Politik für den Küchentisch
9. Januar 2019"Mein Ziel ist nicht, eine Frontstellung zur Wirtschaft einzunehmen", sagte Deutschlands Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, von den Christdemokraten (CDU). Die 46-jährige Bundesministerin, seit rund einem Jahr neu im Amt, stellte in Berlin den neuen "Ernährungsreport 2019" ihres Ministeriums vor.
Ihre Aussage war eine klare Stellungnahme zum Diskurs, ob der Staat der Land- und Ernährungswirtschaft Vorgaben machen soll oder nicht. Dieser wird in Deutschland seit vielen Jahren geführt. Klöckner will es nicht. Eine Zuckersteuer wie zum Beispiel in Großbritannien wird es also auf absehbare Zeit nicht geben.
Zahl der Vegetarier überschaubar
Im Ernährungsreport, eine repräsentative Umfrage unter 1000 Personen, fand Klöckner eine Bestätigung ihrer Strategie. Das Allerwichtigste sei der Umfrage zufolge, "dass es schmeckt". Demzufolge, so die Ministerin, sei es falsch, zum Beispiel den Zuckergehalt um die Hälfte zu reduzieren. Dann würden diese Produkte nicht mehr gekauft.
Die Ministerin setzt dagegen auf Freiwilligkeit. Im Dezember brachte sie eine "Reduktions- und Innovationsstrategie" auf den Weg. Damit sollen Zucker, Salz und Fette langfristig reduziert werden - vor allem in den noch immer in Deutschland sehr beliebten Fertigprodukten.
Größere Veränderungen zu den Vorjahren erbrachte der Ernährungsreport nicht. Der Anteil der Menschen, der ab und an selbst kocht, ist stabil geblieben. Andererseits wird aber auch - arbeitsbedingt - mehr in Restaurants und Kantinen gegessen. Die Deutschen ernähren sich ausgewogen. Fleisch und Wurstwaren sind weiterhin beliebt - wieder mehr auch bei jungen Menschen. Obst und Gemüse wird von den meisten regelmäßig gegessen - mehr noch in Ost- als in Westdeutschland. Der Anteil an Vegetariern betrage sechs, der an Veganern ein Prozent - also ein noch immer überschaubarer Anteil.
Vertrauen in Lebensmittel zurückgegangen
Ein Punkt allerdings überraschte, sagte Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, das die Umfrage durchführte. Das Vertrauen in Lebensmittel sei im Jahresvergleich um fünf Prozentpunkte - von 77 auf 72 Prozent - zurückgegangen. Für fünf Prozent der Befragten seien Lebensmittel inzwischen sogar "gar nicht" mehr sicher.
Der Experte erklärt sich das Ergebnis mit dem in Deutschland flächendeckend gesunkenen Vertrauen in Institutionen, so Güllner. Das bekäme nun auch die Lebensmittelbranche zu spüren. Viele Bürger glaubten den Firmen nicht mehr, wenn diese sagten, die Lebensmittel seien nachhaltig produziert. Das Ergebnis erstaune dennoch, weil es im vergangenen Jahr keinen großen Lebensmittelskandal in Deutschland gegeben habe. Möglicherweise sei aber die Diskussion um das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat eine Erklärung.
Die Ministerin äußerte sich nicht explizit dazu. Sie verwies allerdings auf ihr Vorhaben, in den kommenden Wochen ein staatliches "Tierwohl-Label" auf den Weg zu bringen. Solche Bezeichnungen gäbe es bereits viele, so Klöckner, aber Quantität sei hier nicht Qualität. Doch viele Bürger, auch das ergab die Umfrage, wollen eine artgerechte Tierhaltung.
Von der Ministerin wird es, anders als noch unter ihrem Amtsvorgänger, keinen Vorstoß für ein Schulfach Ernährung geben. Stattdessen setzt Klöckner auf Bildung und auf Innovation. So werde derzeit an Zucker aus Zuckerrüben geforscht, der viel weniger Kalorien enthalten soll. "Gesunder Zucker" - das wär' doch was, so Klöckner.
Scharfe Kritik am Weg der Freiwilligkeit
Darauf wollen allerdings nicht alle warten und hoffen. Die Organisation Foodwatch kritisierte, Klöckner verteidige "wirtschaftliche Interessen gegen Anliegen des Verbraucherschutzes, wenn sie allein auf freiwillige Maßnahmen setzt". Ein freiwilliges "Tierwohl-Label" werde am "katastrophalen Gesundheitszustand zahlreicher Nutztiere" kaum etwas ändern und eine freiwillige Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie, den Zucker zu reduzieren, sei "zum Scheitern verurteilt".
Auch die Deutsche Diabetes-Gesellschaft kritisierte, alle Maßnahmen, den Salz-, Zucker- oder Fettgehalt in ungesunden Lebensmitteln zu reduzieren, seien bisher ins Leere gelaufen, weil sie auf Freiwilligkeit basierten. Lebensmittel müssten auf der Vorderseite sichtbar gekennzeichnet werden, forderte Geschäftsführerin Barbara Bitzer. Für die effektivste Maßnahme gegen ungesunde Lebensmittel halte sie eine Steuer auf Produkte mit viel Zucker, Fett und Salz.