Politkowskaja-Angehörige fordern Aufklärung
9. Juni 2014Die Mitarbeiter der Zeitung "Nowaja Gaseta", für die Anna Politkoswskaja lange gearbeitet hat, bestehen auf weiteren Ermittlungen. Die Auftraggeber des Mordes dürften nicht im Dunkeln bleiben. Das fordern auch die Kinder der ermordeten Journalistin, Ilja und Vera. Gerade in dieser Frage gebe es bei den Ermittlungen große Probleme.
Ein Moskauer Gericht hat die unmittelbaren Vollstrecker des Mordes zu langen Gefängnisstrafen verurteilt: Rustam Machmudow zu lebenslanger Haft, seinen Bruder Dschabrail zu 14 Jahren und seinen Bruder Ibrahim zu 12 Jahren Straflager. Auch der Onkel der drei Brüder, Lom-Ali Gajtukajew, der das Verbrechen organisierte, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. An der Tat war auch der ehemalige Polizist Sergej Chadschikurbanow beteiligt. Er muss für 20 Jahre hinter Gitter.
Bereits im Frühjahr 2012 wurde in der gleichen Sache der ehemalige Polizeioberst Dmitri Pawljutschenkow zu elf Jahren Straflager verurteilt. Er hatte seine Verbindungen in den Behörden ausgenutzt, um die Zeitungsjournalistin Politkowskaja zu überwachen und den Mördern Waffen zu verschaffen.
Politkowskaja, eine scharfe Gegnerin von Kremlchef Wladimir Putin, war am 7. Oktober 2006 vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen worden, als sie gerade den Aufzug im Haus verließ. Die Mitarbeiterin der "Nowaja Gaseta" hatte vor allem aus dem Konfliktgebiet Tschetschenien im Nordkaukasus über Menschenrechtsverletzungen berichtet, woher auch die verurteilten Täter stammen. Menschenrechtler und Journalisten hatten jedoch auch spekuliert, ob es Drahtzieher in Russlands Machtapparat gegeben haben könnte, die Politkowskajas investigative Arbeit fürchteten.
Die ersten Prozesse
Es ist schon der dritte Prozess im Fall Politkowskaja. Der erste endete 2009 mit Freispruch. "Damals hatte man das Gefühl, dass diese Männer an der Tat beteiligt gewesen waren, aber feste Beweise hatte man zu diesem Zeitpunkt nicht", erinnert sich die Gerichtsreporterin der "Nowaja Gaseta", Nadeschda Prusenkowa. Polizeioberst Pawljutschenkow sei während des ersten Prozesses als Zeuge und nicht als Angeklagter geführt worden. Viel habe er damals nicht gesagt.
Ferner hätten während des ersten Prozesses die Ermittler nicht ordentlich genug gearbeitet. Dies habe der Anwalt der Angeklagten ausgenutzt, meint Alexander Tscherkasow von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial: "Wegen des unsorgfältigen Umgangs mit Beweisen gelang es dem Anwalt Murad Musajew, die Geschworenen davon zu überzeugen, die Anklage sei insgesamt ungerechtfertigt."
Auch der zweite Prozess endete ergebnislos, da die Jury aufgelöst wurde. Doch seitdem hat sich einiges geändert. Pawljutschenkow wurde vom Zeugen zum Angeklagten. Er gestand und arbeitete mit den Ermittlern zusammen. Der ehemalige Polizeioberst sagte, Rustam Machmudow und Lom-Ali Gajtukajew seien seine Komplizen gewesen.
Schwierige Bedingungen
Während des dritten Prozesses, der im Januar 2014 begann, prüfte das Gericht zudem die Aussagen von Pawljutschenkows einstigen Untergebenen Oleg Golubowitsch. Der Polizist war Zeuge vieler Treffen, bei denen der Mord geplant wurde. Auf eigene Initiative meldete er sich bei der "Nowaja Gaseta" und erklärte sich bereit auszusagen, wenn ihm und seiner Familie Sicherheit garantiert werde. "Er war frisch verheiratet, hatte ein Baby. Die 'Nowaja Gaseta' verschaffte ihm eine sichere Unterkunft im Ausland, wo er jetzt lebt", so die Journalistin Nadeschda Prusenkowa.
"Erst wollte niemand Golubowitsch glauben, weil er dieser kriminellen Gruppe angehörte", sagt Politkowskajas Sohn Ilja im Gespräch mit der Deutschen Welle. Aber der Polizist habe viel drüber berichtet, wie er Gelder gesehen und den Gesprächen der oft betrunkenen Männer zugehört habe. Seine Angaben hätten die Ermittler gut mit anderen Fakten vergleichen können.
Der Menschenrechtler Alexander Tscherkasow weist darauf hin, dass die Ermittler insgesamt unter widrigen Bedingungen hätten arbeiten müssen. "Wenn die Öffentlichkeit an kein faires Verfahren glaubt, wenn die Staatsanwaltschaft schlecht arbeitet und wenn Gerichte unter Druck gesetzt werden, dann ist es sehr schwierig, einen Prozess zu führen, der auch Skeptiker überzeugt", so der Memorial-Vertreter.Während des dritten Prozesses habe die Staatsanwaltschaft zwar bessere Arbeit geleistet. Doch endgültig geklärt sei das Verbrechen damit immer noch nicht.
Den Drahtziehern der Tat am nächsten dürften die beiden Verurteilten Pawljutschenkow und Gajtukajew stehen, glaubt Nadeschda Prusenkowa. Beide hätten den Mord geplant. Sie müssten am ehesten wissen, wer das Verbrechen in Auftrag gegeben habe. Doch dazu schweigen die Männer. "Vielleicht haben sie Angst", so Prusenkowa. Sie betont, dass die Ermittler noch viel zu tun hätten. Ilja Politkowski geht davon aus, dass sich die Männer viele Jahre mit Auftragsmorden beschäftigt haben. "Mir ist klar, dass jetzt nur ein kleiner Kreis der Beteiligten an dem Verbrechen verurteilt wurde. Es gibt noch viele andere."