Putin fordert Sondersitzung der UN
14. April 2018Das Wichtigste in Kürze:
- Gezielte Luftangriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Syrien
- Ziele waren Anlagen, die im Zusammenhang mit der Herstellung von Chemiewaffen stehen
- Auf Antrag Russlands kommt der UN-Sicherheitsrat zusammen
Die nächtlichen Luftangriffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens auf Ziele in Syrien sind in Russland auf massive Kritik gestoßen. Der Kreml verurteilte die Bombardements aufs Schärfste, angedroht wurden nicht näher bezeichnete "Konsequenzen" gegen diesen "Akt der Aggression". Präsident Wladimir Putin forderte eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. Die US-Angriffe verschärften die "humanitäre Katastrophe" in Syrien, beklagte er. Der Militärschlag habe einen destruktiven Einfluss auf das gesamte System internationaler Beziehungen, wird Putin zitiert.
Kontakte nicht abgebrochen
Der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, nannte es auf Twitter "inakzeptabel und unzulässig", den russischen Präsidenten zu beleidigen. Damit bezog er sich auf den Vorwurf von US-Präsident Donald Trump, Putin unterstütze den "Massenmord" in Syrien. Das Außenministerium in Moskau erklärte, die westlichen Angriffe kämen zu einem Zeitpunkt, an dem Syrien gerade eine "Chance auf eine friedliche Zukunft" gehabt habe.
Die russische Seite kritisierte, dass der Westen nicht die Untersuchungsergebnisse der internationalen Inspektoren in Syrien abgewartet hätten. Man sei weiter interessiert an einer Zusammenarbeit mit den USA, betonte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow. Er berichtete, die Regierung in Moskau sei in Kontakt mit den USA und den anderen Staaten, welche sich an den Luftangriffen beteiligt hätte.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird in Kürze zusammentreten.
"Vergeltung" gegen das "Monster"
In einer kurzen Fernsehansprache hatte Trump verkündet, er habe "Präzisionsschläge" gegen Ziele angeordnet, die mit den mutmaßlichen Chemiewaffen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad in Zusammenhang stünden. Die Angriffe seien eine Vergeltung für die Verwendung chemischer Waffen durch die syrische Regierung gegen das eigene Volk. "Dies sind nicht die Taten eines Mannes. Es sind die Verbrechen eines Monsters", sagte Trump in Anspielung auf Assad. Die USA seien darauf vorbereitet, diese Antwort fortzusetzen, bis die syrische Regierung den Einsatz chemischer Waffen stoppe.
Nach Angaben des Pentagon wurden die Luftangriffe nach kurzer Zeit vorerst beendet. US-Verteidigungsminister James Mattis sagte, dass keine weiteren Schläge geplant seien. Nach seinen Angaben wurden von Schiffen und Flugzeugen mehr als 100 Raketen abgefeuert. Der Militäreinsatz sei auf drei Anlagen des mutmaßlichen syrischen Chemiewaffenprogramms begrenzt gewesen. Getroffen worden seien ein Forschungszentrum für Chemiewaffen in der Hauptstadt Damaskus sowie ein Lager für Sarin und ein Kommandoposten für diese Art von Waffen nahe Homs, sagte US-Generalstabschef Joseph Dunford.
Reporter und Augenzeugen berichteten von mehreren schweren Explosionen in Damaskus. Es sei Lärm von Flugzeugen zu hören gewesen. Am nördlichen und östlichen Rand der Hauptstadt sei Rauch aufgestiegen. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, die Luftabwehr habe die "amerikanisch-britisch-französische Aggression" bekämpft. Die meisten Raketen seien abgefangen worden, teilte ein Sprecher der Armeeführung in Damaskus mit.
Mehrere Verletzte
Bei den Luftangriffen gab es nach offiziellen syrischen Angaben mehrere Verletzte. Mindestens drei Zivilisten seien bei der Bombardierung in der Region Homs verletzt worden, meldet die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Aus syrischen Armeekreisen hieß es, bei dem Angriff auf ein Waffendepot in Homs seien sechs Soldaten verletzt worden. Nach Angaben von Sana gab es zudem Schäden in einer Forschungseinrichtung in dem Ort Barsah nördlich der Hauptstadt Damaskus. Dort sei ein Gebäude zerstört worden.
Trump bezeichnete es als Ziel der Operation, für eine "starke Abschreckung" hinsichtlich der Produktion, Verbreitung sowie des Einsatzes von Chemiewaffen zu sorgen. Er machte zugleich deutlich, dass die Militäraktion nicht auf den Sturz des syrischen Machthabers abziele. Dessen Schicksal liege in der Hand der Syrer, sagte er.
Westen "schaut nicht tatenlos zu"
Die britische Premierministerin Theresa May verteidigt die Luftangriffe. Es gebe Anzeichen dafür, dass die syrische Regierung über Chemiewaffen verfüge und weiterhin derartige Waffen produziere. "Die gemeinschaftliche Aktion sendet die klare Botschaft, dass die internationale Gemeinschaft beim Einsatz von Chemiewaffen nicht tatenlos zusehen und diesen auch nicht tolerieren wird", sagte May am Samstag vor Journalisten in London. "Es war richtig und legal, militärisch in Syrien einzugreifen", sagt sie. Sie sei davon überzeugt, dass die Angriffe die Fähigkeit Syriens, chemische Waffen einzusetzen, "deutlich reduziert" hätten. Auf die Frage, ob sie weitere Angriffe befehlen könnte, sagte May, die syrische Regierung dürfe nicht an ihrer, Mays, Entschlossenheit zweifeln.
Der französische Staatschef Emmanuel Macron betonte: "Wir können die Normalisierung des Einsatzes chemischer Waffen nicht hinnehmen." Diese stellten eine Gefahr für das syrische Volk und "unsere gemeinsame Sicherheit" dar. Macron werde aber ungeachtet der Syrienkrise Ende Mai auf Einladung Putins am Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg teilnehmen, bestätigte das Pariser Außenministerium.
Reaktion auf Duma
Mit der Operation reagierten die drei westlichen Staaten auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Duma in der früheren Rebellenhochburg Ost-Ghuta. Dabei sollen am 7. April nach Angaben der Hilfsorganisation Weißhelme mindestens 42 Menschen getötet worden sein. Mehr als 500 Personen wurden demnach in Krankenhäusern behandelt. Der Westen macht die Assad-Truppen für den Angriff verantwortlich. Kurz vor Beginn der Militäroperation hatte das US-Außenministerium mitgeteilt, Washington wisse "mit Sicherheit", dass die Assad-Truppen in Ost-Ghuta Giftgas eingesetzt hätten. Experten der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) wollten an diesem Samstag in Duma untersuchen, ob dort tatsächlich Chemiewaffen eingesetzt wurden. Ihr Auftrag lautet jedoch nicht, die Verantwortlichen zu ermitteln.
An die Adresse Russlands und Irans gerichtet, fragte Trump: "Welche Art von Nation will mit dem Massenmord an unschuldigen Männern, Frauen und Kindern in Verbindung gebracht werden?" Russland und der Iran sind mit dem syrischen Regime verbündet. Deswegen gelten die jüngsten Angriffe als besonders heikel. Befürchtet wird eine direkte Konfrontation der USA und Russlands.
Generalstabschef Dunford sagte, die USA hätten den Angriff nicht mit Russland koordiniert. Es habe lediglich Kommunikation über den regulären Kanal zwischen dem russischen und amerikanischen Militär zur Vermeidung von Zwischenfällen über Syrien gegeben.
Völkerrecht?
Syrien kritisierte den Angriff als Verstoß gegen internationales Recht. "Einmal mehr bestätigen die USA und die Achse zur Unterstützung des Terrors, dass sie gegen internationales Recht verstoßen, über das sie bei den Vereinten Nationen prahlerisch reden", schrieb die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Die syrische Armee war schon seit Tagen in voller Alarmbereitschaft und hatte sich am Mittwoch von weiteren Stützpunkten zurückgezogen. Am Dienstag verließ die Armee einige Militärbasen, um einer möglicherweise bevorstehenden Attacke der Westmächte weniger Angriffsfläche zu bieten.
Angriff war härter als 2017
Für die USA erklärte Minister Mattis, man habe ein vitales nationales Interesse daran, einer Verschlechterung der humanitären Lage in der Region entgegenzutreten. Es sei höchste Zeit, den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden. Das syrische Volk leide entsetzlich unter dem Regime. Der Minister betonte, der Schlag gegen Syrien sei härter gewesen als der im Vorjahr. Vor etwa einem Jahr hatte das US-Militär die syrische Luftwaffenbasis Schairat unter Beschuss genommen. Das war eine Reaktion auf den Giftgasangriff mit Dutzenden Toten auf die Stadt Chan Scheichun, für den UN-Experten die Regierung von Assad verantwortlich machten. Das Eingreifen der USA galt aber weitgehend als symbolisch.
Der syrischen Führung wurde in den vergangenen Jahren immer wieder der Einsatz von Chemiewaffen vorgeworfen. Der schwerste Angriff soll 2013 in Ost-Ghuta passiert sein: Möglicherweise 1400 Menschen wurden getötet, darunter viele Kinder.
kle/rb/sc (afp, rtr, dpa)