Griechenland: Polizisten an Universitäten
26. Februar 2021Vom Dekanat der Aristoteles-Universität Thessaloniki hängt ein Plakat. Einige hundert Studenten halten das Gebäude besetzt - auf einem pandemiebedingt sonst menschenleeren Campus. Beinahe gleich viele Polizisten stehen ihnen gegenüber, mitten auf dem Universitätsgelände. Die Studenten demonstrieren gegen ein kürzlich erlassenes Gesetz, das vorsieht, Polizisten auf dem Campus zu stationieren. Die Regierung will so gegen angeblich kriminelle Machenschaften an den Universitäten vorgehen. Dort aber vermutet man andere Motive. Lehrende und Studierende sorgen sich um ihre Freiheitsrechte und erinnern an die wichtige Rolle der Universität in der griechischen Geschichte.
Wunden der Vergangenheit
Fotini Tsibiridou, Professorin an der Makedonien-Universität von Thessaloniki, ist eine von über 1000 Akademikern, die gegen das neue Gesetz protestieren: "Ich befürchte eine Militärkultur, die zusammen mit der Polizei in die Universitäten einzieht. Diese aber passt nicht zur freiheitlichen Grundlage des Dialogs und des kritischen Denkens." Vielmehr verbinde man mit der Polizei eine Kultur der Unterdrückung. Aus Tsibiridous Worten hallt ein Kulturkampf, der das politische und gesellschaftliche Leben in Griechenland seit Jahrzehnten beherrscht.
Die Besatzung Griechenlands durch Hitlers Wehrmacht mündete in einem blutigen Bürgerkrieg, der zwischen linken Partisanen in Nordgriechenland und der konservativen Regierung in Athen ausgefochten wurde. Seitdem stehen sich Linke und Rechte unversöhnlich gegenüber. Tsibiridou sieht die Wurzel des heutigen Konflikts in dieser Zeit: "Aufgrund dieses Bürgerkriegssymptoms, das auch zur Militärjunta in den Jahren 1967 bis 1974 geführt hat, gibt es viele hässliche Erinnerungen an die Polizei." 1974 endete die Zeit der Militärjunta nicht zuletzt dadurch, dass ein Studentenaufstand an der Athener Universität niedergeschlagen wurde. Mit dem anschließend eingeführten Uni-Asyl galt die Universität seitdem als Schutzraum für politisch Verfolgte - bis die Regierung es 2019 aufhob und nun die Polizei sogar auf dem Campus stationieren will.
Bessere Bildung durch Polizei?
Thedoros Kallitsis versteht die Aufregung nicht. Er ist Vorsitzender der Nea Dimokratia in Thessaloniki, Griechenlands zweitgrößter Stadt und Sitz der größten Universität des Landes. Er steht hinter Parteichef und Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und dem neuen Gesetz. Sein Traum: Thessaloniki wird zum kulturellen und wissenschaftlichen Zentrum des Balkans. Dabei spielten die Universitäten eine wichtige Rolle, doch es fehle an Sicherheit, sagt er: "Die Aufgabe der griechischen Polizei ist es, die Universitäten dabei zu unterstützen, die Sicherheit von Studierenden und Lehrkräften zu gewährleisten."
Dann beginnt er von der Campuskriminalität zu sprechen. Diebstähle, zum Beispiel, bei denen Ausstattung gestohlen werde, um Drogen herzustellen, und Aktionen politischer Gewalt radikal-linker Gruppen, die in Griechenland immer wieder auftreten. Eine davon ereignete sich im Oktober. Linke Studenten hatten den Dekan der Athener Wirtschaftsuni überfallen und ihn gezwungen, ein Schild mit einer Solidaritätsbekundung für die von Linken besetzten Häuser in Athen und Thessaloniki zu tragen. Die Mitte-Rechts-Regierung von Kyriakos Mitsotakis hatte seit 2019 viele davon gewaltsam räumen lassen.
Während des Interviews mit Kallitsis ertönen Polizeisirenen. Die Innenstadt ist teilweise abgeriegelt. Bereits am Nachmittag war es zu Ausschreitungen zwischen wütenden Studenten und Einsatzgruppen der Polizei gekommen, die sich nur zu gerne provozieren ließen. Kallitsis versteht die Kritik nicht, auch nicht vor dem historischen Hintergrund: "Es wird ein privater Sicherheitsdienst geschaffen, der von der Polizei bezahlt wird. Dieser untersteht dann der Universitätsverwaltung. Die Polizisten werden nicht bewaffnet sein." Ganz so einfach aber ist das nicht. Die Campus-Polizisten dürfen Personen durchsuchen, vorläufig festnehmen und befragen. Das geht weit über die Kompetenzen eines Sicherheitsdienstes hinaus. Genau vor solchen Eingriffen in die Freiheit aber sollte das Uni-Asyl als Lehre aus der Militärjunta schützen.
Kallitsis ist sich sicher: Mehr Sicherheit, bessere Bildung. Auch wenn seine Partei den Bildungsetat der öffentlichen Universitäten partiell herunterschraubte und für sie keine Extramittel in Corona-Zeiten bereitstellt. Um satte 22,59 Prozent kürzte die Regierung für 2021 das Budget der Universitäten im Bereich Material und Dienstleistungen. Dabei sind die griechischen Unis, gerade wenn es um Hilfsmittel für beispielsweise Labors geht, chronisch schlecht ausgestattet.
Mehr Polizei, weniger Sicherheit?
Mit dem neuen Gesetz steht die Regierungspartei Nea Dimokratia allein auf weiter Flur. Der überwältigende Großteil der Universitätsverwaltungen, selbst die sonst konservative Uni Athen, die Polizeigewerkschaft sowie prominente Mitglieder der Nea Dimokratia sprechen sich dagegen aus, Polizeibeamte in den Universitäten zu stationieren.
Die Universitäten haben der Regierung einen Gegenvorschlag bereitet: Sie fordern einen privaten Wachschutz auf dem Campus. Dabei klingt es für die Professorin Fotini Tsibiridou schon ironisch, dass gerade der jetzige Regierungschef Kyriakos Mitsotakis einen bestehenden Wachschutz abgeschafft hatte. Das war 2013 und der heutige Premier unterstand damals als Minister für Verwaltungsreform dem Sparzwang der Krisenjahre. Dieser Wachschutz aber fehle jetzt, erklärt Tsibiridou. Außerdem könnten ausreichende Beleuchtung, Sicherheitstüren und elektronische Alarmsysteme an Geräten Diebstahl vorbeugen. Polizei auf dem Campus sei ein symbolischer Akt der Regierung, der nur zu Konflikten führen werde.
Dr. Angelos Kaskanis ist politischer Analyst und Experte für Sicherheitsfragen. Auch er sieht Konfliktpotenzial, sollten uniformierte Polizisten in Zukunft auf dem Campus stationiert werden: "Ich befürchte, dass es zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Studenten kommen wird, einer Art urbanem Krieg. Alles, was in den Medien, von den Gewerkschaften oder von radikal linken Gruppen derzeit an Äußerungen verbreitet wird, deutet darauf hin. Sie sind in keiner Weise bereit, bei diesem Thema Zugeständnisse zu machen." Daher unterstützt auch Kaskanis die Forderung der Universitäten, einen privaten, speziell für Campus-Probleme ausgebildeten Wachschutz einzusetzen.
Beunruhigend findet Kaskanis auch Zeitpunkt und Geschwindigkeit, mit der die Regierung diesen radikalen Schritt durchsetze: "Mit Corona brauchte die Regierung nicht einmal eine große Mehrheit, um das Gesetz zu verabschieden. Dabei ist das eine Revolution." Die Opposition hätte kaum Zeit gehabt, Gegenargumente vorzubringen. Mit Blick auf die Tatsache, dass die politische Rolle der Universität im Selbstverständnis der jungen griechischen Republik einen so großen Stellenwert hätte, sei eine breite Debatte vonnöten, die alle beteiligten Institutionen und Parteien mit einbeziehe. Selbst ein Referendum sei vorstellbar. Eine ad-hoc Entscheidung aber würde dazu führen, dass sich beide Seiten weiter verhärten.