Polen - Stadt versus Land
13. Juli 2020Wer an diesem Montag in Polen aufwachte, erlebte ein geteiltes Land. Das war es auch vor dem Einschlafen gewesen, doch nun ist es deutlicher: Polen driftet immer mehr auseinander. Nach dem amtlichen Endergebnis erhielt der nationalkonservative Amtsinhaber Andrzej Duda 51,03 Prozent der Stimmen, auf den Gegenkandidat Rafal Trzaskowski entfielen 48,97 Prozent. Der polnische Stand-Up-Comedian Abelard Giza schlug schon 2015 vor, Polen buchstäblich zu teilen, in ein konservatives Papst-Polen und eine liberale "Polen-GmbH". Wem damals noch zum Lachen zumute war, dem dürfte jetzt diese Vision gar nicht mehr so abwegig vorkommen, denn die Chancen, diese Spaltung noch zu überwinden, scheinen zu schwinden.
Hohe Wahlbeteiligung
Nach Angaben der staatlichen Wahlkommission gaben 68,2 Prozent der Polen ihre Stimme ab - so viele wie selten zuvor. Politikwissenschaftler Marek Migalski sieht darin jedoch keinen Beweis für einen guten Zustand der Demokratie. Vielmehr erkennt er in der hohen Wahlbeteiligung seiner Landsleute "einen Gradmesser für einen schweren gesellschaftlichen Konflikt". Er schreibt auf Twitter, in Polen müsse man mit der starken Wahlbeteiligung wie mit "Fieber" umgehen, das eine Krankheit im gesellschaftlichen Gewebe signalisiere.
Land contra Stadt
Insgesamt siegte der konservative Amtsinhaber Andrzej Duda mit 51 Prozent der StimmenIn den fünf größten Städten des Landes siegte der liberale Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski. Sein Erfolg in den polnischen Metropolen spiegelte sich jedoch kaum in den Ergebnissen der Landkreise und Bezirke. Im Bezirk (Wojewodschaft) Klein-Polen mit Krakau bekam Amtsinhaber Andrzej Duda fast 60 Prozent. In der Stadt selbst wählten wiederum mehr als 60 Prozent den liberalen Kandidaten. Das Gegeneinander von Stadt und Land spielte schon im Wahlkampf eine Rolle. Trzaskowskis größte Herausforderung war es, die Menschen auf dem Land zu überzeugen. Aber diese erwiesen sich als nur schwer erreichbar. Politikwissenschaftlerin Anna Materska-Sosnowska sieht als entscheidende Faktoren die öffentlichen und regierungsnahen Medien sowie den Einfluss der Kirche. Sie betont, dass es nicht nur um die Landbevölkerung an sich gehe, sondern auch um die Ärmsten und um Menschen mit einfachen oder gar keinen Bildungsabschlüssen. Das Duda-Lager habe den Menschen im Wahlkampf Angst eingejagt mit Projektionen wie: "Die Deutschen kommen, die Homosexuellen, und Trzaskowski nimmt den Leuten alle sozialen Leistungen weg. Wie soll man dagegen ankommen?" fragt die Wissenschaftlerin.
Der wiedergewählte Präsident Duda hatte im Wahlkampf von einer Politik gesprochen, "die den 'Warschauer Salons die Taschen vollstopft". Wie er später erklärte, meinte er damit die Politik der Partei "Bürgerplattform". Trzaskowski ist einer ihrer Vizevorsitzenden. Für ihn sei dies eine Politik, "die auf nichts und niemanden achtet, und schon gar nicht auf die einfachen Menschen. Das beste Beispiel dafür war die Erhöhung des Rentenalters", sagte Duda Anfang Juli einem privaten Fernsehsender. "Die Eliten" dürfe man nicht bevorzugen, sondern man müsse auf den Rest der Gesellschaft blicken, so der Tenor seiner Kampagne.
Wenn die Landbevölkerung allein entscheiden dürfte, wäre der Sieg Dudas viel deutlicher, denn über 63 Prozent der ländlichen Bevölkerung gaben ihre Stimmen dem amtierenden Präsidenten, der von der rechts-konservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) kommt. Während also auf dem Land nur 36 Prozent für Trzaskowski stimmten, waren es in Großstädten (mit mehr als 500.000 Einwohnern) über 65 Prozent. Duda brachte es dort nur auf ein gutes Drittel der Stimmen.
Im Osten nichts Neues
Die Wahlanalysen zeigen zudem, wie abermals der Westen Polens liberal, also für Rafał Trzaskowski stimmte, der Osten dagegen konsequent Amtsinhaber Andrzej Duda wählte. Zusammengerechnet gewann Duda in nur sechs von 16 Wojewodschaften, doch in vier davon bekam er über 60 Prozent. Im Bezirk Vorkarpaten ganz im Südosten Polens unterstützten ihn sogar mehr als 70 Prozent der Wähler.
Jung gegen Alt
Ein Blick auf die Stimmenverteilung macht noch andere Spaltungen sichtbar. Rafał Trzaskowski überzeugte mehr als 63 Prozent der jüngsten Wähler, darunter auch die, die zum ersten Mal ihre Stimme abgeben durften. Nur ein gutes Drittel der 18- bis 29-Jährigen stimmte für Duda. Beobachter sagen schon jetzt, dass das rechte Lager einen Weg finden müsse, um junge Polen zu überzeugen, was allerdings eine enorme Herausforderung darstelle. Fast genau umgekehrt fallen die Ergebnisse bei den polnischen Senioren aus. In der Gruppe 60+ scheinen über 64 Prozent zufrieden mit Dudas Politiklinie zu sein, knapp 36 Prozent hätten lieber Trzaskowski an seiner Stelle gesehen. Insgesamt ist die Tendenz eindeutig: Je älter die Wähler, desto eher gaben sie ihre Stimme Duda. Sein politischer Gegner siegte in allen Altersgruppen bis 50.
Wohin wanderten die Stimmen anderer Kandidaten?
Spannend blieb bis zum Ende die Frage, wohin die Stimmen derer gehen würden, die im ersten Wahlgang andere Favoriten hatten als Duda und Trzaskowski. Besonders blickte man auf die Wähler des unabhängigen Kandidaten Szymon Hołownia, der im ersten Wahlgang mit fast 14 Prozent der Stimmen Dritter wurde. Dessen Anhänger wählten nun zu 85 Prozent Trzaskowski.
Weniger eindeutig war es bei den Unterstützern des Kandidaten der extrem rechten "Konföderation", die getrennte Wege gingen: 52 Prozent stimmten für Duda, die andere, knappere Hälfte für Trzaskowski.
Polnische Fahnen und Europa
In einem Radiointerview meinte Andrzej Zybertowicz, Soziologe und Berater des wiedergewählten Präsidenten, er sei schockiert gewesen, dass ungefähr die Hälfte seiner Landsleute für einen Kandidaten gestimmt hätten, "dessen Stab es nicht für angemessen hielt, während des Wahlabends mit einer polnischen Fahne zur erscheinen".
Dies habe darauf hingedeutet, "dass Trzaskowski Polen gleichgültig" sei. Es sei ihm eben nicht um die Vision einer Rolle Polens in Europa gegangen, sondern um eine "Abkehr vom Polentum", behauptete er. Trzaskowski habe seiner Meinung nach die "Haut des Patriotismus abgestreift".
Gemessen an der Zahl der Polen-Flaggen konnte es beim abendlichen Auftritt des Duda-Lagers keine Zweifel am Bekenntnis zum "Polentum" geben, denn die Bilder von dort zeigten ein gewaltiges Fahnenmeer. Für diejenigen, denen Flaggen besonders wichtig sind, ein Beleg ihrer Einigkeit. Für die anderen eher ein Symbol für die Spaltung des Landes, die in vielfacher Form existiert. Und darin besteht immerhin Einigkeit.