Pep weint - und Bayern wird schlagbar
22. Mai 2016Die jungen Frauen im rot-weißen Trainingsanzug erkannten den älteren Herrn im Flughafenbus nicht. Freundlich und interessiert fragte er sie, ob sie ein Spiel hätten. "Ja", antwortete eine von ihnen. "Welche Sportart?", fragte der Mann. "Hockey. Erste Bundesliga". Einige Ältere im Bus, der die Passagiere vom Flugzeug zum Terminal in Berlin Tegel bringen sollte, schmunzelten. Vor 20 Jahren, da wäre der Mann ganz hinten von zwei Bodyguards begleitet worden. Denn damals war Klaus Kinkel Bundesaußenminister und Vizekanzler. Heute ist er knapp 80, Privatmann und offenbar auf dem Weg zum Pokalendspiel. "Wo steht Köln denn in der Tabelle?", will er von den Sportlerinnen wissen. "Vierter." "Und Berlin?" "Achter oder so." "Und wer ist Erster?" "München", entgegnen die beiden Hockeydamen. Da werden Kinkels Gesichtszüge plötzlich nachdenklich. "München", wiederholt er resigniert, "überall ist München vorne".
Und tatsächlich. Auch in Berlin war München wieder vorn. Allerdings dauerte es über zweieinhalb Stunden, bis sich der Favorit durchgesetzt hatte. Trotz der üblichen Dominanz auf dem Platz, trotz der Mehrzahl an Großchancen, trotz der verletzungsbedingten Auswechslungen der Dortmunder Marcel Schmelzer und Mats Hummels Mitte der zweiten Halbzeit. Das Abwehrbollwerk des BVB hielt gegen Bayern, die taktisch so ganz anders agierten als sonst in den letzten drei Jahren. Lange Bälle statt Kurzpassspiel, unüblich unter der Ägide Pep Guardiolas. Der Trainer hatte in seinem letzten Spiel in seinem Dreijahresintermezzo in München auf die meisten seiner Landsleute verzichtet. Auf Javi Martinez verletzungsbedingt, auf Xabi Alonso und Juan Bernat wohl aus taktischen Gründen. Also wollte er zeigen: "Seht, ich bin nicht starrsinnig, ich hinterfrage mich ständig."
Fünf schwere Monate
Die, die auf dem Platz standen, machten es gut gegen die kompakt auftretenden und leidenschaftlich kämpfenden Dortmunder. Auch wenn nicht alles gelang. Auch wenn Torschützenkönig Robert Lewandowski von der BVB-Abwehr fast komplett aus dem Spiel genommen wurde. Immer wieder tauchten Thomas Müller und Franck Ribery gefährlich vor dem Borussen-Tor auf. Auf der anderen Seite aber hatte Paul-Emerick Aubameyang auch seine Möglichkeiten, ließ aber die Kaltschnäuzigkeit der Hinrunde vermissen. "Wir haben schlampig gespielt, schlecht gekontert, das Spiel war nicht auf dem Niveau wie zuletzt in der Bundesliga gegen die Bayern", sollte Dortmunds Trainer Thomas Tuchel nach der Partie resümieren. So musste das Elfmeterschießen die Entscheidung bringen. Die Entscheidung darüber, ob sein Kontrahent und Vorbild Guardiola als Gewinner oder Verlierer aus München scheiden würde. Die Spannung war kaum auszuhalten, als Douglas Costa als letzter Bayern-Schütze antrat, unter tosenden Pfiffen der Dortmund-Anhänger.
Er verwandelte sicher und Guardiola verbarg das Gesicht in seinen Fäusten. Minutenlang. Dann schickte er mit weit ausladenden Gesten seine Spieler in die Bayernkurve. Und ging, zögerlich zunächst, selbst hinterher. Die Augen rot und verquollen vor lauter Tränen. Drei Jahre hatte der Spanier aus seinem Herzen eine Mördergrube gemacht, drei Jahre den Kontakt zu den Fans gemieden, wo er sich vermeiden ließ. Er, der geachtet aber nicht geliebt wurde, war plötzlich nahbar. Er, der Kontrollfreak, genoss es sogar offensichtlich, als ihn seine Spieler in die Höhe warfen. Und im Bayernblock war ein Transparent mit der Aufschrift "Danke Pep" zu sehen. "Die letzten fünf Monate waren nicht einfach", erklärte Guardiola seinen Gefühlsausbruch kurz vor Mitternacht in den Stadionkatakomben, "weil das, was die Leute nach meiner Entscheidung sagten, komplett anders war als das, was sie vor meiner Entscheidung gesagt hatten."
Das klang nach ein wenig Verbitterung. Plötzlich keine Worthülsen mehr. Nicht mehr alles war "super, super, super", trotz des fünften Titels mit den Bayern. Ein Fehler war sein Engagement aus seiner Sicht aber nicht: "Es war eine richtige Entscheidung, damals hierher zu kommen, zu diesem Riesenverein."
Die Inspiration geht, die Hoffnung kommt
Was Guardiola für den FC Bayern und für den gesamten deutschen Fußball getan hat, verdeutlichte Thomas Tuchel: "Ich werde ihn vermissen, weil es meine eigene Haltung strafft, sich mit ihm zu messen, weil er eine Inspiration ist, wenn man mit ihm spricht", lobte der unterlegene Final-Kontrahent und hatte dabei fast leuchtende Augen. "Ich glaube, dass er die Spielweise der Bayern extrem nachhaltig beeinflusst hat", ergänzte er, die wahre Qualität werde man wohl erst im Nachhinein feststellten. "Er ist der Beste."
Nun ist Guardiola weg. Zehn Tage wolle er noch in München bleiben, kündigte er an, dann geht´s in den Urlaub, bevor die neue Aufgabe in Manchester wartet. "Die Wahrscheinlichkeit, gegen Bayern zu gewinnen, wenn Pep nicht mehr da ist, wird nicht gerade geringer", sagte Tuchel übrigens noch etwas verklausuliert. Er wollte wohl nicht sagen: "Unter Coach Carlo Ancelotti kann es nur schlechter werden." Denn bei Guardiola habe die Mannschaft alle vier Wochen einen weiteren Entwicklungsschritt gemacht. Kaum war er analysiert, folgte der nächste. Das Leben für die Konkurrenz könnte also beschaulicher werden. Und die Bayern vielleicht schlagbar. Das sollte dann doch auch die Mine von Klaus Kinkel wieder aufhellen.