Tourismusboom mit Schattenseiten
28. März 2016In der sonnigen Algarve sind für den Sommer kaum noch Zimmer frei, auf den Azoren werden die Mietautos knapp. Lissabon und Porto melden ständig steigende Besucherzahlen und sogar in weniger bekannten Regionen wie dem Alentejo oder in Nordportugal tummeln sich immer mehr Touristen. Portugal verzeichnet einen Urlauberboom wie noch nie: Im vergangenen Jahr kamen mehr als 17 Millionen Gäste - fast doppelt so viele wie das Land Einwohner hat.
"Wir profitieren natürlich auch von der Weltlage", sagt der Tourismusunternehmer und ehemalige Staatssekretär Bernardo Trindade. Die Wirren des arabischen Frühlings, die Flüchtlinge in Griechenland sowie die Attentate in der Türkei oder in Paris seien mindestens ebenso für den Gästeanstieg verantwortlich, wie der Ausbau und die Modernisierung touristischer Strukturen im ganzen Land. Portugal erscheine wie eine Insel des Friedens und werde für Sonnenhungrige aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland immer attraktiver. Tendenz ständig aufwärts, freut sich der Reiseveranstalter und Hotelier.
Tourismus als Aufschwungshelfer
Rund 2,5 Milliarden Euro haben die Urlauber im vergangenen Jahr in Portugal gelassen und so den Tourismusbereich zu einer der wichtigsten Einnahmequellen im Dauerkrisenland gemacht. Die Zahl der Arbeitsplätze sei im vergangenen Jahr um rund 150.000 angestiegen, freut sich die Tourismusbehörde. Rund 30 neue Hotels seien eröffnet worden; etwa ebenso viele dürften es in diesem Jahr werden. Bereits jetzt sind viele Hotels in der Algarve für die Sommermonate ausgebucht - vor allem von Briten, die nicht nur Sonne, sondern auch Sicherheit suchen. Für sie macht das starke Pfund inzwischen selbst die teuren Luxusresorts erschwinglich.
Aber auch bis jetzt weniger beliebte Ziele melden höhere Besucherzahlen. Seit diverse Billigfluglinien die nordportugiesische Handelsstadt Porto anfliegen, ist dort ein wahrer Boom ausgebrochen. In die historische Altstadt am Douro-Fluss sei das Leben zurückgekehrt, schwärmt Handelskammer-Präsident Nuno Botelho. Wegen der Touristen haben dort einst leerstehende Geschäfte neu eröffnet; aus verfallenen Häusern sind schicke Hotels und Hostels geworden. Sofia Maia betreibt das Porto Vintage Guesthouse im Stadtzentrum. "Es kommen immer mehr Besucher nach Porto", freut sich die Unternehmerin. "Der Tourismus ist zum wichtigsten Wirtschaftszweig in der Stadt geworden." Nach oben sei noch viel Spielraum, die Besucherzahlen würden weiter wachsen.
Probleme für Anwohner
Die vielen Urlauber haben in Lissabon allerdings schon zu Problemen geführt. Die historischen Viertel der Hauptstadt würden von Touristen förmlich überrannt, klagt Luís Paisana vom Verband der Bewohner des Stadtteils Bairro Alto. Durch die engen Straßen des Viertels knattern Tuk-Tuks - zu Touristenrikschas umgebaute Motorräder. Nachts verwandeln sich Erdgeschoßwohnen in improvisierte Bars, wo billiges Bier übers Fensterbrett verkauft wird. Die vielen Kneipen mit ihren späten Schließungszeiten machten den Anwohnern das Leben zur Hölle, sagt Paisana. Alte, günstige Wohnungen würden zu teuren Apartments umgebaut, die dann oft illegal über Internetplattformen an Touristen vermietet würden. "Immer mehr Senioren müssen ihr soziales Umfeld verlassen, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können", berichtet Paisana. Einer Rentnerin habe der Vermieter sogar die Treppe zu ihrer Wohnung abgerissen, damit sie auszieht.
Da niemand auf die Tourismuseinnahmen verzichten wolle, werde selbst gegen die schlimmsten Auswüchse nichts getan, klagt Paisana. Es gebe kaum Kontrollen und statt das Kurzzeitvermieten in alten Wohngegenden zu erschweren, habe die Regierung es sogar noch erleichtert. Immerhin: In Zukunft werden in Lissabon nur noch neue Tuk-Tuks mit Elektromotor zugelassen, dadurch wird der Lärm etwas weniger werden. "Alles nur Kosmetik", wettert der Anwohnersprecher Paisana. Das eigentliche Problem werde dadurch nicht gelöst: "Die Stimmung kippt, die Lissabonner sind auf die Touristen immer schlechter zu sprechen."
Gewachsene Strukturen bewahren
Auch die Guesthouse-Besitzerin Sofia Maia aus Porto ist sich dieser Tendenzen bewusst. "Wir müssen versuchen, den Tourismus zu entwickeln, ohne gewachsene Strukturen zu zerstören", sagt sie. Schließlich kämen viele Besucher ja genau deshalb, weil sie das wahre Porto kennenlernen wollten.
Die Bewohner der Algarve, wo mit etwa zwei Dritteln der Besucher der Großteil der Touristen Urlaub macht, haben sich dagegen längst an die alljährliche Invasion gewöhnt. Und Portugals Regierung - immer darauf aus, neue Einnahmequellen zu erschließen - hat bereits eine neue Zielgruppe ausgemacht: Sie versucht jetzt, zahlungskräftige Rentner und Pensionisten anzulocken. Die sollen Portugal als Zweitwohnsitz wählen und so zu Hause weniger Steuern bezahlen.