Die polnischen Polit-Zwillinge
26. September 2005Jaroslaw Kaczynski gab sich nach dem Sieg seiner nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) bei der Parlamentswahl in Polen auffallend zugeknöpft. Zwar reklamierte der 56-jährige PiS-Spitzenkandidat den Posten des Ministerpräsidenten für seine Partei, nicht aber direkt für sich. Grund für die Zurückhaltung ist sein Bruder Lech.
Die Männer verstehen sich zwar hervorragend, haben die gleichen politischen Ansichten und erfreuen sich großer Beliebtheit. Doch genau das ist der Haken: Lech Kaczynski, derzeit Bürgermeister von Warschau, könnte am 9. Oktober zum Präsidenten gewählt werden. Aber die Aussicht auf ein Doppelpack könnte die Wähler abschrecken.
Mond-Diebe und Gewerkschafts-Gründer
Seit ihren Kindertagen sind die Kaczynski-Brüder ein Herz und eine Seele: Als Zwölfjährige machten sie als Schauspieler im berühmten Kinderfilm "Die beiden, die den Mond stahlen" auf sich aufmerksam. Sie gingen auf die gleichen Schulen, später studierten sie zusammen Jura in Warschau. Gemeinsam engagierten sie sich in der anti-kommunistischen Opposition, waren bei der Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc dabei, gingen zusammen in den Untergrund, um dann bei den ersten teilweise demokratischen Wahlen 1989 Senatoren zu werden.
Beide standen Lech Walesa nahe, der 1989 Jaroslaw mit den Verhandlungen zur Bildung der ersten nicht-kommunistischen Regierung Osteuropas beauftragte. Inzwischen haben sich beide mit ihrem früheren Mentor überworfen.
Unterschied: Muttermal
Im Jahr 2001, nachdem die Ex-Kommunisten wieder an die Macht gekommen waren, gründeten Jaroslaw und Lech ihre Partei "Recht und Gerechtigkeit". Sie schrieben sich den Kampf gegen Korruption und den Einfluss der alten Kader auf die Fahnen. Parteichef ist Jaroslaw, sein Bruder hat ebenfalls großen Einfluss. Ihre Kollegen, aber auch Konkurrenten und Beobachter sprechen oft nicht von einer Person, sondern von "den Brüdern Kaczynski".
Dabei versichert Lech Kaczynski: "Wir sind nicht völlig identisch." Der Oberbürgermeister von Warschau ist verheiratet, Vater und Großvater; sein 45 Minuten älterer Bruder Jaroslaw ist dagegen Junggeselle. Sylwia Kwas, eine Mitarbeiterin ihres Wahlkampfstabs, muss genau hinsehen, um die beiden eineiigen Zwillinge zu unterscheiden: "Lech hat ein Schönheitsmal auf seiner Wange", erklärt sie.
"Mein Bruder und ich"
Politisch dürfte die Unterscheidung zwischen den beiden Brüdern noch schwerer fallen. Beide sind national, wertkonservativ und stark christlich geprägt. Die Eröffnungsfloskel von Jaroslaws Reden ist inzwischen zu einem gar nicht mehr lächerlichen Running Gag in Polen geworden: "Mein Bruder und ich sind der Ansicht, dass..."
"Es stimmt, politisch teilen wir dieselben Ansichten. Unseren Patriotismus haben wir von unseren Eltern geerbt, die während des Zweiten Weltkriegs im Widerstand kämpften", sagt Lech. Und fügt dann nach einigem Nachdenken hinzu, dass es allerdings häufig sein Bruder Jaroslaw ist, der als Älterer die Entscheidungen fällt. (reh)