Vor 50 Jahren im Kino: "Die Reifeprüfung"
2. Januar 2018Dustin Hoffman (als College-Absolvent Benjamin Braddock) treibt im grellen kalifornischen Sonnenlicht auf einer Luftmatratze im Pool. Sein demütigender Auftritt im Taucheranzug vor den Gästen der stolzen Eltern. Seine Fahrten mit dem knallroten Alfa Romeo über die Straßen Berkeleys und Beverly Hills.
Und dann natürlich die Begegnungen Hoffmans mit Anne Bancroft (Mrs. Robinson). Das Aufeinandertreffen des jungen, nachdenklichen Mannes mit der zutiefst frustrierten älteren Mutter und Ehefrau. Die Treffen der beiden im Hotel, im Haus, im Regen vor der Villa der Robinsons.
Schließlich Hoffmans Werben um Katherine Ross (Elaine), der Filmtochter von Mrs. Robinson. Das völlig missglückte Date in einem Stripclub. Der Ausflug der beiden in den Zoo, wo sie auf den künftigen Ehemann Elaines treffen. Die Aussprache in der Studentenbude von Hoffman. Und dann die denkwürdige finale Hochzeitsszene und die gemeinsame Flucht des jungen Paars, die Schlusseinstellung, die beide in der letzten Sitzreihe eines Busses zeigt.
All das sind ikonografische Szenen, die bis heute auf Filmhochschulen vorgeführt werden und die auch ihren Niederschlag fanden in den Werken von Regisseuren nachfolgender Generationen: "Sein Eindruck ist so tiefgreifend, dass man ihn als Filmemacher einfach nachahmen muss", schreibt beispielsweise der amerikanische Regisseur Marc Webb über den Film. "Die Reifeprüfung" (Originaltitel: "The Graduate“), der am 21. Dezember 1967 in New York und in Los Angeles Doppel-Premiere feierte und dann im Laufe des Folgejahres in aller Welt zu sehen war (die Deutschland-Premiere fand am 6. September 1968 statt), ist zweifellos einer der stilbildenden Filme des US-Kinos nach 1945.
Auf dem neuesten digitalen Stand: "Die Reifeprüfung"
Zum 50. Jubiläum wurde "Die Reifeprüfung" aufwendig restauriert und digital aufgefrischt. Er erlebte vor kurzem seine Kinowiederaufführung und kam als DVD bzw. Blu-ray heraus. "Die Reifeprüfung" hat die Zeit gut überstanden. Das können nicht alle Werke, die einst als filmische Meilensteine gefeiert wurden, nach einem halben Jahrhundert von sich behaupten. Vier Gründe sind ausschlaggebend.
1. Der innere Kern der Story
"Die Reifeprüfung" markiert zusammen mit ein paar anderen wenigen Werken des amerikanischen Kinos jener Zeit einen Einschnitt in der US-Filmgeschichte. Der Film stand am Anfang von "New Hollywood". Die Abkehr vom behäbigen Hollywood-Studiofilm hatte sich Mitte der 1960er Jahre angedeutet und war auch eine Reaktion auf gesellschaftliche und politische Umbrüche: "Es war der Beginn des Hippie-Zeitalters und die Einstellung zu Sex, Autorität und der Bedeutung des amerikanischen Traums, war im Begriff sich grundlegend zu verändern (…) Das Kino stand damals auf einer Grundlage von Keuschheit und konservativen Werten", heißt es im Booklet der Jubiläums-Ausgabe der DVD. Eine neue Regiegeneration ergriff in Hollywood das Zepter. Werke wie "Bonnie und Clyde", "Easy Rider" und eben "Die Reifeprüfung" sprachen neue, vor allem jüngere Publikumsschichten an.
"Die Reifeprüfung" bot Auflehnung und Revolution light
Während "Bonnie und Clyde" massiv Themen wie Gewalt und Anarchie ins Kino brachte und "Easy Rider" mehr oder weniger offen zum Widerstand gegen das konservativ-biedere Amerika aufrief, wählte Regisseur Mike Nichols eine Art sanften Umbruch: Der frisch gebackene College-Student Benjamin Braddock (Hoffman) ist weder Hippie noch Barrikadenstürmer. Er kommt aus gutbürgerlichem Elternhaus und steht vor Karriere, Ehe und gutdotiertem Job. Doch all das schlägt Braddock aus. Er lehnt sich auf andere Weise auf.
Das war die Botschaft der "Reifeprüfung", verpackt allerdings in ein Gewand, das alles andere als revolutionär wirkte: "Benjamin ist der halbe Außenseiter, ein Symbol der Langeweile im Konsumententraum der Eisenhower-Ära." Gerade deshalb entfaltete der Film aber eine so nachhaltige Wirkung. Die Charaktere aus "Easy Rider", so faszinierend sie auch waren, sind doch, schon rein äußerlich, Außenseiter. Braddock kam da schon eher aus der Mitte der (wenn auch gutsituierten) Gesellschaft.
Das US-Kino brach damals mit konventionellen Themen und Stilen
Darüberhinaus war "Die Reifeprüfung" der erste Film, der offen über die Beziehung eines jungen Mannes zu einer älteren, verheirateten Frau erzählte. Das erschütterte nicht zuletzt konservative Moralvorstellungen. Der Filmjournalist Lars Dammann weist in seinem Buch "Kino im Aufbruch: New Hollywood 1967-1976" allerdings auch nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass "viele junge Menschen der counterculture (…) um 1967, zur Entstehungszeit des Films, in ihrer Kritik an der Gesellschaft schon einige Schritte weiter vorangeschritten (waren)."
Sie seien, so Dammann, damals schon auf die Straße gegangen, "ließen sich die Haare lang wachsen, hörten Rockmusik, nahmen Drogen und gründeten Kommunen, kurz: Sie kultivierten einen alternativen Lebensstil". Benjamin Braddock stand der noch bevor, wenn er ihn überhaupt gewählt hätte…
2. Die ikonografischen Bilder
Die ikonografischen Bilder der "Reifeprüfung" haben auch nach einem halben Jahrhundert nichts von ihrer faszinierenden, fast irrealen Schönheit eingebüßt. Nichols und sein Kameramann Robert Surtees erzählen ihre Story vor allem über die Bildebene, setzten Dialoge nur spärlich ein. Was in den Köpfen der Protagonisten passiert, das erzählen sie über Kameraeinstellungen und Perspektivwechsel, über Blicke und Gesten. "Man kann 'Die Reifeprüfung' leicht als kunstvolle Aneinanderreihung ikonenhafter Einstellungen und Sequenzen sehen. Aber dem liegt ein spezielles Muster zu Grunde. Denn unter der kunstvollen Oberfläche von 'Die Reifeprüfung' enthüllt sich eine tiefe Logik: Mike Nichols versetzt uns in die Lage von Benjamin Braddock." (Charles Webb)
3. Das Spiel der Darsteller
Dustin Hoffman wurde mit "Der Reifeprüfung" zum Star, seinem zurückgenommenen Spiel, seiner sparsamen Gestik folgt man auch heute noch gebannt. ("Benjamin ist der typische, in Filmen gern genutzte Fish-out-of-Water-Charakter. Der sich in einer ihm fremden Welt behaupten muss (…) ein verlorenes Kind in einer Welt voller Erwachsener.") Der damals 30-jährige Hoffman, der im Film einen 20-Jährigen spielt, war tatsächlich nur sechs Jahre jünger als seine Filmpartnerin Anne Bancroft, die im Film die Mutter einer 19-jährigen Tochter darstellte.
Auch Bancroft lieferte eine mimische Meisterleistung als zutiefst frustrierte und verletzte Ehefrau ab. Die beiden ergänzten sich kongenial, ihre Filmcharaktere sind auch nicht eindimensional gezeichnet. Das wird gerade beim wiederholten Sehen des Films deutlich. Und Katherine Ross, Mrs. Robinsons Filmtochter, spielte in "Die Reifeprüfung" sowieso die Rolle ihres Lebens.
4. Kongenialer Soundtrack von Simon & Garfunkel
Nicht zuletzt die Musik des Films hat dazu beigetragen, dass "Die Reifeprüfung" zu einem Klassiker der Moderne wurde. Das Duo Simon & Garfunkel spielte das Album zum Film mit acht eigenen Kompositionen ein, der Jazzer, Pianist und Filmkomponist Dave Grusin steuerte vier weitere Titel bei. Während die meisten Songs schon zuvor auf anderen Simon & Garfunkel-Alben erschienen waren, wurde nur das berühmte "Mrs. Robinson" eigens für den Film eingespielt. Der Soundtrack entwickelte sich zum Klassiker und gilt als einer der besten der Filmgeschichte. Die Bild-Musik-Kombination von "Die Reifeprüfung" geht noch heute unmittelbar unter die Haut der Zuschauer.
Ironie der (Kino-)Geschichte ist es, dass genau 50 Jahre nach der Premiere von "Die Reifeprüfung", in der es ja um eine Art sexuelle Belästigung durch eine reifere Frau an einem jungen Mann geht, Belästigungs-Vorwürfe gegen Dustin Hoffman erhoben werden. Unter anderem soll er sich am Filmset von Volker Schlöndorffs "Tod eines Handlungsreisenden" einer jungen Frau gegenüber unsittlich verhalten haben. Hoffman entschuldigte sich wachsweich. Schlöndorff verteidigte Hoffman in der Wochenzeitschrift "Die Zeit": "Armer Dustin, ich wünsche dir, dass du, dein Ruf und deine tollen Filme nicht in den Abgrund hineingezogen werden. In den schwarzen Strudel, verursacht von den wahren Verbrechern in Hollywood, diesen pigs."
Alle nicht anders bezeichneten Zitate stammen aus dem Booklet der DVD/Blue-ray.
Die Jubiläumsausgabe von "The Graduate"/"Die Reifeprüfung" ist bei "Studiocanal" erschienen. Mit zahlreichen Extras, u.a. "Looking Back - Ein Film der 60er Jahre", Interviews mit Romanautor Charles Webb und mit Dustin Hoffman, Szenenanalyse, Die Rolle der Musik im Film, Dokumentation über Mike Nichols, Die Reifeprüfung - 25 Jahre später, Behind the Scenes etc.