Pressefreiheit in Afghanistan zunehmend bedroht
21. Januar 2015"Der Gouverneur sagte mir vor allen Leuten: 'Warum haben Sie darüber berichtet? Sie haben kein Recht dazu. Ich lasse Sie ins Gefängnis werfen. Ihr Leben ist mir nichts wert'", erzählte ein Journalist der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Er hatte über den Angriff auf eine afghanische Militärbasis berichtet; zwei Menschen waren dabei ums Leben gekommen. "Zwölf oder 13 Monate sind seit den Drohungen vergangen und ich habe noch immer jedes Mal Angst, wenn ich nach Hause gehe."
Der Reporter ist einer von mehr als 30 Medienschaffenden, die HRW für seinen aktuellen Bericht Threats to Media Freedom in Afghanistan" interviewt hat. Die Erkenntnisse des HRW-Berichts werden der afghanische Medienrechtsorganisation Nai bestätigt. Die Zahl der Angriffe auf Journalisten sei 2014 im Vergleich zu 2013 um 64 Prozent gestiegen, stellt Nai in ihrem jüngsten Bericht fest. 125 Vorfälle seien gemeldet worden, dabei wurden acht afghanische Korrespondenten getötet. Auch die deutsche Fotografin Anja Niedringhaus kam hier ums Leben.
Die meisten der Angriffe gehen auf das Konto der Extremisten. "Die Taliban in Afghanistan versuchen, sich für die afghanische Öffentlichkeit als eine gebildete und im Vergleich mit den pakistanischen Extremisten moderate Rebellen-Organisation zu präsentieren", sagt Michael Kugelman, Afghanistan-Experte im Washingtoner Woodrow Wilson Center for Scholars. "Insofern sind Journalisten eine Bedrohung für sie."
"Es sind nicht nur die Taliban, die uns terrorisieren"
Im Bericht von Human Rights Watch werden aber vor allem die afghanischen Behörden kritisiert, weil sie beim Schutz von Journalisten versagt hätten. Im Gespräch mit der "New York Times" sagte Abdul Mujeeb Khelwatgar, Direktor von Nai: "Seit 2011 wurden mehr als 40 Journalisten in Afghanistan getötet, keiner der Fälle wurde von der afghanischen Justiz verfolgt."
Auch DW-Korrespondent Zerak Zaheen hat bereits entsprechende Erfahrungen gemacht. Er wurde voriges Jahr von Taliban aus seinem Auto gezogen und als vermeintlicher Spion festgehalten, konnte jedoch entkommen. Am nächsten Tag befragte ihn der afghanische Geheimdienst stundenlang, warum die Taliban ihn haben gehen lassen. "Journalisten werden von allen Seiten verdächtigt", sagt Zaheen. "Nur weil du Journalist bist, denken sie, du bist ein Lügner oder Spion." Sein Kollegen Sayed Abdullah Nizami ergänzt: "Es sind nicht nur die Taliban, die uns terrorisieren. Auch die Regierung setzt Journalisten unter Druck."
Seit 2002 ist die Zahl der Medien in Afghanistan deutlich gestiegen, ihre Rolle im öffentlichen Leben wichtiger geworden. Viele afghanische Regierungsvertreter könnten sich jedoch nicht damit anfreunden, dass sie der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen müssen. "Sie glauben vielmehr, dass sie Kritik durch Gewalt und Einschüchterung unterdrücken können", sagt Patricia Gossman von HRW gegenüber der Deutschen Welle.
Eine Reaktion auf die Bedrohung sei häufig Selbstzensur, dies deuten einige der befragten Journalisten an. Sie berichteten nicht über heikle Themen wie Korruption, Enteignungen, Gewalt gegen Frauen oder Menschenrechtsverletzungen. "Wir zensieren uns selbst für die Sicherheit unserer Mitarbeiter. Diese Leute reichen nicht einfach eine Beschwerde ein - sie könnten uns töten", wird ein Redakteur aus Kabul zitiert.
Hilft eine Kommission für Massenmedien?
Während des Wahlkampfes hatte Präsident Ashraf Ghani versprochen, dass er alle politisch motivierten und unbegründeten Anklagen gegen Journalisten fallen lassen würde. Er und sein "Chief Executive" Abdullah Abdullah haben sich außerdem dazu verpflichtet, die Meinungsfreiheit zu stärken und Journalisten zu schützen.
In seinem Bericht fordert die Menschenrechtsorganisation HRW Ghani auf, öffentlich alle Angriffe auf Journalisten und Medienorganisationen zu verurteilen sowie sicherzustellen, dass solche Vorfälle sofort untersucht und die Verantwortlichen belangt werden. Gossman fordert im DW-Interview, dass die Regierung gemeinsam mit afghanischen Journalisten und Medienorganisationen eine Kommission für Massenmedien einrichten solle, damit Journalisten dort Klagen über Angriffe einreichen können.
Afghanistan-Experte Kugelman zufolge würde Ghani ein starkes Zeichen für die Pressefreiheit setzen, wenn er die Justiz aufforderte, die Angreifer aufzuspüren, festzunehmen und anzuklagen. "Das könnte andere, die Anschläge auf Journalisten planen, abschrecken." Allerdings sei angesichts des Sicherheitsvakuums durch den Abzug der NATO-Truppen eher mit einer Verschlechterung der Sicherheit für Journalisten zu rechnen.