Deutsche deutlich zu dick
19. Dezember 2018Das Problem, das halb Deutschland hat, ist rund, 400 Gramm schwer und extrem preiswert. Es lockt den Gaumen mit zerlaufendem Käse, mit feuriger Salami und knusprigem Teig. Ein schneller Griff ins Tiefkühlregal, und die beliebte Schnellkost landet zunächst im Einkaufswagen, dann in Ofen oder Mikrowelle und schließlich auf dem Teller. Man gönnt sich ja sonst nichts. Das Problem, das halb Deutschland hat, heißt Tiefkühlpizza.
"Eine solche Pizza, am schlimmsten noch mit extra Käserand, sind eigentlich zwei Mahlzeiten für einen Erwachsenen. Eine Hälfte deckt den Kalorienbedarf einer Mahlzeit also vollständig ab. Doch wer isst schon eine Hälfte und friert die andere wieder ein?" fragt Gabriele Janthur. Kämpft man sich mit der Verbraucherschützerin durch die engen Gänge eines Supermarktes, versteht man sehr schnell, warum mittlerweile 52 Prozent der Deutschen übergewichtig sind, Tendenz steigend.
"Die Portionen sind zu groß und die Kalorienangaben unverständlich und versteckt. Hinten auf der Packung stehen 266 Kilokalorien. Das gilt aber nur für 100 Gramm!" In der standardmäßigen Tiefkühlpizza von rund 400 Gramm verstecken sich also über 1000 Kilokalorien. Eine echte Bombe.
Schwierige Mission für Julia Klöckner
In den Industrieländern können viele Menschen der Tiefkühlpizza trotzdem nicht widerstehen. Mittlerweile gibt es weltweit mehr Übergewichtige als Untergewichtige, mit fatalen Folgen: erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes. Auch Herzinfarkte und Schlaganfälle sind wahrscheinlicher, ein früherer Tod sowieso. Die Politik versucht verzweifelt, entgegenzusteuern, vor allem mit Aufklärung und Prävention. In Deutschland ist das der Job von Julia Klöckner.
Die CDU-Politikerin ist seit März Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Schon der Name des Ministeriums verrät, dass Klöckner vor einer fast unlösbaren Mission steht: Zum einen soll sie die Rechte der Verbraucher schützen, zum anderen die Interessen der Ernährungsindustrie im Blick haben. Immerhin hat Klöckner jetzt mit mehreren Branchen der Lebensmittelwirtschaft vereinbart, bis 2025 Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten zu reduzieren. Sie weiß aber auch: Junge und Alte werden sich nur ausgewogener ernähren, wenn der Preis stimmt.
"Wir haben bei unseren zahlreichen Initiativen in Schulen und Seniorenheimen gemerkt, dass gesundes Essen besser und gleichzeitig preiswerter sein kann." Also nicht so, wie zu Klöckners Studienzeiten: "Das preiswerteste Essen in der Mensa war damals immer Currywurst mit Pommes und das teuerste der Salat von der Salatbar. Da dürfen wir nie wieder hin!"
Industrieampel statt Verbraucherampel?
Dario Sarmadi hätte da schon so eine Idee, um das zu verhindern. "Die Produzenten von überzuckerten Getränken sollten eine Abgabe zahlen und damit einen Anreiz bekommen, gesündere Rezepturen zu entwickeln." fordert der Ernährungsexperte der Organisation "Foodwatch". In Großbritannien werden die Hersteller seit April mit einer Zuckersteuer für Getränke mit hohem Zuckergehalt zur Kasse gebeten. "Coca-Cola hat deswegen dort die Rezepturen verändert und verkauft Limonade mit weniger Zucker. Die Bundesregierung muss endlich aufwachen." Dazu gehöre auch, den Herstellern bei der Werbung genauer auf die Finger zu schauen. "Drei von vier beworbenen Lebensmitteln für Kinder sind Zuckerbomben und fettige Snacks".
Vor allem aber müsse endlich eine Lebensmittelampel in Deutschland her: rot für einen zu hohen Anteil an Fett, Zucker und Salz, gelb für ein tolerables Maß, grün für eine niedrige und damit gesunde Menge. Nur: Das EU-Parlament hat die Ampel abgelehnt. "Frau Klöckner könnte trotzdem eine freiwillige Ampel in Deutschland einführen", fordert Sarmadi und warnt davor, dies der Industrie zu überlassen: "Die hat jetzt eine eigene Ampel vorgestellt, die eine Mogelpackung ist: Da hat Nutella, was zu 90 Prozent aus Fett und Zucker besteht, allerdings kein rot, sondern noch gelb bekommen!" Der simple Trick: Die Industrieampel bemisst die Werte an viel zu kleinen Portionsgrößen.
Ernährungsgewohnheiten haben sich geändert
Und so bleibt dem Verbraucher bislang nur, sich an Qualitätssiegeln zu orientieren. Gabriele Janthur packt eine Milch mit "EU-Bio"-Siegel in ihren Einkaufswagen. Das heißt, die Milch wurde aus ökologischem Landbau gewonnen, die Kühe artgerecht gehalten. "Die Milch steht natürlich ganz hinten im Supermarkt", so die Verbraucherschützerin, "weil da jeder hin muss und damit man an möglichst vielen anderen Produkten vorbeikommt".
Wie zum Beispiel auch an der Tiefkühlpizza. "Ernährung ist heutzutage einfach ein sehr schwieriges Feld, weil wir bei allen Gelegenheiten und in allen Situationen essen und es alles im Überfluss gibt" fasst Janthur zusammen, wie kompliziert es heutzutage ist, sich gesund zu ernähren. Umso schwieriger sei es auch für sie, den Supermarkt glücklich zu verlassen. "Wenn ich viel Obst und Gemüse gekauft habe, es im Einkaufswagen also schön grün ist, dann bin ich zufrieden!"