"Pakistan unter verschärfter Beobachtung"
9. März 2019DW: Islamabad hat bekanntgegeben, dass es verschärft gegen militante und extremistische Organisationen und Einrichtungen vorgeht, es sollen über 180 Religionsschulen geschlossen und über 100 Personen vorläufig festgenommen worden sein. Was ist davon zu halten? Solche Aktionen gab es auch schon früher. So kritisiert Indien etwa, dass der Chef der Terrorgruppe Lashkar-e Toiba, Hafiz Saeed, mehrmals festgenommen und wieder auf freien Fuß gesetzt worden sei.
Christian Wagner: Ich glaube, dieses Mal ist es ernster zu nehmen, denn die Verhaftungen und auch die Schließung der verschiedenen Einrichtungen sind eine unmittelbare Reaktion auf die internationale Financial Action Task Force (FATF), die in den letzten Wochen über Pakistan beraten hat. Sie hat der pakistanischen Regierung deutlich zu verstehen gegeben, dass sie mit den bisherigen Anstrengungen noch nicht zufrieden ist. Pakistan muss fürchten, dass es, wenn es nicht die Anforderungen erfüllt, im September auf die schwarze Liste im Kampf gegen die Finanzierung des internationalen Terrors gesetzt werden würde. Das hätte für das Land natürlich weitreichende Konsequenzen, zum Beispiel an den Finanzmärkten.
Vermutlich wird die Regierung Gerichtsverfahren gegen die Anführer der Gruppen anstrengen, die erfahrungsgemäß aber lange dauern. Aber ich denke, die internationale Gemeinschaft wird in Zukunft ein stärkeres Auge auf die Entwicklung und das Verhalten Pakistans gegenüber diesen militanten Gruppen werfen als in der Vergangenheit.
Was ist mit der Gruppe Jaish-e-Mohammed (Armee Mohammeds/JeM), die für den jüngsten Anschlag in Jammu und Kaschmir verantwortlich ist? Auch diese Gruppe ist angeblich seit 2002 in Pakistan verboten, scheint aber ungestört aktiv zu sein.
Diese Gruppen sind zwar in Pakistan offiziell verboten, aber konnten weiter ungestört operieren. JeM und auch Lashkar-e Toiba (LeT) galten immer als verlängerter Arm der Armee beziehungsweise des Geheimdienstes und konnten deshalb weiterhin Anschläge planen und durchführen. Der frühere Präsident Musharraf hat einmal öffentlich erklärt, dass der Geheimdienst beide Gruppen ausbilde. Eine Reihe von Anschlägen seit 2002 werden JeM angelastet, unter anderem der Anschlag im Frühjahr 2016 auf den Stützpunkt Pathankot im indischen Kaschmir. Vermutlich wird man erst in einigen Monaten beurteilen können, ob und inwieweit sich an dem Verhältnis zwischen den militanten Gruppen und dem pakistanischen Sicherheitsapparat etwas geändert hat.
"Terrorgruppen können offenbar auch ohne Pakistans Hilfe zuschlagen"
Wie bewerten Sie Pakistans Reaktion nach dem indischen Luftangriff auf seinem Territorium?
Man muss feststellen, dass Pakistan viel getan hat, um diese Krise relativ schnell zu beenden. Man hat den gefangengenommenen indischen Piloten sehr schnell freigelassen. Offensichtlich gab es auf pakistanischer Seite zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt kein Interesse an einer solchen Krise, was angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes nicht weiter erstaunt. Das ist aber nur bedingt eine gute Nachricht, denn der Anschlag in Pulwama im indischen Teil Kaschmirs zeigt, dass Gruppen wie Jaish-e-Mohammed offensichtlich auch unabhängig von den pakistanischen Sicherheitskräften Anschläge durchführen können.
Indien hat mit einem angeblich erfolgreichen Luftschlag gegen Terrorziele auf pakistanischem Territorium auf den Anschlag in Jammu und Kaschmir reagiert. Es scheint aber große Schwierigkeiten haben, diese Erfolge zu belegen. Laut offiziellen pakistanischen Darstellungen und westlichen Berichten gab es an dem Ziel in Balakot praktisch keine Schäden. War die indische Operation also ein Fehlschlag?
Selbst in der indischen Presse gibt es zahlreiche Analysen, die bezweifeln, dass der Luftschlag ein Erfolg war. Man hat offensichtlich kaum Einrichtungen zerstört, wie Satellitenbilder gezeigt haben. Es bestehen mittlerweile auch starke Zweifel, ob überhaupt Terroristen getötet wurden. Die Regierung Modi hat jetzt im Wahlkampf schon darauf reagiert und betont nun nur noch, mit dem Luftschlag ein neues, entschiedenes Zeichen im Kampf gegen den Terrorismus gesetzt zu haben. Auf jeden Fall muss man konstatieren: Die roten Linien haben sich verschoben, denn Indien hat hier zum ersten Mal seit dem Krieg 1971 pakistanisches Staatsgebiet bombardiert.
"Geschickte Reaktion Pakistans nach indischem Luftschlag"
Durch den indischen Luftangriff wurde die Gefahr einer unkontrollierbaren militärischen Eskalation heraufbeschworen. Dazu ist es zum Glück nicht gekommen.
Die pakistanische Seite hat sich sehr geschickt verhalten. Mit ihrer begrenzten militärischen Antwort, der Beschießung im indischen Kaschmir, hat es keine militärischen Ziele attackiert. Beide Seiten haben in ihren offiziellen Verlautbarungen signalisiert, dass militärischen Einrichtungen nicht das Ziel der Angriffe sind. Pakistan hat aber diese Beschießung erstmals mit der Luftwaffe durchgeführt. Man hätte eine solche Gegenreaktion auch mit der Artillerie, die entlang der Line of Control stationiert ist, machen können. Von daher hat man auf beiden Seiten quasi die roten Linien etwas nach oben gezogen. Pakistan hat gezeigt, dass es auch mit seiner Luftwaffe reagieren kann.
Vermutlich hat die pakistanische Luftwaffe den Angriff aus ihrem Luftraum ausgeführt. Deshalb dürfte auch die Diskussion, ob Pakistan entgegen den Vereinbarungen mit den USA amerikanische F-16-Kampfflugzeuge offensiv eingesetzt hat, keine größeren Folgen haben.
"Politische Bewegung erst nach den Wahlen in Indien möglich"
Wie sehen Sie die Chancen für eine politische Lösung des Kaschmir-Konflikts?
Wenn wir einmal die schwer zu lösende völkerrechtliche Frage über den Status von Kaschmirs beiseite lassen, ist vor allem die indische Seite gefordert: Hier wird es darum gehen, wieder einen politischen Prozess in Jammu und Kaschmir in Gang zu setzen. Es hat in den letzten Jahren viele Proteste und auch eine Radikalisierung von Jugendlichen gegeben. Die Regierung hat darauf aber kaum politisch reagiert sondern allzu oft nur durch den Einsatz der Sicherheitskräfte. Es war einfacher, Protestierende in die Nähe des Terrorismus zu rücken oder pauschal als Sympathisanten Pakistans einzustufen.
Man kann eigentlich nur hoffen, dass es nach den Wahlen in Indien wieder zu einem Dialog zwischen der Zentralregierung in Neu Delhi und den politischen Kräften in Jammu und Kaschmir kommt. Die indische Regierung hat ja erst vergangenen Dezember die Landesregierung in Kaschmir abgesetzt. Eine Lösung für die Probleme auf der indischen Seite kann es nur geben, wenn zwischen den verschiedenen Protestgruppen differenziert wird und dann entsprechende politische Strategien entwickelt werden. Es gibt auch immer wieder kritische Stimmen innerhalb der indischen Sicherheitskräfte, die eine solche politische Lösung anmahnen. Damit könnte man auch den bislang aus Pakistan heraus operierenden Extremisten den Nährboden entziehen.
Wenn es Pakistan dann wirklich noch gelingen sollte, die Aktivitäten militanter Gruppen wie JeM oder LeT nachhaltig einzuschränken, könnte man die Spirale der Gewalt durchbrechen und die bilateralen Beziehungen zwischen Indien und Pakistan könnten sich wieder deutlich verbessern.
Christian Wagner ist Senior Fellow der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).