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PolitikPolen

Polens Visa-Affäre: EU will Antworten aus Warschau

Bernd Riegert in Brüssel
20. September 2023

Die EU und Deutschland haben dringende Fragen an Polen. Wie viele Schengen-Visa wurden verscherbelt? Genaue Zahlen müssen auf den Tisch.

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Zwei Beamte kontrollieren ein Fahrzeug an einem Grenzübergang
Der genaue Umfang der Visa-Affäre ist noch unklarBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Die EU-Kommssarin für Inneres, Ylva Johansson, hat der nationalkonservativen Regierung in Polen einen Brief geschrieben, in der sie um die Beantwortung von dringenden Fragen zum mutmaßlichen Visa-Missbrauch durch polnische Konsulate bittet - oder besser: fordert, denn die Frist zur Beantwortung der Fragen beträgt nur 14 Tage. "Die Vorwürfe sind sehr Besorgnis erregend", sagte die Sprecherin der Innen-Kommissarin, Anitta Hipper, in Brüssel. Die private Fernsehstation TVN und polnische Oppositionsparteien werfen dem polnischen Außenministerium vor, in den vergangenen 30 Monaten Hunderttausende von Visa möglicherweise gegen Geldzahlungen vor allem an Bewerber aus Asien und Afrika vergeben zu haben. Die polnische Regierung hat eingeräumt, dass es einige hundert Fälle von Visa-Bestechung gegeben haben könnte. Ein Vize-Außenminister wurde entlassen. Drei Personen wurden nach Ermittlungen des polnischen Geheimdienstes in Untersuchungshaft genommen. Die Zahl von 250.000 oder gar 350.000 Fällen, die von Medien behauptet werde, sei "absurd", sagte der polnische Innenminister Mariusz Kaminski in Warschau.

Nancy Faeser und  Mariusz Kaminski Polen Archiv
Bundesinnnenministerin Faeser (li.) verlangt Auskunft vom polnischen Kollegen Kaminiski: Wer musste für Visa zahlen?Bild: Abdulhamid Hosbas/AA/picture alliance

Deutschland möchte ebenfalls Fakten

Kaminiski hatte mit der deutschen Innenministerin Nancy Faeser telefoniert, die Aufklärung verlangte und ebenfalls einen Fragenkatalog vorlegte. Faeser will vor allem wissen, ob Menschen mit gekauftem Visum möglicherweise nach Deutschland und andere Länder des so genannten Schengen-Raums weitergereist sind. Der Schengen-Raum umfasst fast alle Staaten der EU. An den internen Grenzen gibt es im Prinzip keine systematischen Grenz- oder Visakontrollen.

Visaaffäre schadet Glaubwürdigkeit der PiS

Unklar ist, woher die Zahl von mehreren Hunderttausend Visa stammt, die Polen angeblich in den vergangenen 30 Monaten ausgestellt haben soll. Einzige Quelle ist eine Liste, die die polnische Online-Plattform "Konkret24" veröffentlicht hat, die wiederum zum Fernsehsender TVN gehört. Nach dieser Liste, die auch das Portal "schengenvisainfo.com" zitiert, haben polnische Konsulate im Jahr 2022 und im ersten Halbjahr 2023 139.000 Visa an Ukrainer, 120.000 Visa an Menschen aus Belarus und 11.000 Visa an türkische Staatsbürger vergeben. In dieser Liste tauchen Staaten aus Asien nur mit Zahlen zwischen 9000 und 5000 Visa auf. Afrikanische Staaten sind gar nicht gelistet.

Symbolbild Visum Schengener Staaten
Begehrt und jährlich von allen Schengen-Staaten millionenfach ausgestellt: Visum Typ C für 90 TageBild: katatonia/Fotolia

Um welche Visa geht es?

Bei diesen Visa soll es sich um "nationale Visa" (Schengen-Visa Typ D) handeln. Das sind Visa, die nur die Einreise nach Polen und die Arbeitsaufnahme in Polen für einen längeren Zeitraum, nicht aber in anderen Schengen-Staaten gestatten. Inwieweit die Vorwürfe auch Visa für kurzfristige Aufenthalte von maximal 90 Tagen in allen Schengen-Staaten (Visa Typ C) betreffen, ist unklar. Die polnische Regierung soll nun nach Aufforderung durch die EU-Kommission eine eindeutige Statistik vorlegen. Die Visa vom Typ C werden im "Schengen-Informations-System" der EU erfasst und können von allen Grenzbehörden eingesehen werden. Die nationalen Visa vom Typ D sollen erst in nächster Zeit auch im "Schengen-Informations-System" verarbeitet werden. Hier ist ein Datenabgleich also schwieriger.

Polen weist Vorwürfe zurück

"Wir verlassen uns darauf, dass die polnischen Behörden der EU-Kommission die nötigen Informationen zur Verfügung stellen und die Vorwürfe untersuchen", meinte die Sprecherin der Kommission, Anitta Hipper, in Brüssel. Der polnische Innenminister Mariusz Kaminski hatte nach eigenen Angaben seine deutsche Amtskollegin aufgefordert, "den Müll nicht zu glauben", den die Opposition verbreite. In Polen herrscht Wahlkampf. Am 15. Oktober will die regierende PiS-Partei erneut ihre Mehrheit sichern. Wegen des vermeintlichen Skandals steht sie unter erheblichem Druck durch die bürgerliche Opposition, die der Regierung scheinheiliges Vorgehen vorwirft. Einerseits wettere sie gegen Einwanderung und andererseits verkaufe sie Visa an Einwanderer, heißt es von der Bürgerplattform.

Visa-Affäre in Polen
Oppositionsführer Donald Tusk sieht einen enormen SkandalBild: Michal Fludra/NurPhoto/picture alliance

Auffällige Visa-Statistik?

Die EU-Kommission führt amtliche Statistiken über die Visavergabe durch Konsulate von EU-Mitgliedsstaaten. Danach haben polnische Stellen im Jahr 2022 insgesamt 73.000 kurzfristige Visa vom Typ C erteilt. Zum Vergleich: Deutschland hat 817.000 und Frankreich 1,4 Millionen Visa ausgestellt. Polen ist da also nicht besonders auffällig. Die Zahlen sind insgesamt wegen der Corona-Pandemie und des erst wieder anlaufenden Reiseverkehrs noch eher niedrig. Vor der Pandemie im Jahr 2019 hat Polen 450.000 Visa für 90 Tage erteilt. Deutschland im gleichen Zeitraum 2,1 Millionen, Frankreich sogar vier Millionen. "Nationale Visa" vom Typ D, die zur Arbeitsaufnahme im ausstellenden Land berechtigen, sind in dieser Statistik nicht erfasst. Die Antworten der polnischen Regierung auf die Fragen der EU-Kommission sollten da in den nächsten 14 Tagen mehr Klarheit bringen.

Visa-Affäre in Polen
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sieht keinen Skandal: Es ist WahlkampfBild: Pawel Malecki/AGENCJA WYBORCZA/REUTERS

Die EU wirft Polen schon seit Jahren vor, gegen rechtsstaatliche Prinzipien beim Umbau seines Justizsystems zu verstoßen. Der Europäische Gerichtshof hat mehrere Urteile gegen Polen in dieser Sache gesprochen. Die Regierung überzieht die EU-Institutionen in Brüssel regelmäßig mit harschen Vorwürfen. Die EU hat Auszahlungen aus Investitionsprogrammen an Polen gestoppt. Das Vertrauen in die Regierung der PiS-Partei, die sich auch noch im Wahlkampf befindet, ist in Brüssel relativ begrenzt.

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union