Papst Franziskus in Frankreich: Kritik an Lage von Migranten
21. September 2023Ohne die Hilfe der katholischen Ordensschwestern im italienischen Ventimiglia an der Grenze zu Frankreich wären die Migrantinnen und Migranten aufgeschmissen. Im Schnitt leben 150 bis 200 Menschen in der italienischen Grenzstadt Ventimiglia - unter freiem Himmel am Mittelmeer. Sie versuchen von hier aus illegal über die Grenze nach Frankreich zu kommen. Doch Frankreich bewacht die Grenze scharf. Die Flüchtenden brauchen in dieser bergigen Region meist mehrere Versuche, um die Grenze zu überwinden.
Migration im Mittelpunkt der Papstreise nach Marseille
Wenn Papst Franziskus an diesem Freitag ins südfranzösischen Marseille reist, wird er das Schicksal dieser Menschen in den Mittelpunkt seines Besuches stellen. Zum Auftakt geplant ist ein Besuch des Denkmals für die Schiffbrüchigen und die im Meer ertrunkenen Migranten. Es ist ein bewusst gesetztes Signal: Der Heilige Stuhl prangert schon länger den Umgang mit der Migration in Europa an – vor allem durch das reiche Westeuropa.
Unter den Geflüchteten in Ventimiglia sind viele Jugendliche aus Sudan, Äthiopien oder Eritrea, aus Kriegsgebieten. Jeden Morgen verteilt die katholische Hilfsorganisation Caritas ein paar Brote, am Abend kochen Ehrenamtliche. Der Bürgermeister der Stadt gehört der rechtspopulistischen Partei Lega an und lehnt jede staatliche Hilfe für die Flüchtenden ab. Die kirchlichen Helfer berichten von Schleppern aus der organisierten Kriminalität, die hier Profit machen.
"Die zahlreichen Bergpfade, die die Grenze überqueren, werden von Drohnen und gelegentlich auch von Hubschraubern überwacht und von der französischen Polizei patrouilliert", schrieb der Migrationsforscher Luca Daminelli von der Universität Genua in einer Analyse zur Situation an dieser EU-Binnengrenze bereits im Jahr 2021. Seither hat sich die Lage weiter verschärft. Unlängst schrieb der Präsident des französischen Départements Alpes-Maritimes, Charles Ange Ginésy, an Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, die Aufnahmeeinrichtungen für Minderjährige seien überfüllt – also für jene, die es tatsächlich von Italien über die Grenze nach Frankreich schaffen.
Treffen von Klerus und Laien aus den Mittelmeerländern
Papst Franziskus soll in Marseille auch auf Staatspräsident Macron treffen. Die französische Hafenstadt ist die älteste Stadt des Landes und seit Jahrtausenden ein Drehkreuz. Sie liegt nur 200 Kilometer von der Grenze bei Ventimiglia entfernt - und ist auch jetzt wieder Durchgangsstation, diesmal für Migrantinnen und Migranten aus Richtung Italien.
In Marseille wird Franziskus am Abschluss der "Rencontres Mediterranéennes" teilnehmen, eines kirchlichen Treffens von Klerus und Laien der Mittelmeer-Anrainerstaaten. Migration sei eine Herausforderung, "die man gemeinsam angehen" müsse, meint der Papst. Dass diese Herausforderung "nicht einfach" sei, zeige sich "auch in den aktuellen Medienberichten", so Franziskus bezogen auf die dramatischen Nachrichten von der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa, auf der im Moment tausende Flüchtlinge täglich aus Afrika neu ankommen.
Papst der Migrantinnen und Migranten
Schon früh wurde die Migration zu einem der großen Themen der nun gut zehnjährigen Amtszeit dieses Papstes. Seine erste Reise überhaupt war eine Reise zu Flüchtlingen, führte ihn knapp vier Monate nach seiner Wahl nach Lampedusa. Die Bilder von diesem Tag im Juli 2013 zeigen einen aufgewühlten Mann, der von Trauer und Anteilnahme tief bewegt wirkt.
Schon damals prangerte Franziskus die Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal von Migranten an. Er beklagte eine "Globalisierung der Gleichgültigkeit". Eine Formulierung, die seitdem immer wieder bei ihm auftaucht. Ähnlich wie seine harsche Klage gegen die Europäer. Die "Kultur des Wohlstands" lasse die Menschen in Europa wie in einer Seifenblase leben, sie seien voller Gleichgültigkeit.
Franziskus prangert an: Das Mittelmeer wird zum Friedhof
Diese Position unterstreicht Papst Franziskus noch einmal mit der Wahl seiner Reiseziele in Europa. Erst einmal besuchte er den reichen Kern Europas: zu einer Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg vor neun Jahren. Schon damals wirkte die Reise ins offizielle Europa wie ein Appell an Europa, wie ein Weckruf an seine Seele. Franziskus sprach das Thema "Flucht und Migration" in aller Deutlichkeit an und mahnte eine Ausrichtung der EU-Politik an der Würde jedes einzelnen Menschen an.
Die europäischen Staaten sollten das Migrationsproblem gemeinsam angehen. "Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird". Die Flüchtlinge, die an den europäischen Küsten landeten, bräuchten "Aufnahme und Hilfe".
Kein Besuch im reichen Westen
Von den sechs Gründungsstaaten des europäischen Einigungsprojektes besuchte er allein Italien. Weder nach Deutschland noch Frankreich, weder nach Belgien noch Luxemburg oder in die Niederlande hat er einen offiziellen Staatsbesuch nach diplomatischen Regeln unternommen. Auch der Aufenthalt in Marseille findet allein in kirchlichem Rahmen statt. Staatspräsident Macron besucht die Messe als Gast der Kirche. Franziskus zog es eher an die Peripherie Europas in Mittel- und Osteuropa, oder auf die Mittelmeer-Insel Lesbos, eines der vergessenen Zentren der Flüchtlingskrise seit 2015. Dorthin reiste der Papst gleich zwei Mal.
Anfang August erörterte der Papst, eventuell 2024 Kosovo besuchen zu wollen - gerade weil es eines der ärmsten und kleinsten Länder Europas ist.
Migration, sagte Franziskus am Sonntag vor seinem Marseille-Besuch, sei "wesentlich für die Zukunft aller, die nur dann blühen wird, wenn sie auf Geschwisterlichkeit gründe". An erster Stelle müsse die Menschenwürde stehen, "die konkreten Menschen, besonders die ärmsten". Wie es um sie bestellt ist, weiß der Papst aus erster Hand: Die meisten ehrenamtlichen Helfer bei der Essensausgabe im Grenzort Ventimiglia kommen aus den katholischen Kirchengemeinden der Region.