Polen wählen neuen Präsidenten
9. Oktober 2005Bei den polnischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag (7.10.2005) gelten Umfragen zufolge der liberalkonservative Donald Tusk und der nationalkonservative Lech Kaczynski als Favoriten. Wenn keiner der insgesamt zwölf Bewerber für das höchste Staatsamt mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen erhält, wird am 23. Oktober eine Stichwahl zwischen den beiden stärksten Kandidaten notwendig.
Dynamisch versus unbefleckt
Dies scheint derzeit wahrscheinlich: Tusk werden in den Umfragen 40 Prozent zugetraut; Kaczynski 35 Prozent. Der 48-jährige Tusk präsentierte sich im Wahlkampf als junger, dynamischer Politiker, der seine wirtschaftsliberale Partei geschickt zu lenken verstehe. Der acht Jahre ältere Kaczynski, derzeit Bürgermeister von Warschau und zusammen mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw Gründer der PiS, setzte in seiner Kampagne auf seine politische Erfahrung und die Tatsache, dass er eine von Skandalen unbefleckte Karriere aufzuweisen habe.
Indem die Polen vor zwei Wochen die Post-Kommunisten bei der Parlamentswahl abstraften, hofften viele auch auf ein Ende der zahllosen Korruptionsaffären in den Reihen der führenden Politiker. Weitere Bewerber für das höchste Amt in Polen sind Andrzej Lepper von der populistischen Partei Samoobrona (Selbstverteidigung) mit Umfragewerten bei zwölf Prozent sowie der Sozialdemokrat Marek Borowski (elf Prozent).
Konkurrenz und Koalition
Dass sich ihre beiden Kandidaten derzeit einen harten Konkurrenzkampf liefern, hat nach dem Rechtsruck bei der Parlamentswahl die Koalitionsverhandlungen der Wahlsieger erheblich gestört. Statt über gemeinsame Inhalte zu beraten, priesen PiS und PO bei ihren ersten Zusammenkünften jeweils ihren eigenen Anwärter. Die Zusammensetzung der künftigen Regierung soll erst nach der Entscheidung der Präsidentenwahlen bekannt gegeben werden.
Als stärkste Kraft oblag es der PiS, den Ministerpräsidenten zu bestimmen. Aber statt zuzugreifen, verzichtete der Ko-Vorsitzende und haushohe Favorit für den Posten, Jaroslaw Kaczynski, überraschend und nominierte den relativ unbekannten Wirtschaftsfachmann Kasimierz Marcinkiewicz.
Rätselhafte Bruderliebe
Das trug der PiS den Vorwurf ihres Koalitionspartners ein, sie habe in Marcinkiewicz lediglich einen Übergangsregierungschef bestimmt - nur um die Chancen von Lech Kaczynski auf das Präsidentenamt nicht zu schmälern. Wäre Jaroslaw Kaczynski Ministerpräsident geworden, hätte das für die Polen bedeutet, dass sie im Falle eines Wahlsieges von Lech Kaczynski zwei identisch aussehende Zwillinge an der Spitze des Staates gehabt hätten.
Mit so viel Bruderliebe gab Jaroslaw Kaczynski den Wählern und den politischen Beobachtern in Polen Rätsel auf: Der Posten des Regierungschefs in Warschau ist bei weitem mächtiger als der des Präsidenten. Ein Kaczynski als Ministerpräsident hätte der polnischen Politik viel stärker den Stempel aufdrücken können, als ein Kaczynski als Staatsoberhaupt. Immerhin jedoch ist der Präsident derjenige, der die Leitlinien der polnischen Außenpolitik bestimmt; außerdem ist er oberster Befehlshaber der Streitkräfte.
Kwasniewski kandidiert nicht mehr
Die Präsidentenwahl entscheidet somit auch über Polens Kurs in Europa. Tusk ist deutlich pro-europäisch eingestellt, während Lech Kaczynski zu den Euroskeptikern zählt. Auf die Frage, in welcher Hauptstadt sie ihren Antrittsbesuch im Falle einer Wahl machen würden, fielen die Antworten entsprechend aus: Tusk nannte Brüssel, Kaczynski Washington.
Amtsinhaber Aleksander Kwasniewski kann nach zwei Amtszeiten nicht wieder gewählt werden. Er soll Interesse an einer Kandidatur für das Amt des UN-Generalsekretärs haben. Im polnischen Rundfunk deutete Kwasniewski am Freitag an, er würde in einem zweiten Wahlgang Tusk unterstützen. (stu)