Polens Premier bekommt Gegenwind
18. Januar 2024Der neue polnische Premier Donald Tusk und seine Mitte-Links-Koalition wollen den Staatsumbau der Vorgängerregierung rückgängig machen. In den vergangenen Wochen ergriffen sie daher bereits weitreichende Maßnahmen. So wurden die Chefs der öffentlich-rechtlichen Medien ausgetauscht und die als Propagandisten der früheren Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) fungierenden Journalisten entlassen. Zwei hochrangige PiS-Politiker wurden wegen Amtsmissbrauchs verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, wo sie in einen Hungerstreik getreten sind. Und am Mittwoch (17.01.2024) wurde der frühere Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk festgenommen. Er soll hinter dem korrupten System stehen, mit dem polnische Konsulate Interessenten in Asien und Afrika gegen große Geldsummen polnische Schengen-Visa angeboten haben.
Die energischen Versuche der Tusk-Regierung, den Staat zu reformieren, sorgen für Proteste der Opposition und ihrer Anhänger, die wiederum die Rückendeckung von Präsident Andrzej Duda haben. Dieser harte Widerstand und die Folgen der Justizreform, die die nationalkonservative Partei in ihren acht Regierungsjahren durchgeführt hatte, könnten der neuen Regierung noch viele Kopfschmerzen bereiten.
Der jüngste Konflikt ist die Ernennung des amtierenden Chefs der Landesstaatsanwaltschaft, der auch erster Stellvertreter des Justizministers ist. Gleich nach seinem Amtsantritt hatte der neue Justizminister Adam Bodnar den durch die PiS eingesetzten Landesstaatsanwalt Dariusz Barski um seinen Rücktritt gebeten. Als dieser ablehnte, ernannte Bodnar Jacek Bilewicz zum "amtierenden Landesstaatsanwalt". Sein Argument: Barskis Ernennung im Jahr 2022 durch den früheren Justizminister sei nicht legal gewesen.
Duda: "Terror der Rechtsstaatlichkeit"
Präsident Duda warf dem Justizminister daraufhin vor, ihn nicht konsultiert zu haben und bat das Verfassungsgericht um Klärung. Das Gericht, in dem die meisten Richter als PiS-treu gelten, setzte die Ernennung durch den Justizminister bis zu einem Urteil aus. Auch die Landesstaatsanwaltschaft wandte sich gegen ihren neuen Chef, Justizminister und Generalstaatsanwalt Bodnar.
Das ist nur eines der Beispiele, die zeigen, mit welchem Gegenwind die proeuropäische Tusk-Regierung beim Versuch, die demokratische Ordnung wiederherzustellen, im Moment zu kämpfen hat. Der Präsident wirft der Tusk-Regierung einen "Terror der Rechtsstaatlichkeit" vor. Tusk dagegen betonte, dass die Rechtsstaatlichkeit die Richtschnur seines Handelns sei.
Tusk greift die PiS an
Die Opposition wirft Tusk und seiner Regierung bei vielen seiner Entscheidungen illegales Vorgehen vor. Am Mittwoch scheiterte sie mit einem Misstrauensantrag gegen Kulturminister Bartlomiej Sienkiewicz. Sie wirft ihm vor, mit seinem Austausch der Chefs der öffentlich-rechtlichen Medien illegal gehandelt zu haben.
"Niemand in der Welt bezweifelt, dass das System [des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw] Kaczynski auf Lügen beruht, um an der Macht zu bleiben", sagte Donald Tusk bei der Debatte im Sejm. Mit Verweis auf die hohen Gehälter der Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Senders TVP wandte er sich an die PiS: "Euer Glaube ist die Gier, euer Idol ist der Mammon." Das sei der Grund, warum die Oppositionspartei so erbittert für den Erhalt dieses Systems kämpfe.
Der Haushalt 2024: Rennen gegen die Zeit
Während die Parlamentssitzungen von aktuellen Debatten dominiert werden, bleibt die wichtigste Aufgabe des Sejm die Beratung des Haushalts 2024. Das Gesetz muss spätestens bis Ende Januar vom Sejm abgesegnet werden, sonst darf der Präsident das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben.
Der Parlamentsvorsitzende Szymon Holownia gibt sich sicher, dass der Termin eingehalten werden kann. Doch die Zeit wird immer knapper. Schon vorige Woche stand der Haushalt auf der Tagesordnung, doch Holownia hatte die Sitzung ausgesetzt und auf diese Woche verschoben, weil er Proteste im Sejm gegen die Verhaftung von zwei PiS-Politikern befürchtet hatte.
Dudas Vorwürfe an Brüssel
Bei den über eine Woche andauernden Protesten, die sich inzwischen auch auf die Straße verlagert haben, geht es um Ex-Innenminister Mariusz Kaminski und seinen Ex-Stellvertreter Mariusz Wasik. Sie waren im Dezember 2023 wegen Amtsmissbrauchs in zweiter Instanz zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Dabei ging es um ihre Tätigkeit als Chefs der Antikorruptionsbehörde CBA im Jahr 2007. Obwohl das Urteil rechtskräftig ist und sie daher auch ihre Sejm-Mandate verloren, sieht die PiS sie weiter als Parlamentsabgeordnete an und stuft sie als "politische Gefangene" ein.
Ihre Verhaftung war eines der Themen, über die Präsident Duda am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos mit EU-Kommissarin Vera Jourova sprach. Duda habe ihr vorgeworfen, dass die Europäische Kommission jetzt nicht mehr eingreife, wenn in Polen gegen Recht verstoßen werde, während sie das zu den PiS-Zeiten oft getan habe, teilte Jourova mit.
Die PiS braucht Brennstoff für Regierungskritik
Dabei liegt der Schlüssel in dieser Frage in den Händen des Präsidenten selbst. Vor einigen Tagen erklärte er, dass er die beiden Politiker begnadigen möchte. Doch was zunächst nach einer Deeskalation aussah, erwies sich schnell als das Gegenteil: Statt ein einfaches Begnadigungsverfahren zu nutzen, das ihm laut Verfassung zugestanden hätte, leitete Duda einen viel komplizierteren Prozess ein, der auch dem Justizminister Mitsprache einräumt und der sich monatelang hinziehen könnte.
Das Kalkül scheint einfach und zynisch: Solange die beiden im Gefängnis bleiben, wird die PiS ihre neuen Helden und damit auch Brennstoff für weitere Attacken auf die Tusk-Regierung haben.