2011 begann der demokratische Öffnungsprozess Myanmars. Eine Frage stand dabei im Zentrum: Wie viel Macht würde das Militär abgeben?
Es gab die Skeptiker, die den Generälen nicht über den Weg trauten und nur ein Militärdiktatur im Gewand einer Demokratie sahen. Und es gab die Optimisten, die einen echten Neuanfang sahen und Chancen für eine Demokratisierung.
Anfängliche Fortschritte...
Zu Anfang überwogen zweifellos die positiven Anzeichen. Das Militär unter Führung des Ex-Generals und Reformpräsidenten Thein Sein machte Ernst mit der Öffnung des Landes. Aung Sann Suu Kyi wurde aus dem Hausarrest erlassen, viele inhaftierte Politiker der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) ebenfalls. Die Einschränkung der Pressefreiheit wurden gelockert.
Bei den Parlamentswahlen 2015 errang die NLD ein Erdrutschsieg. Das Militär und seine Partei, die Union Solidarity and Development Partei (USDP), akzeptierte den Sieg. Das Risiko war klein, denn das Militär kontrolliert verfassungsgemäß ein Viertel aller Sitze in allen Parlamenten und die Ministerien für Verteidigung, Grenzsicherung und Inneres. Es gab also Anzeichen, dass das Militär zu Kompromissen bereit war.
...dann Rückschritte
Die durch Wahlen legitimierte NLD manövrierte das Militär aus und erreichte, dass Aung San Suu Kyi zur Staatsrätin wurde, einer Art Premierministerin. Ein Amt, das in der Verfassung nicht vorgesehen ist. Der Architekt dieses Schachzugs, der Jurist Ko Ni, wurde wenig später am Flughafen in Yangon auf offener Straße erschossen. Der Täter wurde zwar gefasst, die Drahtzieher aber nie ermittelt. Doch es liegt nahe, dass das Militär eine Botschaft an die NLD sandte: Fordert uns nicht heraus! Das Militär, das sich selbst als Garant für Stabilität und Einheit des Landes sieht, wollte nicht akzeptieren, dass jemand anders die Regeln des Spiels bestimmt.
Dennoch setzte die NLD weiter auf Konfrontation. Statt Reformen in Angriff zu nehmen, die der Bevölkerung zugute gekommen wären, investierte sie viel Energie in wenig aussichtsreiche Verfassungsänderungen. Doch die konnte das Militär dank seiner durch die Verfassung garantierte Sperrminorität verhindern.
Die Beziehung zwischen Aung San Suu Kyi und Min Aung Hlaing, dem Oberkommandierenden der Streitkräfte, verschlechterte sich zusehends. Daran änderte auch Aung San Suu Kyis umstrittener Aufritt vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag nichts, wo sie das Land gegenüber dem Vorwurf eines Völkermords an den Rohingya und damit auch das Militär verteidigte.
Wendepunkt Wahlen
Bei den jüngsten Wahlen im November 2020 errangen Aung San Suu Kyi und die Nationale Liga für Demokratie (NLD) 83 Prozent der Stimmen und damit erneut einen Erdrutschsieg. Das Militär hat das Wahlergebnis angezweifelt und den Vorwurf der Wahlmanipulation erhoben. Die von der zivilen Regierung eingesetzte Wahlkommission weist die Vorwürfe zurück. Eine Klage des Militärs vor dem Obersten Gericht ist noch anhängig.
Nun hat das Militär geputscht und will die Regierungsgeschäfte für ein Jahr übernehmen, um unter anderem die Wahlkommission zu reformieren. Begründet wird der Putsch mit Artikel 417 der Verfassung, der eine Machtübernahme des Militärs gestattet, wenn ein Notstand die Souveränität oder Einheit des Landes gefährdet. Das Militär sieht sich im Recht. Aber der Putsch läuft auf die paradoxe Formel hinaus: Das Militär musste die Demokratie abschaffen, um sie zu retten.
Die Ausgangsfrage, wie viel Macht das Militär letztlich bereit ist abzugeben, ist damit beantwortet: keine.