Palästinenser suchen Schutz des Völkerrechts
3. April 2014Es war ein juristischer Akt mit Publikumswirkung: Vor laufender Kamera unterzeichnete Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, die Betrittsgesuche zu 15 internationalen Verträgen. "Das ist unser Recht und wir haben zugesagt, es für neun Monate auszusetzen", sagte Abbas anschließend. Nun aber, nach dem vorläufigen Aussetzen der israelisch-palästinensischen Friedensgespräche, würden die Palästinenser ihr Recht wieder wahrnehmen. Sämtliche Anträge würden "unverzüglich" den zuständigen Organisationen übermittelt.
Die Unterzeichnung war eine Reaktion auf die aufgehobenen Friedensgespräche, die Palästinenser und Israelis unter Vermittlung von US-Außenminister John Kerry seit Juli 2013 geführt hatten. Die Palästinenser rechtfertigen ihren Schritt mit dem Umstand, dass Israel Ende März nicht, wie vereinbart, die letzten 26 von insgesamt 104 palästinensischen Langzeithäftlingen freigelassen hat.
Erfolgreiche Initiativen
Mit der Unterzeichnung setzen die Palästinenser ihre Bemühungen fort, die Autonomiegebiete als Staat international anerkennen zu lassen. Mit dieser Politik waren sie in den letzten Jahren erfolgreich: Im Oktober 2011 war Palästina Vollmitglied der UN-Kulturorganisation UNESCO geworden. Und im Dezember 2012 hatte es bei den Vereinten Nationen den Status eines "Beobachterstaates" erhalten. Juristisch habe das eine erhebliche Bedeutung, sagt Hans-Joachim Heintze, Professor für Völkerrecht an der Universität Bochum. "Die Mitgliedschaft in solchen internationalen Organisationen hat die Konsequenz einer de-facto-Anerkennung." Ein Mitgliedsstaat einer internationalen Organisation nehme Rechtsbeziehungen mit dieser sowie deren Mitgliedern auf. "Über diesen Weg versucht man, mit weiteren Mitgliedschaften in Organisationen und Verträgen eine de-facto-Anerkennung des Staates Palästina zu erreichen."
Ungeklärte juristische Bedenken
Mit einer de-facto Anerkennung umgeht Palästina die juristischen Bedenken, die einer förmlichen Anerkennung entgegenstehen. Denn diese sind bis heute nicht endgültig ausgeräumt. "Die Komplexität der Diskussionen um Staat oder Nicht-Staat ergibt sich aus der Tatsache, dass es kein allgemein gültiges und anerkanntes internationales Regelwerk gibt, unter welches sich die Frage der Staatlichkeit subsumieren ließe", schreibt die Juristin Ilona-Margarita Stettner in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Diese Bedenken hatte auch der Entscheidungsprozess um den Beobachterstatus Palästinas nicht ausräumen können. Eine Aufnahme in die Weltorganisation erfolgt gemäß der UN-Charta durch Beschluss der Vollversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrates. Vorbereitet wird diese Empfehlung durch den Ausschuss für die Aufnahme neuer Mitglieder. Ihm wurde der palästinensische Antrag im September 2011 vorgelegt. Der Ausschuss konnte keine einstimmige Empfehlung an den Sicherheitsrat abgeben. Der Sicherheitsrat war damit handlungsunfähig, was jedoch nicht verhindern konnte, dass die UN-Vollversammlung mit großer Stimmenmehrheit Palästina den Beobachterstatus als Staat einräumte.
Entscheidung mit Signalwirkung
Damit hat Palästina womöglich die Weichen für weitreichende völkerrechtliche Konsequenzen gestellt. "Die Aufwertung von einem Beobachter sui generis zu einem beobachtenden Nichtmitgliedsstaat in den Vereinten Nationen hätte eine Signalwirkung auf andere UN-Institutionen und sicherlich auch auf den Internationalen Strafgerichtshof", schrieb der Göttinger Völkerrechtler Sven Mißling in einem vor der Entscheidung veröffentlichten Gutachten. Das hieße, dass Palästina die Politik Israels in den besetzten Gebieten auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof verhandeln lassen könnte.
Diesen Kurs hat Palästina durch die Unterzeichnung der Abkommen und Verträge noch einmal verschärft. Die Genfer Konvention etwa, der Palästina nun beitreten will, könnte der israelischen Politik in den besetzten Gebieten ein umfassendes Regelungswerk entgegenstellen. Das israelische Vorgehen widerspreche den Genfer Konventionen bezüglich der Verpflichtungen einer Okkupationsmacht, erläutert Völkerrechtler Heintze. Darum stelle sich die Frage, was geschehe, wenn Palästina Staatlichkeit habe. "Müssten dann alle diese Siedlungen abgebrochen werden? Oder könnten sie verbleiben? Das müsste geklärt werden. Die Tendenz geht dahin, dass man solche Siedlungen nicht akzeptieren würde. Sie sind in der Tat bereits jetzt rechtswidrig."
Für die bisherige israelische Politik sind die palästinensischen Beitrittsgesuche zu den Konventionen darum eine Herausforderung. Würde den Anträgen der Palästinenser stattgegeben, müsste Israel damit rechnen, dass die Internationale Gemeinschaft seine Besatzungspolitik als unvereinbar mit den Genfer Konventionen erklären würde.
Innerpalästinensische Konsequenzen
Der Beitritt zu weiteren völkerrechtlichen Abkommen hätte allerdings auch für die Palästinensergebiete selbst Konsequenzen. Die Behörden der Autonomiegebiete wären auch verpflichtet, Missstände auf ihrem eigenen Gebiet abzuschaffen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtet von willkürlichen Verhaftungen im Westjordanland und dem Gazastreifen. Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit seien dort empfindlich eingeschränkt. Im Hinblick auf diese Missstände seien die Beitrittsanträge zu den Verträgen und Konventionen zu begrüßen, so Heintze. Denn dadurch verpflichte sich Palästina, menschenrechtliche Standards zu übernehmen, die über das Mindestmaß weit hinausgingen. "Deshalb ist das grundsätzlich positiv zu bewerten. Denn wir wollen ja einen universellen Standard der Menschenrechte."