Portugals krankes Gesundheitssystem
18. April 2016"Unsere Schule ist die älteste des Landes, sie bildet seit 135 Jahren Schwestern aus", sagt die Professorin Cândida Loureiro nicht ohne Stolz. Aber: "So schlimm wie jetzt war es noch nie. Nur etwa 30 Prozent unserer Absolventen finden einen Job."
Viele der 380 Absolventen, die jedes Jahr Portugals größte Krankenpflege-Fachhochschule verlassen, sehen sich deshalb gezwungen, auszuwandern. Auch die 22-jährige Catarina Rodrigues hat sich mit diesem Schicksal bereits abgefunden: "Wenn ich mit dem Studium fertig bin, werde ich wohl ins Ausland gehen müssen - am liebsten wäre mir die Schweiz."
Das arme Portugal leistet sich einen doppelten, teuren Luxus: Einerseits gehören die Ärzte und Pfleger des Landes zu den am besten ausgebildeten in Europa. Andererseits gehen immer mehr von ihnen nach ihrer kostspieligen Ausbildung ins Ausland, statt in der Heimat zu arbeiten. Allein im vergangenen Jahr taten das 707 Mediziner und 2768 Krankenpfleger.
Geringe Löhne, schlechte Perspektiven
Pfleger und Schwestern verdienen in Portugal rund 1000 Euro netto, Ärzte 1500 Euro - wenn sie denn überhaupt einen Job finden. Von der Arbeitsplatzsicherheit ganz zu schweigen: Vor allem Krankenpfleger bekommen oft nur Zeitverträge. Andere müssen als Scheinselbstständige für Unternehmen arbeiten, die sie dann oft unter Tariflohn an den staatlichen Gesundheitsdienst SNS oder Privatkliniken "vermieten", wie die Hochschuldozentin Cândida Loureiro berichtet.
Wie in Großbritannien gibt es in Portugal kein Krankenversicherungssystem. Der für Patienten weitgehend kostenlose staatliche Gesundheitsdienst jedoch muss wegen der Dauerkrise sparen - und das schon seit Jahren und so viel, dass es in vielen Polikliniken und Krankenhäusern nicht nur an Ausrüstung, sondern auch an Personal fehlt.
Vielen Medizinern, die auswanderten, gehe es nicht einmal so sehr ums Geld, sondern um die frustrierenden Arbeitsbedingungen, versichert Carlos Cortes vom portugiesischen Ärzteverband: "Viele meiner Kollegen, die weggegangen sind, sagen, sie fühlten sich zum ersten Mal beruflich anerkannt und verwirklicht."
Ausbildung kostet den Staat viel Geld
Portugals Gesundheitspolitik sei unverantwortlich und wirtschaftlich unsinnig, meint Cortes, der für seine Kollegen aus der Landesmitte zuständig ist. Das Land müsse endlich finanzielle und berufliche Anreize schaffen, junge Ärzte in Portugal zu halten. Es gehe nicht an, dass Mediziner im Gesundheitsdienst in schlecht ausgerüsteten Kliniken arbeiten müssten und wegen der staatlichen Sparpolitik nicht befördert würden.
Obendrein kostet der Ärzte-Exodus dem Staat viel Geld: Schätzungsweise 100.000 Euro investiert Portugal in die Grundausbildung eines Mediziners, in die von Fachärzten sogar zwischen 200.000 und 400.000 Euro.
Ein weiterer Kostenfaktor ist, dass Portugal Mediziner aus Kuba und Spanien "importiert", um den Ärztemangel vor allem in der Provinz zu bekämpfen. Cortes' Schluss: "Wir brauchen endlich eine Gesundheitspolitik, die dem Land dient, statt ihm, den Patienten und den Beschäftigten im Gesundheitsbereich zu schaden."
Im Ausland gefragt
Noch dramatischer als die Situation der Ärzte ist die der Pfleger und Schwestern. "Für uns geht es ums Überleben", klagt die Pflege-Studentin Ana Isabel Carvalho. Sie besucht das letzte Jahr der Fachhochschule in Coimbra; was danach kommt, weiß sie nicht - wie die meisten ihrer Kollegen. Die Aussichten sind alles andere als rosig: Selbst wenn sie einen Job in Portugal findet, bleibt bei Mietpreisen um die 500 Euro kaum Geld zum Leben. "Das ist ungerecht! Einerseits verlangt der Staat von uns ein vierjähriges Studium, andererseits will er uns nicht angemessen bezahlen."
Immerhin wird die gute Ausbildung in anderen Ländern hoch geschätzt. Immer mehr ausländische Institutionen suchten Pfleger und Schwestern aus Portugal, berichtet Cândida Loureiro, die an der Fachhochschule Coimbra auch für die Betreuung der Studienabsolventen verantwortlich ist. "Wir bekommen Anfragen aus ganz Europa", stellt sie fest. "Unser Pflegepersonal wird überall gern eingestellt."
Überall - außer in Portugal. Studentin Carvalho hat bereits Kontakte nach England und Luxemburg geknüpft. Mit sehr viel Glück könnte sie aber auch einen Arbeitsplatz in Portugal finden. Dort hat die Regierung gerade wieder die 35-Stunden-Woche eingeführt. Darum muss der staatliche Gesundheitsdienst in nächster Zeit rund 1500 Pfleger und Schwestern einstellen. Wenigstens ein Hoffnungsschimmer.