Der Papst setzt auf Afrika und Asien
26. August 2022Städte wie Venedig oder Mailand, Berlin oder Paris, die altehrwürdige Bistümer sind und gerne einen Kardinal an ihrer Spitze haben, gehen leer aus. Stattdessen kommen einige der neuen Kardinäle, die Papst Franziskus am Samstag in den Kreis der potenziellen Papstwähler aufnimmt, aus der Mongolei, aus Ost-Timor, Singapur und Nigeria. Damit setzt Franziskus, nun gut neun Jahre im Amt, bei seinem insgesamt achten Konsistorium zur Aufnahme neuer Kardinäle seine Linie fort und schärft sie noch.
So viele Länder wie nie
Künftig kommen die Kardinäle, die noch keine 80 Jahre alt sind und damit in einem Konklave den nächsten Nachfolger Petri wählen dürften, aus 69 Ländern. Das sind so viele wie nie. Zum Vergleich: Beim bislang letzten Konklave 2013 stammten die Kardinäle aus 48 Ländern, bei der Papstwahl 2005 aus 52 Ländern. Bei den zwei Konklaven des Jahres 1978 waren jeweils 51 Länder vertreten. Nun wären vorerst 132 Kardinäle zur Teilnahme an einem Konklave berechtigt. Aber noch in diesem Jahr werden fünf Bischöfe, die den Kardinals-Purpur tragen dürfen, 80 Jahre alt und scheiden damit aus dem Kreis der Wahlberechtigten aus; der erste von ihnen, ein Bischof aus El Salvador, bereits am 3. September.
"Papst Franziskus folgt einem bestimmten Muster. Er kümmert sich nicht um das Kriterium, dass einige Großstädte in Europa oder generell im Westen traditionell Sitz eines Kardinals sind", sagt der Kirchenhistoriker Massimo Faggioli der Deutschen Welle. Ein Beispiel: Mailand hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts immer einen Erzbischof, der auch Kardinal wurde. Nacheinander neun an der Zahl, von denen zwei später sogar Päpste wurden. Dann kam 2017 Mario Delpini. Und bis heute bekam dieser nicht den Kardinalspurpur.
Ein Missionar wird Kardinal
Künftig gehört stattdessen Giorgio Marengo dem Kreis der Kardinäle an, er ist mit 47 Jahren der weltweit jüngste. Das besondere ist: Der gebürtige Italiener Marengo ist seit über 20 Jahre als Missionar in der Mongolei tätig und international nie aufgefallen – dort leben rund 1300 Katholiken; man weiß nur, dass Franziskus einige Wochen, bevor er Ende Mai die Namen neuer Kardinäle bekanntgab, mit ihm wegen eines Jubiläums der Kirche in der Mongolei telefoniert hatte. Gleich zwei der 16 neuen Kardinäle unter 80 Jahren kommen aus Indien: Anthony Poola (60) und Filipe Neri Antonio Sebastiao di Rosario Ferrao (69), zwei kommen aus Brasilien: Paulo Cezar Costa (54) und Leonardo Ulrich Steiner (71).
Lateinamerika, Afrika und vor allem Asien sind für den Papst wichtiger als die "alten" Kirchen in Europa oder Nordamerika. Aus Afrika kommen zwei neue Kardinäle unter 80 Jahren, aus Lateinamerika vier, allein aus Asien sechs. Schon diese sechs sind mehr als Europa (vier neue Kardinäle unter 80 Jahren) und Nordamerika (einer) zusammen. Und wenn heute über Favoriten bei der nächsten Papstwahl spekuliert wird, sind Namen von asiatischen Kirchenvertretern immer mit dabei.
Damit einher geht ein grundlegender Wandel. Erstmals kommt die Mehrheit der Papstwähler nicht mehr aus Europa. Vorerst sind es noch 53 von 132. Bei früheren Entscheidungen konnten die Europäer wesentlich Regie führen in einem Konklave. Das ist heute überholt. Franziskus hat im Kreis der Kardinäle das vollzogen, was bei Statistiken zur weltweiten Religiosität oder zur weltweiten Präsenz von Katholikinnen und Katholiken längst Wirklichkeit ist: Andere Kontinente dominieren, vor allem Afrika, Asien, Lateinamerika. Und der 85-jährige Papst, der als Argentinier selbst von der Südhalbkugel kommt, will frischen Wind aus dem globalen Süden für seine Kirche.
Eine künftige Papstwahl wird schwerer zu berechnen sein
Das macht auch ein künftiges Konklave unberechenbarer. Zum einen auf der Seite der Kandidaten. Denn seit dem Jahr 1378 wurde niemand zum Papst gewählt, der nicht vorher Kardinal war. Zum anderen macht es auch die Schar der wählenden Kardinäle weniger überschaubar. Massimo Faggioli: "Es ist sehr kompliziert sich vorzustellen oder vorherzusagen, wie die Kardinäle aus Afrika oder Asien abstimmen werden. Denn die Themen, über die sie nachdenken, sind sehr unterschiedlich im Vergleich zu Kardinälen aus Europa. Und das größte Problem besteht meiner Meinung nach darin, dass diese Kardinäle einander nicht kennen. Sie sind noch nie zusammengetroffen."
Kardinäle aus den jungen Kirchen entsprechen häufig dem Muster von "Franziskus-Bischöfen": Sie sind nah am Volk, durchaus fromm, aber sozialpolitisch, beispielsweise für Randgruppen, engagiert. Das gilt für den Missionar Morengo in der Mongolei oder auch für Peter Okpaleke aus Nigeria. Der 59-Jährige war über Jahre Bischof einer Diözese, deren Gläubige ihn wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit nicht respektierten. Franziskus hielt zu ihm und gab ihm dann 2020 eine neue Diözese, Ekwulobia im Süden des Landes, in der er heute tätig ist.
Auch der einzige US-Bischof und der einzige Bischof einer europäischen Metropole, die nun Kardinal werden, passen in dieses Raster der "Franziskus-Bischöfe". Robert Walter McElroy (68), Bischof von San Diego in Kalifornien, gehörte zu den wenigen Oberhirten in den USA, die politisch frühzeitig die Migrationspolitik von Präsident Donald Trump kritisierten und kirchlich die Nähe zu Franziskus betonten und sich nicht im Ultrakonservativen verloren. Und der Erzbischof von Marseille, Jean-Marc Aveline (63), selbst in Algerien geboren, engagiert sich in der quirligen Hafenstadt in der Migrationspolitik.
Ein ungewöhnliches Treffen bietet Anlass zu Spekulationen
Kardinäle aus 69 Ländern, die sich vielfach überhaupt nicht kennen - das ist wohl zumindest einer der Gründe für das große Kardinalstreffen, zu dem Franziskus Tage nach der Feier der neuen Kardinäle in den Vatikan geladen hat. "Dieses Treffen, das außerordentliche Konsistorium, ist so wichtig, weil es nun ein unglaublich vielfältiges Kardinalskollegium ist", sagt Faggioli der DW. "Die Kardinäle müssen einander kennenlernen. Denn irgendwann wird das Konklave stattfinden, und viele oder die meisten von ihnen werden die Wähler sein."
Es ist das erste außerordentliche Konsistorium seit 2014. Papst Franziskus nutzt dieses Mittel der Kommunikation weit seltener als seine Vorgänger. Deshalb gibt es in Medien Spekulationen, ob der Papst über einen möglichen Rücktritt spricht oder die nächste Phase seines Pontifikats erläutert. "Papst Franziskus ist ein Papst der Überraschungen", sagt Faggioli. "Und ich habe keine Ahnung, ob es eine Überraschung geben wird." Er erwarte aber nicht, dass Franziskus seinen Rücktritt ankündigen werde. Eher gehe es um die im Sommer erfolgte Neuordnung der römischen Kurie, des Apparats im Vatikan. Dort stünden nun viele Personalentscheidungen an.
An diesen zweitägigen Beratungen im Vatikan sollen nach dem Willen des Papstes alle Kardinäle teilnehmen, auch diejenigen, die älter als 80 Jahre alt sind. Traditionell verleihen Päpste, wenn sie neue Purpurträger benennen, auch immer einigen (hoch betagten) verdienten Geistlichen die Kardinalswürde. Diesmal sind es vier. Eigentlich sollten es fünf sein. Aber ein bereits 80 Jahre alter belgischer Bischof verzichtete nach einigen Tagen auf die Ehrung durch Franziskus. Grund war eine aufkommende Kontroverse um Fehler des Bischofs im Umgang mit Missbrauchsfällen.