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Warum Schnäppchen wie Drogen wirken

Ann-Christin Herbe
22. November 2018

Es ist wieder "Black Friday" und unser Gehirn scheint die Kontrolle abzugeben. Hauptsache kaufen, es ist ja schließlich ein Schnäppchen. Shoppen wird zur Droge. Warum, erklärt der Neuropsychologe Christian Elger.

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Symbolbild Shoppen Tüten
Beim Shoppen wird im Gehirn das Belohnungszentrum aktiviert und alles andere ausgeblendetBild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Black Friday: Auf in die Shopping-Schlacht

DW: Die jetzigen Tage stehen ganz im Zeichen des Konsums. Wie der Black Friday - eine Rabattschlacht nach dem Thanksgiving-Fest in den USA - schwappen immer mehr Konsumrituale nach Deutschland. Selbst das Weihnachtsgeschäft boomt bereits - noch vor dem ersten Advent. Herr Elger, warum genau sind Schnäppchen so reizvoll für uns?

Christian Elger: Wir haben eine Struktur im Gehirn, die wir als Belohnungssystem bezeichnen. Das heißt: Jedes Mal, wenn diese Strukturen aktiviert werden, sind verschiedene Gruppen von Nervenzellen angeregt. Dann fühlt sich das Gehirn außerordentlich wohl. Und zwar so wohl, dass es alles andere ein bisschen vergisst.

Im Vergleich zu normalen Preisen an Gegenständen aktivieren Wörter wie Rabatt oder Sonderangebot diese Region besonders. Es gibt im Gegenzug natürlich auch Regionen im Gehirn, wo man abwägt "Ich brauche das - ich brauche das nicht. Das ist viel zu teuer". Aber die Region ist kaum noch aktiv, wenn der Käufer mit Schnäppchen konfrontiert wird. Sie kaufen und nehmen mit - ohne Berücksichtigung, ob wirklicher Bedarf da ist und ohne wirkliche Abwägung. 

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Prof. Dr. med. Christian Elger
Christian Elger ist Professor und Doktor für Neuropsychologie.Bild: Klinik für Epileptologie Bonn

Sie untersuchen Vorgänge, wie sie sich im Gehirn auch beim Kaufen von Schnäppchen abspielen, im Kernspintomografen. Was kann man da sehen?

Im Kernspintomografen, übertrieben gesagt, kann man dem Gehirn beim Denken zusehen. Wir können also messen, welche Spuren ein ganz bestimmter gedanklicher Ablauf im Gehirn hinterlässt. Und da wir wissen, in welchen anatomischen Strukturen des Gehirns was passiert, können wir messen, dass beim Kaufen vor allem das Belohnungssystem aktiviert wird.

Wir wissen auch, welche Überträgersysteme im Gehirn aktiv sind, zum Beispiel das Dopamin. Es funktioniert als Botenstoff. Umgekehrt gibt es Strukturen im Gehirn, die, wenn wir Geld ausgeben, dann ein Gefühl auslösen, dass sich mit dem Unangenehmen im Schmerz vergleichen lässt. Wenn wir zum Beispiel Schmerztabletten nehmen, dann werden wir auch unkritischer, weil dieser Reiz, dass zu viel Geld ausgeben, unangenehm ist, weggeht.

Das klingt fast so, als wenn Schnäppchen die gleiche Wirkung auf das Gehirn haben wie Drogen.

Das Belohnungssystem ist tatsächlich auch das System, wo Drogen angreifen: Heroin, Kokain, aber auch Amphetamine aktivieren diese Region. Und deshalb entwickelt sich schnell eine Sucht.

Also warum kaufe ich dann etwas, was ich gar nicht brauche? Einfach, weil es günstig ist?

Genau, nur weil es günstig ist und das Günstige im Gehirn einen Schalter umlegt. Und dieser Schalter signalisiert: Du brauchst nicht mehr zu vergleichen, man weiß ja nie, wofür man das brauchen könnte. So nach dem Motto: Der nächste Krieg kann kommen. Es gibt natürlich auch Leute, die das krankhaft machen. Bei denen zu Hause stapeln sich die unausgepackten Dinge. 

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Symbolbild Shoppen Black Friday
Das Gehirn verbindet rote Rabatt-Schilder mit etwas Besonderem und verleitet zum Kaufen der Ware.Bild: picture-alliance/AP Photo/E. Thompson

Wenn ich in ein Geschäft hineingehe, dann bin ich automatisch verschiedenen Reizen ausgesetzt. Wie "triggern" die Läden ihre Käufer - also wie lösen sie den Kaufimpuls aus?

Primär sind das die roten Schilder. Wir haben mal ein Experiment mit roten Schildern gemacht, auf denen normale Preise standen. Als am Abend dann der Verkauf gemessen wurde, konnte man deutlich sehen, dass sich die Waren mit einem roten Schild besser verkauft haben.

Auch Musik wird geschickt eingesetzt. Das bringt uns natürlich in eine gute Stimmung und in guter Stimmung kauft man leichter, weil man dann den Verlust nicht so spürt.


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Das klingt so, als wenn man beim Shoppen ziemlich willenlos wird. Kann ich mich denn gegen den Kaufrausch wappnen?

Man sollte, wenn man auf Schnäppchenjagd geht, in den diversen Onlinegeschäften, aber auch in den Geschäften in der Stadt auf jeden Fall zwei Dinge beachten. Vor allem ist es wichtig, einen zeitlichen Abstand zur Kaufentscheidung herzustellen. Einmal aus dem Laden rausgehen, weiterlaufen und überlegen "Brauche ich das wirklich?". Die Hälfte der ersehnten Produkte wollen wir nach 30 Minuten gar nicht mehr haben.

Außerdem gibt es viele Pseudo-Angebote, die nur auf den ersten Blick günstig erscheinen. Und zweitens: vorher keine Schmerzmittel nehmen. Diese wirken nämlich entspannend auf die Region im Gehirn, die beim Kauf die Notwendigkeit abwägen würde. 

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Visa Kreditkarte EMV-Chip
Kreditkarten mindern im Vergleich zu Bargeld das Verlustgefühl beim Kaufen.Bild: picture-alliance/empics/M. Keene

Welche potenziellen Gefahren gibt es noch für Käufer?

Das Kaufen mit Kreditkarte erleichtert es dem Gehirn, den eigentlichen Geldverlust zu verdrängen. Ich warne immer davor, solche Dinge wie Shopping bargeldlos zu machen. Die Rechnung kommt dann einen Monat später und man hat es schon fast wieder vergessen.

Wenn ich mir etwas kaufe und dafür Scheine geben muss, dann ist der Verlust in dem Moment viel deutlicher. Und dann ist dieser Verlust dem Gehirn ab einer gewissen Höhe auch unangenehm. Wenn ein Mantel 200 Euro kostet und ich den bar bezahle, dann schmerzt das. Selbst wenn er um 100 Euro reduziert war.

Fast jeder kauft sich ja mal gerne nette Sachen. Wo liegt denn die Grenze zwischen leidenschaftlicher Schnäppchenjagd und Kaufsucht?

Kaufsucht ist nicht so leicht zu definieren. Zuerst muss man schauen, was für einen Bedarf die Person hat und welche Geldquellen sie zur Verfügung hat. Wohlhabende Menschen sammeln manchmal beispielsweise Kunst oder Möbel ohne Ende, aber das ist einfach ihr Lebensstil und keine Kaufsucht.

Wenn man das auf die Normalperson runterbricht, dann hat man andere Maßstäbe. Wenn sich in meiner Wohnung die Dinge stapeln, ein Jahr lang und ich habe sie noch nicht mal ausgepackt und benutzt, dann ist die Grenze langsam überschritten und wenn der Anteil an unbenutzten Gegenständen größer ist als der meiner anderen, dann ist man behandlungsbedürftig erkrankt. 

Symbolbild Shoppen
Wenn sich zu Hause die ungenutzten Schnäppchen stapeln, spricht man von KaufsuchtBild: picture-alliance/dpa Themendienst/C. Klose

Was ist denn bei diesen erkrankten Menschen im Gehirn anders als bei einer Person, die dann auch mal sagen kann "Gut, das brauche ich jetzt doch nicht"?

Wir werden unser Leben lang getriggert. Wir bauen Bahnverbindungen zwischen den verschiedenen Systemen im Gehirn aus. Ich nehme mich als Beispiel, damit ich nicht jemand anderen schlechtmachen muss. 

Obwohl mein letztes iPhone noch sehr, sehr gut funktioniert hat, war ich sicher einer der ersten, der das neue Modell gekauft hat. Eigentlich also völlig sinnlos, aber ich tue es trotzdem. In der Wissenschaft nennt sich das novelty seeking. Heute wissen wir, dass ist eine Verbindung von verschiedenen Hirnstrukturen, die wahrscheinlich im Laufe des frühen Lebens aufgebaut wird. Manche Leute haben zwischen dem Belohnungssystem und dem Emotionssystem eine enge Verbindung.

Manche Leute haben keinen Spaß am Shoppen und sträuben sich davor. Sind die immun gegen diese Aktivierung?

Es gibt Menschen, die genetisch so verändert sind, dass das Belohnungssystem nicht klick macht. Wie die aktiviert werden, wissen wir nicht. Wir haben festgestellt, dass es vielleicht drei oder vier Prozent in der Bevölkerung sind, wo dieser Effekt nicht vorhanden ist. Die aktivieren auch nicht im Kernspintomografen, wenn entsprechende Reize da sind.

Das sind dann so Buchhalter-Typen, die nichts erschüttert. Solche Leute planen ihr Leben und sagen "Die Jeans ist jetzt 40 Jahre alt. Jetzt muss ich mir eine neue kaufen". Aber nicht, weil die neuere gut aussieht, sondern einfach, weil man eine neue braucht.

Zucker - Süßer Süchtigmacher # 30.01.2011 # Projekt Zukunft

Freuen sich denn auch Menschen mit überdurchschnittlich viel Geld über ein Schnäppchen?

Aber ganz sicher. Auch in vielen teuren Geschäften gibt es Sonderangebote. Ich war häufig in Amerika und habe da eine Zeit lang gearbeitet und war in einer sehr vermögenden Gegend untergebracht. Die Leute dort haben wie besessen Coupons aus Zeitungen gesammelt, obwohl sie unfassbar viel Geld hatten und den Rabatt nicht gebraucht hätten. 

Das Prinzip des Triggerns passiert gerade in Deutschland ja auch hinsichtlich weihnachtlicher Lebensmittel. Ab September gibt es schon Lebkuchen und Spekulatius zu kaufen. Gibt es eine Erklärung, warum die Leute dann schon kaufen?

Also ich kann  das persönlich schwer nachvollziehen. Aber da gibt es verschiedene Theorien. Zum einen ist Weihnachten ja ein schönes Fest, das viele mit Wohlfühlen verbinden und das verknüpft man mit diesen weihnachtlichen Lebensmitteln. Die Leute  kaufen nach dieser Theorie also quasi als mentale Vorbereitung. 

Ob das wirklich so ist, weiß ich nicht. Das hat meines Wissens noch keiner so richtig untersucht. Ich glaube, die Industrie trägt da auch einfach dazu bei. Den Leuten wird suggeriert, dass es kaufenswert ist und diese Preise immer weiter steigen, je näher Weihnachten kommt, deshalb sollen sie so früh wie möglich zuschlagen. Aber das stimmt eigentlich nicht. 

Symbolbild Online-Handel
Im Online-Handel schwanken die Preise je nach Tageszeit massivBild: picture alliance/dpa/J. Büttner

Würden Sie sagen, dass es einen Unterschied zwischen Schnäppchen online und Schnäppchen im Geschäft gibt?

Das ist schwer zu sagen. Denn wenn ich im Geschäft etwas in die Hand nehmen kann, dann steigert das die Begehrlichkeit des Objekts. Man sieht es, kann Kleidung beispielsweise anprobieren und sich im Spiegel sehen. Hinzu kommt der geschickte Verkäufer, der Komplimente macht oder den Preis lobt. Da ist man schneller über der Kaufschwelle als beim Onlinehandel.

Dafür hat der Onlinehandel den großen Vorteil der Vergleichbarkeit Sie können ruckzuck woanders reingehen, innerhalb von Minuten. Der Onlinehandel nutzt das auch schamlos aus, indem man zu bestimmten Zeiten andere Preise hat. Wie weit die Preisspanne schwankt, kann ich nicht genau sagen, aber wenn man manchen Berichten Glauben schenkt, dann sind sie erheblich. 

Christian Elger ist Professor und Doktor für Neuropsychologie an der Universität Bonn. Er forscht zusätzlich im Bereich der Epilepsie. Elger ist Mitbegründer der "Life&Brain" GmbH und arbeitet aktuell in der Beta-Klinik in Bonn.

Das Interview führte Ann-Christin Herbe.