Pakistan: Parlamentswahlen im Schatten des Militärs
5. Februar 2024Für viele Bürger in Pakistan steht das Ergebnis der bevorstehenden Parlamentswahlen am 8. Februar bereits fest. Das mächtige Militärestablishment werde die PTI-Partei (Tehreek-e-Insaf- Bewegung für Gerechtigkeit), die Partei des ehemaligen Premierministers Imran Khan um jeden Preis von der Macht fernhalten, sagten viele Bürger der DW. "Ich habe nicht vor, meine Stimme abzugeben. Ich unterstütze Imran Khan und er ist nicht berechtigt, an Wahlen teilzunehmen. Deshalb interessiere ich mich nicht für diese Parlamentswahlen", sagt Aliya Durrani, eine Einwohnerin Islamabads, gegenüber der DW.
Khan wurde in mehreren Fällen wegen Korruption und der Weitergabe von Staatsgeheimnissen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt und ist von den Wahlen ausgeschlossen. Meinungsumfragen zufolge liegt seine PTI-Partei jedoch vor ihren Hauptrivalen, der Pakistan Muslim League (N) von Nawaz Sharif, der in der Vergangenheit bereits dreimal Premierminister war, und der Pakistan People's Party unter der Führung von Bilawal Bhutto-Zardari, dem Sohn der ermordeten Ex-Premierministerin Benazir Bhutto.
Harris Khalique, Generalsekretär der nichtstaatlichen Menschenrechtskommission Pakistans, sagte der DW, die PTI sei "zweifellos eine große Volkspartei" in Pakistan. "Wenn die Wahlen frei und fair abgehalten werden, wird die PTI in den Großstädten viele Sitze im Parlament gewinnen", meinte Khalique, betonte aber: "Dieser Hype in den sozialen Medien ist ein wenig übertrieben, Khans Popularität auch schon etwas übertrieben".
Khan zerwarf sich mit dem Militär
Die bevorstehenden Wahlen am 8. Februar kreisen um einen Ex-Premier, der die Militärgeneräle, die mit eisernem Griff an der Macht festhalten, herausgefordert hat. Im Jahr 2018 hatten Khans Gegner dem militärischen Establishment noch vorgeworfen, ihm den Weg zur Macht zu ebnen. Doch bis zum Misstrauensvotum im April 2022, bei dem Khan aus der Regierung gedrängt wurde, waren die Spannungen zwischen ihm und den Generälen angestiegen.
Khan beschuldigte das Militär, das Misstrauensvotum gegen ihn inszeniert zu haben. Er behauptete außerdem, die USA hätten mit dem Militär und den politischen Parteien, die mit seiner rivalisierten, zusammengearbeitet, um ihn aus dem Amt des Premierministers zu entfernen; eine Behauptung, die Washington kategorisch zurückgewiesen hat.
Nach einem Jahr der Konfrontation mit dem Militär gingen Khans Anhänger im ganzen Land auf die Straße, um gegen seine Verhaftung zu protestieren. Die Proteste eskalierten und wurden gewalttätig. Einige Randalierer griffen militärische Einrichtungen an und wüteten durch die Wohngebiete der Armee. "Ich glaube, sie (die Unruhen) spiegelte die Stimmung der Bevölkerung und der Arbeiter (Parteiaktivisten) wieder", sagte Shahriyar Riaz, ein PTI-Funktionär in der Stadt Rawalpindi, in einem Interview mit der DW. "Ich glaube aber auch, dass der Umgang mit der Situation nicht gut gehandhabt wurde. Was geschehen ist, hat die politische Lage in Pakistans verändert", fügte er hinzu.
Mit den Vorfällen, die als "9.-Mai-Unruhen" bezeichnet werden, schien für die mächtige Armee des mehrheitlich muslimischen Landes eine rote Linie überschritten worden zu sein und sie veränderten die Beziehung zwischen Militär und Politik. In den Monaten nach den Unruhen begannen die Behörden, mutmaßliche Demonstranten, darunter PTI-Mitglieder, vor Militärgerichten zu verurteilen. Scharen hochrangiger und mittlerer Parteifunktionäre der PTI kündigten ihren Rücktritt an und erklärten ihre Unterstützung für das Militär. "Die PTI baute bereits ein Narrativ auf, als Khan durch ein Misstrauensvotum abgesetzt wurde", sagte der Brigadier im Ruhestand Waqar Hassan Khan gegenüber der DW. Er fügte hinzu: "Am 9. Mai stellten wir einen orchestrierten Angriff auf den Staat fest".
Behauptungen über Manipulationen vor der Wahl
In den letzten Wochen gab es Berichte darüber, dass potenzielle PTI-Kandidaten daran gehindert wurden, Nominierungsunterlagen einzureichen, und dass der Oberste Gerichtshof der Partei die Verwendung ihres ikonischen Kricketschläger-Wahlsymbols untersagte. Die Ereignisse haben die bevorstehenden Wahlen äußerst umstritten gemacht. Khans Berater und einige Analysten sprechen von Wahlmanipulationen.
Noreen Shams, eine Journalistin aus Karatschi, sagt, die gesamte Geschichte Pakistans sei voller "manipulierter" Wahlen. "Was jetzt passiert, geschah auch bei früheren Wahlen. Diejenigen, die die Favoriten der Machthaber waren, sind jetzt Bösewichte; diejenigen, die 2018 Bösewichte waren (Ex-Premierminister Sharif), sind jetzt ihre Favoriten", sagte sie der DW. Pakistan habe schon immer eine hybride Regierungsform gehabt, bei der sich die gewählten Volksvertreter die Macht mit dem Militär teilten, fügte Shams hinzu.
"Wahlen sollten frei, fair und transparent abgehalten werden. Wer gewählt wird, sollte Entscheidungen treffen, die sich positiv auf die Lebensgrundlagen der Menschen auswirken", fordert Khalique, der Generalsekretär der nichtstaatlichen Menschenrechtskommission Pakistans.
Iqra Rafique, die in einem Schönheitssalon arbeitet, kann dem nur zustimmen. Sie wolle, dass die Wahlen frei abgehalten werden, damit der nächste Premierminister des Landes "nach dem Willen des Volkes" gewählt werde.
Was passiert als nächstes?
Bei den bevorstehenden Wahlen geht es jedoch nicht nur um die Popularität einer Partei oder eines Politikers. Es steht viel mehr auf dem Spiel, da Pakistan unter einer schweren Finanzkrise, hoher Inflation, Arbeitslosigkeit und Umweltkatastrophen leidet.
Es bereitet einigen Sorgen, dass die Bevölkerung Pakistans so darauf konzentriert ist, über die Runden zu kommen, dass sie an den bevorstehenden Wahlen völlig desinteressiert ist. Saira Khan, eine Lehrerin in Islamabad, sagt: "Es spielt keine Rolle, wer an die Macht kommt. Jeder, der an die Macht kommt, muss für politische Stabilität im Land sorgen, und das ist nicht möglich, ohne Vertrauen in der Öffentlichkeit aufzubauen. Wahlen sind also wichtig, aber ich glaube nicht, dass sie einen großen Unterschied machen werden".
Im aktuellen Szenario hat der ehemalige Premierminister Nawaz Sharif die größten Chancen auf einen Sieg bei den Wahlen am 8. Februar. Seine Pakistan Muslim League Party argumentiert, dass sich Wirtschaft und Politik des Landes eine Rückkehr der PTI an die Macht nicht leisten können. "Khan und seine Partei haben ihre Denkweise völlig offengelegt. Sie werden niemals zulassen, dass die pakistanischen Institutionen unabhängig funktionieren. Sie verbrachten eine beträchtliche Zeit sowohl in der Opposition als auch in der Regierung, zeigten jedoch intensiven Hass auf [Sicherheits-]Institutionen, indem sie verbale Angriffe starteten und diese auf körperliche Angriffe ausdehnten", sagte Tariq Fazal Choudhry, ein Funktionär der Pakistan Muslim League (Nawaz) im Gespräch mit der DW.
Die Ereignisse vor, am und nach dem 9. Mai 2023 führten dazu, dass das mächtige Militär des Landes der PTI klar seine Unterstützung entzog, was jedoch einen Zuspruch für Imran Khan in der Bevölkerung nicht stoppen konnte. Es ist noch ungewiss, wer das Land nach den Wahlen regieren wird. Aber es ist klar, dass die Partei, die an die Macht kommt, sich mit dem Militär auseinandersetzen muss.
Mitarbeit: Ali Kaifee aus Islamabad
Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein