht mehr (19)88" steht auf den Bannern in YangonBild: Ye Aung Thu/AFP/Getty Images

Das Militär will die Wirtschaft nun zwar wieder öffnen, aber der Putsch bedeutet weitere Einschränkungen bei dringend benötigten ausländischen Investitionen. Die japanische Großbrauerei Kirin (KNBWY) kündigte am Freitag den Rückzug aus Myanmar an. Weitere Investoren werden folgen, wenn nicht sogar wieder Wirtschaftssanktionen von den UN, den USA oder der EU verhängt werden.

Auch hier zeigt die Geschichte des Landes, dass wirtschaftliche Probleme Proteste befeuern können. Die Staatskrise von 1988 mit anschließendem Putsch war im Wesentlichen der miserablen wirtschaftlichen Lage und einer unangekündigten Entwertung von Geldscheinen geschuldet.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia