Antideutsche Töne im polnischen Wahlkampf
10. Juli 2020Lange hatte es so ausgesehen, als könnte Polens Präsident Andrzej Duda bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erreichen und eine Stichwahl somit nicht nötig wäre. Doch am 28. Juni erreichte der Amtsinhaber nur 43,5 Prozent der Stimmen – und der Kandidat der oppositionellen Bürgerkoalition und Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski 30,5 Prozent.
Dudas Herausforderer Rafał Trzaskowski ist studierter Politologe. Er war früher Minister für Digitalisierung der Regierung von Donald Tusk und Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Bei der Stichwahl hat er gute Chancen, die Stimmen vieler Wähler zu holen, die in der ersten Runde andere Oppositionskandidaten gewählt hatten.
Polen steht also vor einem spannenden Duell mit hoch ungewissem Ausgang. Für viele Bürgerinnen und Bürger des EU-Landes ist die Abstimmung am kommenden Sonntag (12.07.2020) eine Schicksalswahl. So denkt auch Albert Budlewski, Bauer im ostpolnischen Dorf Szepietowo, das als Hochburg der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) gilt.
In Szepietowo hat der amtierende Präsident fast 69 Prozent der Stimmen bekommen. Wie überall in der polnischen Provinz, wird auch hier die generöse Sozialpolitik der PiS gelobt, darunter das 2016 erstmalig in Polen eingeführte Kindergeld, zusätzliche Rentenzahlungen, Steuersenkungen für junge Menschen und staatliche Unterstützung bei Naturkatastrophen wie etwa Dürre, die Polen im letzten Jahr stark getroffen hat.
Soziale Sicherheit und Tradition
Der 42-jährige Schweinefleischproduzent Budlewski sieht keinen Grund für einen Wandel in der polnischen Politik. Seine Stimme ist Andrzej Duda sicher. "Er ist Garant, dass die Regierung weiter so gut arbeiten kann. Sie kann auch mit Brüssel gut verhandeln, weil wir immer mehr EU-Geld bekommen. Das ist jetzt nach Corona noch wichtiger", sagt Budlewski.
Budlewskis Vater sieht in Duda den Verteidiger der Werte, die ihm wichtig sind. "Wir wollen keine westlichen Trends, kein Adoptionsrecht für Homosexuelle, das wäre Angriff auf die polnische Tradition und die katholische Kirche", so der 68-jährige im DW-Gespräch. Präsident Duda habe Mut gezeigt, als er "das Problem beim Namen genannt" und von einer "LGBT-Ideologie" gesprochen habe, die das traditionelle Familienmodell in Frage stellte.
Wenn Rafał Trzaskowski Orte wie Szepietowo besucht, versucht er, - ähnlich wie sein Gegner die Wähler dort mit sozialen Versprechen anzuziehen. Die Großstädte hat der weltoffene Liberale schon auf seiner Seite, doch über das Wahlergebnis werden schließlich die Wähler in kleinen Städten und Dörfern entscheiden.
Im zentralpolnischen Raciąż, auch eine PiS-Hochburg, wird Trzaskowski zwar als "Verräter und Lügner" ausgepfiffen - doch Hunderte jubeln, wenn er Hilfen für talentierte junge Polinnen und Polen verspricht. "Ich schlage Unterstützung für 50.000 begabteste junge Menschen, damit sie eine Chance bekommen, gute Schulen und gute Hochschulen zu besuchen".
Verteidigung polnischer Interessen
Das würde sich die 50-jährige Agnieszka Osowiecka für ihren Sohn wünschen. Sie ist verzweifelt, dass er vor kurzem nach Holland zur Arbeit ausgewandert ist. "Hier in Raciąż schickte ihn das Arbeitsamt ins Berufspraktikum für 240 Euro im Monat. Was sind 240 Euro für 8 Stunden Arbeit jeden Tag? Und Präsident Duda spricht von Chancen für Jugendliche? Ja, das ist ihre Chance: ausreisen", sagt sie verbittert. Ihre Stimme kriegt Rafał Trzaskowski.
Doch Osowiecka ist in Raciąż in der Minderheit. Was hier kurz vor der Stichwahl bei PiS-Anhängern besonders gut ankommt, ist Andrzej Dudas antideutsche Rhetorik, die hier als "Verteidigung polnischer Interessen" gesehen wird. Als das Boulevardblatt "Fakt" kritisch über die Begnadigung eines Pädophilen durch den Präsidenten berichtete, griff Duda den Verlag Axel Springer an, der sich teilweise im deutschen Besitz befindet und Miteigentümer von "Fakt" ist.
Duda sprach vom "nächsten deutschen Angriff in diesen Wahlen" und fragte, ob der Springer-Konzern die Präsidentschaftswahlen in Polen beeinflussen wolle. Zudem kritisierte der Präsident namentlich den Warschau-Korrespondenten der Tageszeitung "Die Welt", Philip Fritz. Dieser habe geschrieben, dass Dudas Herausforderer Rafał Trzaskowski der bessere Präsident wäre, weil er anders als Duda nicht auf Reparationszahlungen von Deutschland für die Schäden des Zweiten Weltkriegs beharre.
Nach diesen Äußerungen bestellte das polnische Außenministerium den Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Warschau ein. Der stellvertretende Außenminister Szymon Szynkowski vel Sęk sprach von einer "Serie von Artikeln in deutschen Medien, die mit Manipulationen und Lügen arbeitet" und die den Verdacht erweckten, "dass dahinter die Einflussnahme auf den demokratischen Wahlprozess in Polen" stecke. Er warf deutschen Medien "Befangenheit zugunsten eines der Kandidaten" vor.
Ende des Machtmonopols der PiS?
Die deutsche Botschaft in Warschau wollte den Inhalt des Treffens nicht kommentieren, doch Szynkowski vel Sęk zitierte den deutschen Diplomaten Knut Abraham mit den Worten, er habe die Vorwürfe "zur Kenntnis genommen und auf die Pressefreiheit hingewiesen".
Bundestagsabgeordnete fast aller Fraktionen in Berlin zeigten sich angesichts der verbalen Angriffe auf den Warschauer Korrespondenten der "Welt" besorgt über den Zustand der Pressefreiheit in Polen.
Für den 12. Juli wird ein knappes Ergebnis erwartet. Schon beim ersten Wahlgang am 28. Juni war das Interesse groß, was an der für Polen ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von 64,5 Prozent zu sehen war.
Der Wahlausgang wird entscheiden, ob die nationalkonservative PiS ihr Machtmonopol behalten wird. In Rafał Trzaskowski hätte sie einen harten Opponenten, der der PiS bei ihren weiteren umstrittenen Reformen einen Strich durch die Rechnung machen könnte.