Paartherapie auf offener Bühne
15. Dezember 2017"Schirme. Wir brauchen Schirme." Da hat Generalsekretär Andreas Scheuer einen CSU-Parteitag mit tausend Delegierten und ähnlich vielen Journalisten und Gästen vorbereitet, und nun fällt hässlicher Schneeregen aus dem Dezember-Himmel über Nürnberg. Jetzt, wo die CDU-Vorsitzende Angela Merkel naht. Zwei Minuten später ist die Kanzlerin da, der Schirm auch. Und Merkel hält den Regenschutz entschlossen in ihrer Rechten. Sie weiß wohl, dass sie bei den Parteifreunden der CSU auch schon mal im Regen stand.
Aber diesmal geht es um neue Einigkeit der Unionsparteien. In Berlin suchen sie seit Monaten nach einer neuen Koalition. Da müssen CDU und CSU an einem Strang ziehen. So verschwindet Merkel, die direkt vom EU-Gipfel in Brüssel ins Bayrische kam, zunächst für knapp 15 Minuten mit Seehofer zum Gespräch im kleinen Rahmen, bekräftigt da, dass sie eine "starke CSU" wolle. Sie sagt Horst zu ihm, er zu ihr "Angeela". Seehofer spricht immer ein ganz langes "e". "Angeela".
Als Seehofer Merkel vorführte
Angela Merkel und die CSU-Parteitage. Das ist eine ganz eigene Geschichte. Traditionell besuchen die Spitzenkräfte der Unionsparteien einander bei den Parteitagen. Das war auch im November 2015 so, als Deutschland Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen hatte - und die CSU von Merkel einen Kurswechsel forderte: Grenzkontrollen, Obergrenze, Abschiebung. Parteichef Seehofer sorgte dafür, dass aus dem kühlen Empfang für Merkel beim Parteitag in München ein Spießrutenlauf wurde. Gut 15 Minuten lang musste sie stehend auf der Bühne lauschen, wie der Christsoziale sie zusammenfaltete. Und ihr deutlich machte, dass er sich durchsetzen werde. Als Merkel gehen durften floh sie durch den Seiteneingang aus der Halle - und reiste 2016 zum CSU-Treffen, wieder in München, erst gar nicht an. Geschwisterliebe kann auch zwischen Schwesterparteien erkalten.
Nun Nürnberg. Merkels Auftritt ist der absolute Höhepunkt des ersten Sitzungstages. Über Stunden waren die rund 1000 Delegierten-Plätze gerade einmal zur Hälfte gefüllt. Bis zur Ankunft der Kanzlerin.
Als sie dann zur großen Halle geht, nutzt der ein oder andere Delegierte die Gelegenheit für ein Foto. Eine Frau, eine einzige, klatscht. Fast schüchtern. Es ist so ruhig, dass Merkel es hört und im Gehen hinüberschaut. Nur einmal kommt der Tross ins Stocken. Da schenkt ihr jemand eine ganze Tüte voll Lebkuchen. Überall ist Advent. In der Christkindlmarkt-Stadt Nürnberg erst recht.
"Ob Sie es glauben oder nicht..."
Die Kanzlerin geht sofort auf die Bühne, begleitet von Marschmusik, die zum Mitklatschen einlädt. Und gleich ihr erster Satz löst alle Spannung im Saal. "Ob Sie es glauben oder nicht: Ich freue mich richtig, wieder auf einem CSU-Parteitag zu sein." Da lachen viele, da bricht das Eis. Sie wissen... 2015....
Die CDU-Chefin sagt das politisch Erwartbare. Sie freue sich, dass die Sozialdemokraten sich gerade für Sondierungsgespräche entschieden hätten, habe dafür "großen Respekt" und hoffe auf baldige Regierungsbildung in Berlin. Sie umgarnt all jene, die für Arbeitsplätze sorgen. Sie benennt die Probleme im ländlichen Raum, wo es zu wenig Ärzte gibt und Schulen schließen. Sie erteilt der von der SPD favorisierten Bürgerversicherung, die das Gesundheitswesen in Deutschland neu prägen würde, eine Absage. Und sie betont den Gleichklang mit der CSU, Zuwanderung steuern und begrenzen zu wollen. Und wer in Deutschland lebe, müsse sich an Recht und Ordnung halten.
"Twitter-Signal zum Klatschen?"
Das kommt an. Aber der Parteitag in der nun überfüllten Halle fährt vor allem auf ihre lockere und persönliche Rede ab. Da lästert sie über jene, die nur am Computer hingen, aber beim Abendbrot kein Wort mehr sprächen. Sie redet darüber, dass ja der Ernst des Lebens in der Schule beginne; doch wie solle ein Kind da Spaß am Lernen haben? Ernst werde es noch früh genug, findet Merkel. Und als sie einmal von Beifall überrascht wird, fragt sie in den Saal: "Gab's da grad mal ein #Twitter-Signal zu klatschen? Oder was ist da passiert?" Die Halle jubelt. Und Merkel spürt das. In dem Stil wirbt sie auch regelrecht für Seehofer, der so wichtig und hilfreich sei bei Sondierungen in Berlin.
"Lieber Horst. Wir sind dafür bekannt, dass wir es uns in unserem Leben nicht immer einfach miteinander gemacht haben", sagt sie zum Ende ihrer Rede. "Irgendwann wollte ich schon mal die Platte auflegen 'Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht‘. Es wäre bald mal wieder so weit." Paartherapie auf offener Bühne.
Die Delegierten stehen nach 29 Minuten Rede auf und spenden ihr stehend Applaus. Jubel-Stimmung. Es bleibt die einzige große Rede dieses ersten Parteitags-Tages. "Liebe Angeela", erwidert Seehofer, "auch wenn Du es mir nicht glaubst: Ich freue mich, dass Du wieder bei einem CSU-Parteitag bist..." Er vergisst dann aber doch nicht, Merkel daran zu erinnern, dass sie ohne die Stimmen der CSU-Bundestagsabgeordneten keine Regierungs-Mehrheit haben werde.
Dankbar für Emotionalität
Und die Delegierten? Wie fanden sie die Rede? "So gut wie immer", sagt Bundestags-Vizepräsident Hans-Peter Friedrich. So kurz und knapp es ist, so doppeldeutig bleibt es. "Sehr kompetent. Sichtlich gut vorbereitet", urteilt die Landtagsabgeordnete Mechthild Wittmann aus München. Und es werde klar, dass beide C-Parteien an einem Strang zögen. Skeptischer zeigt sich Benedikt Graf von Bentzel, Herr von Schloss Thurn und Unternehmer. Merkel habe geredet "so, wie sie immer ist". Habe viel gesagt, was den Menschen wichtig sei. Aber es fehle einfach mal "Tacheles", es fehle das Konkrete.
Trotzdem: Die meisten sind dankbar für die Emotionalität des Auftritts. "Sehr gute Rede. Direkt. Und sie hat mal Emotionen gezeigt", sagt Thorsten Wozniak, Bürgermeister von Gerolzhofen bei Schweinfurt. Er sei nicht immer einer Meinung mit ihr. "Aber man spürt, dass sie einfach sehr sehr souverän ist und eine Linie hat."
Da ist Merkel, nach 70 Minuten Parteitag und einigen Selfies mit Delegierten, schon wieder auf dem Weg zum Flughafen. Und die CSU‘ler diskutieren bei Haxn und Bier und einem bayrischen Abend über die Perspektiven bei der Landtagswahl im Herbst, der ersten im Jahr 2018. Auch dafür brauchen sie bald Klarheit in Berlin. Und Geschlossenheit seitens der CDU.