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Parlamentskrise in Tirana

12. Mai 2010

Fast ein Jahr nach den Parlamentswahlen beginnt die Opposition einen Hungerstreik, um das Wahlergebnis anzufechten. Eskaliert der Machtkampf zwischen Sozialisten und regierenden Demokraten?

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Parlamentsgebäude in Tirana, Albanien (Foto: AP)
Parlamentsboykott hat TraditionBild: AP

Seit dem Ende des Kommunismus gab es in Albanien keine Parlamentswahl, deren Ergebnis die unterlegene Partei akzeptiert hätte. So war es auch bei den letzten Parlamentswahlen am 28. Juni 2009. Nach den Wahlen warf die Opposition der Regierung Wahlbetrug vor. Sechs Monate lang boykottierte die Sozialistische Partei (PS) die Arbeit im Parlament.

Im vergangenen Herbst organisierten die Sozialisten unter ihrem Vorsitzenden Edi Rama zudem Protestveranstaltungen in mehreren Städten, um eine Neuauszählung der Stimmen zu erreichen. Die Regierungskoalition unter Premierminister Sali Berisha von der Demokratischen Partei (PD) und Vizepremier Ilir Meta von der linksgerichteten Sozialistischen Integrationsbewegung (LSI) lehnten dies kategorisch ab. Sie hoben hervor, dass die Gerichte sich des Themas bereits angenommen und ihr Urteil gefällt hätten. Eine Neuauszählung käme einer Mißachtung der demokratischen Institutionen des Landes gleich und deshalb nicht in Frage.

Oppositionelle und ihre Anhänger sitzen in roten T-Shirts mit albanischem Wappenadler einem Zelt vor dem Regierungssitz (Foto: AP)
Hungern für die NeuauszählungBild: AP

Durch ihren Boykott riskierten die sozialistischen Abgeordneten, ihre Mandate zu verlieren - und damit auch ihre Abgeordnetenbezüge, weil sie noch gar nicht vereidigt waren. Aus diesem Grund kehrten sie im Februar, gerade rechtzeitig vor Ablauf der gesetzlichen Frist von einem halben Jahr, ins Parlament zurück und leisteten ihren Schwur. Kurz darauf wurde eine Parlamentskommission eingerichtet die dem Vorwurf der Wahlfälschung nachgehen sollte.

Bis zum Hungerstreik

Zeitgleich machten die Sozialisten auch ein Zugeständnis an die Botschafter der EU-Staaten und der USA, denn diese hatten mit Unverständnis auf den Parlamentsboykott reagiert. Die Oppositionsabgeordneten erklärten einerseits, sie würden das Wahlergebnis als solches akzeptieren. Andererseits reservierten sie einen Vorbehalt: In einigen umstrittenen Wahlbezirken sei das Auszählungsverfahren unkorrekt gewesen. Deshalb würden sie nun den Protest unter dem Motto "Öffnet die Wahlurnen" auf die Straße tragen. Verantwortliche müssten bei nachweislichen Verstößen gegen Auszählungsbestimmungen bestraft werden.

Die Proteste der Opposition mündeten in einem Hungerstreik, der bis heute andauert. 200 Oppositionsanhänger, davon 20 Abgeordnete, verharren seit April in Zelten vor dem Regierungssitz in der Hauptstadt Tirana. Einige der Streikenden sind inzwischen wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Leere Stühle stehen am "Runden Tisch"(Foto: dpa)
Der Verhandlungstisch bleibt leerBild: picture-alliance/ dpa

Beobachter glauben, dass es Oppositionsführer Edi Rama nicht um eine Neuauszählung der Stimmen in den betroffenen Wahlkreisen geht, sondern um Neuwahlen. Internationale Vertreter vor Ort gehen zunehmend davon aus, dass nur ein politischer Dialog den Konflikt lösen kann. So nutzte der EU-Botschafter Helmuth Lohan, den Europatag (09.05.2010) zu einem Aufruf, den Streit "im Sinne Robert Schumans" beizulegen.

Beiderseitiges Einlenken gefordert

Andere glauben dagegen, dass nur Neuwahlen die verfahrene Situation lösen können. Die menschliche Dimension, die diese Krise durch den Hungerstreik erreicht habe, erfordere eine rasche Lösung. Ansonsten drohe eine Eskalation der Auseinandersetzungen, mahnt Michael Weichert, Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tirana. Er schlägt vor, die Neuwahlen mit den regulären Kommunalwahlen Anfang 2011 zusammenzulegen: "Bis dahin können Regierung und Opposition mit internationaler Hilfe das Wahlgesetz verbessern und Vorbereitungen treffen, damit die Wahlen besser als beim letzten Mal ablaufen".

Eine Situation, in der das Parlament handlungsunfähig sei, stelle eine große politische Krise dar, so Weichert. Zudem könne über wichtige Gesetzesvorhaben wegen fehlender qualifizierter Mehrheit nicht abgestimmt werden. Eine Lösung sei nicht in Sicht, solange weder Premierminister Berisha noch Oppositionsführer Rama bereit seien, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

EU-Annäherungsprozess gefährdet

Symbolbild, Ein Leuchtturm wirft die Europaflagge auf den Asphalt (Foto: EU)
Zweifel in der EU an Albaniens politischer ReifeBild: EU

In einem Punkt sind sich beide Seiten jedoch einig: Sie wollen der Europäischen Union beitreten und bis Ende dieses Jahres Erleichterungen der Visumsbestimmungen für albanischen Bürger erreichen. Sie halten dennoch an ihren festgefahrenen Positionen fest - wohl wissend, dass eine innenpolitische Krise den Integrationsprozess Albaniens in die EU erschwert.

Im April 2009 hatte Albanien einen Antrag auf Aufnahme in die EU gestellt. Mit dem Boykott der Parlamentsarbeit blockierte die Opposition allerdings wichtige Reformen, die Brüssel von Albanien fordert. Michael Weichert betont: "Ohne ein voll funktionierendes Parlament kann seitens der Europäischen Kommission kaum grünes Licht zu weiteren Schritten in Richtung der Integration in die EU gegeben werden."

Autorin: Vilma Filaj-Ballvora

Redaktion: Mirjana Dikic / Fabian Schmidt