"Flüchtlinge brauchen eine Perspektive"
1. Juli 2013Die bayerische Polizei hat das Camp mit den Hungerstreikenden am Wochenende geräumt. Was sagt diese Räumung Ihrer Ansicht nach über den Umgang der bayrischen - vielleicht auch der deutschen - Behörden mit der Flüchtlingsfrage?
Günther Burkhardt: Es wirkt wie ein Ausdruck von Desinteresse an der wahren Lebenssituation der Menschen. Die Probleme stehen ja nicht erst seit gestern auf der Tagesordnung. Die skandalöse Lebenssituation von Flüchtlingen in Deutschland und insbesondere in Bayern, das ein einsamer Spitzenreiter der Hartherzigkeit ist, ist seit Jahren bekannt.
DW: Aus Protest gegen die Asylpolitik sind in München rund 50 Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten. Was halten Sie von dieser Form des Protestes?
Wir sehen vor allem die Verzweiflung der Flüchtlinge und fragen uns, welche Perspektivlosigkeit und Angst haben diese Menschen, wenn sie zu so einem extremen Mittel greifen. Hungerstreik ist ein extremes Mittel und es ist problematisch, wenn Menschen gefährdet werden. Aber es ist vor allem erschütternd zu sehen, wie kaltherzig die bayrische Staatsregierung reagiert, beziehungsweise, dass sie eben nicht reagiert. Wir haben an die Politik appelliert, die dahinter liegenden Ursachen zu beseitigen.
Was macht Bayern zu einem "Spitzenreiter der Hartherzigkeit"?
In fast allen anderen Bundesländern wurde die Residenzpflicht - also die Pflicht, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten - gelockert, in Bayern nicht. Außerdem gibt es dort immer noch die Unterbringung in großen Lagern, die Isolierung. Wir wollen, dass Flüchtlinge für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen und sich selbst ernähren können. Dazu müssen sie arbeiten und Deutsch lernen. Solche Integrationsangebote will zum Beispiel auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer. In Bayern gibt es dagegen eine Abwehrhaltung.
Proteste von Flüchtlingen gibt es ja nicht nur in Bayern. Was läuft falsch beim deutschen Asylrecht?
Das deutsche Asylrecht hat zwei Konstruktionsfehler: Der erste ist die Politik der Ausgrenzung von Flüchtlingen, die Unterbringung in großen Sammellagern, die Isolierung und die mangelnde Bereitschaft, ein Integrationskonzept für sie zu entwickeln. Der zweite Punkt ist das Fehlen eines europaweit gültigen Asylrechts, das Flüchtlinge wirklich schützt. In einem Asylverfahren ist jener Staat zuständig, der einen Flüchtling einreisen lässt. Wenn er dann in Deutschland einen Asylantrag stellt, beginnt das Asylverfahren mit der Verheimlichung des Fluchtweges, weil sonst die Abschiebung in diesen Staat droht. Die Frage, die ein Flüchtling hört, ist also: Auf welchem Weg bist du hierher gekommen? Und nicht: Warum? Und das "Warum?" ist doch die zentrale Frage eines Asylverfahrens.
Die EU hat kürzlich ein gemeinsames Asylrecht beschlossen. Verbessert das nach Ihrer Einschätzung die Situation von Asylsuchenden in Europa?
Es bleibt ja dabei, dass Asylsuchende im ersten EU-Land, das sie betreten, den Asylantrag stellen müssen. Das heißt, die strukturelle Verantwortung wird weiter den Grenzstaaten aufgebürdet - mit der Folge, dass Flüchtlinge dort oft inhaftiert oder sogar zurückgeschickt werden. Zudem wurden in diesem europäischen Asylsystem Haftgründe verabredet, zum Beispiel die Feststellung der Identität. Da die meisten Flüchtlinge keinen Pass bei sich haben, kann praktisch jeder von ihnen inhaftiert werden. Von daher sind wir höchst unzufrieden mit diesem europäischen Asylrecht.
Laut der jüngsten Statistik des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR ist Deutschland hinter den USA das Land, in dem die meisten Asylanträge eingehen. Warum möchten so viele Flüchtlinge nach Deutschland?
Im Fall der Syrer und Afghanen ist es zum Beispiel so, dass schon viele in Deutschland leben - und Menschen fliehen in das Land, in dem sie Anschluss haben, wo es eine Community gibt. 80 Prozent aller Flüchtlinge weltweit bleiben aber in ihrer Herkunftsregion. Europa nimmt eigentlich sehr wenige Flüchtlinge auf.
Günter Burkhardt ist Geschäftsführer und Mitgründer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, die sich seit 1986 für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt.