Kafka mit Sprechblasen
14. März 2014Stände mit bunten Gewändern, Masken und Papierlampions stechen ins Auge. Junge Menschen sitzen an Tischen und zeichnen. Im japanischen Teegarten dampfen Heißgetränke. Bücher hingegen muss man erst suchen auf der Manga-Comic-Convention. Seit 2001 gehört das Comic-Genre zur Buchmesse-Familie. Nach 13 Jahren gönnt ihnen die Buchmesse eine eigene Halle mit einem ziemlich vielfältigen Programm.
Mehr Platz für fremde Wesen
Grund ist das gestiegene Interesse. "27 Prozent der Buchmesse-Besucher gaben an, sich für dieses Thema besonders zu interessieren", sagt Buchmessedirektor Oliver Zille. "Um dieser Begeisterung gerecht zu werden, haben wir nun die Manga-Comic-Convention ins Leben gerufen."
Zwischen dem auffallend jungen Publikum bewegen sich Wesen, die einer fremden Welt entsprungen scheinen. Cosplayer eifern ihren Comic-Helden mit aufwändigen Verkleidungen nach. Cosplay – ein Kunstwort aus den Begriffen "costume" und "play" – kommt wie die Mangas aus Japan und wird nicht nur von Kindern ausgelebt: Eine 25-Jährige schlendert durch die Halle, als sei sie einem Star-Wars-Film entstiegen. Sie fasziniere die Grenzenlosigkeit der Comicwelt, erzählt sie. Viele Storys werden über Buch, Film und Computerspiel transportiert. Dann ist der Schritt zur Verkleidung nicht mehr weit.
Comics sind Literatur
Mangas sind japanische Comics, in denen die Figuren mit dem typischen "Kindchenschema" dargestellt werden: große Augen, rundes gesicht, Stupsnäschen. Manga-Leser sind meist zwischen 13 und 18 Jahren alt und zu zwei Dritteln weiblich, erklärt Kai-Steffen Schwarz, Programmleiter Manga bei Carlsen. Das Klischee, Mangas thematisierten vor allem Gewalt und Sex, kennt er und hält dem entgegen: "Auch in Japan machen erotische Darstellungen keine fünf Prozent des Marktes aus. Und hier sind es noch weniger."
Die Hoffnung der Verlage, dass junge Manga-Leser später auf andere Comics umsteigen, wird weitgehend enttäuscht. Nicht nur ästhetisch grenzen sich die bunten Welten aus Fernost ab. Auch preislich sind Mangas meist deutlich günstiger als Comics. Die Schnittmenge zwischen Manga- und Comiclesern ist letztlich gering, hat Schwarz beobachtet. Was ein Grund dafür ist, dass man viele Comic-Verlage in der neuen Halle vergeblich sucht. Sie gesellen sich zwei Hallen weiter zu den jungen Verlagen auf der Buchmesse. Man will keine Sonderrolle spielen im Literaturbetrieb. Anders gesagt: Auch gezeichnete Geschichten sind Literatur. Eine Wahrnehmung, die sich langsam durchsetzt. Was einhergeht mit der Erfindung des Begriffs Graphic Novel, um Comics aufzuwerten.
Wenn Literatur gezeichnet wird
Ein Pionier im Markt ist David Basler. Er gründete seinen Züricher Verlag Edition Moderne vor 33 Jahren, als niemand von Graphic Novel sprach. Dank seiner Mutter aus der französischen Schweiz ist er mit Comics aufgewachsen. Der imaginäre "Röstigraben", die Sprachgrenze in der Eidgenossenschaft, trennt eben auch die Comic-Kultur der Franzosen vom Comic-fernen deutschsprachigen Raum. Doch Basler sieht eine Entwicklung: "Vor zehn Jahren wäre ein Sacco sofort wieder ins Regal gestellt worden. Heute kann man über das Medium Comic Inhalte transportieren." Joe Sacco ist ein zeichnender Kriegsreporter.
Nicht nur die Spezialisten sind auf dem Comic-Markt aktiv. Suhrkamp hat den spannenden Versuch gewagt, Comic-Künstler einzuladen, um Belletristik zu interpretieren. Dem Wiener Zeichner Nicolas Mahler sind hintergründig komische Meisterwerke mit seinen Musil- oder Thomas-Bernhard-Adaptionen gelungen. "Ich kann mehr wagen, wenn ich Musils Mantel anhabe", beschreibt Mahler das Zusammenspiel. Seine Adaptionen dienen auch als Türöffner in die Welt des Comics. Beim Berliner Verlag Reprodukt hat er zur Buchmesse "Franz Kafkas nonstop Lachmaschine" herausgegeben. Eine komische Reflexion über seinen Weg in die Hochkultur.
Gezeichnete Chronologie über sieben Meter
Comics sind längst aus der Humor-Nische herausgewachsen. Mawil, 1976 in Ostberlin geboren, zeigt in "Kinderland" bei Reprodukt den Untergang der DDR aus Kindersicht. Auch der Berliner Avant-Verlag hat sich für einen ernsten Spitzentitel entschieden. Ville Tietäväinen erzählt in "Unsichtbare Hände" die Geschichte eines afrikanischen Tagelöhners auf dem Weg nach Europa. Bedient werden alle Genres: Krimis, Biografien und immer wieder historische Werke: In diesem Jahr steht der Erste Weltkrieg im Mittelpunkt. Eine Neuauflage von Jacques Tardis "Elender Krieg" ist aktueller Bestseller bei Edition Moderne. Und nicht nur inhaltlich versuchen sich die Künstler an neuen Formaten. Joe Saccos nächster Streich steht kurz vor der Auslieferung: Ein Siebenmeter-Leporello, das die traurige Chronologie der verlustreichsten Schlacht des Ersten Weltkriegs schildert.