Oprah Winfrey und Prinz Harry - erste Doku
21. Mai 2021Depressionen und psychische Probleme waren lange Zeit gesellschaftliche Tabuthemen. Nicht zuletzt die Folgen der Corona-Krise mit vielen Todesopfern, Lockdowns und der sozialen Isolation führen nun dazu, dass die psychischen Schäden in der Öffentlichkeit diskutiert werden, auch im Fernsehen.
Die US-amerikanische Star-Talkerin Oprah Winfrey greift die Thematik nun gemeinsam mit Prinz Harry in einer neuen Doku-Reihe mit dem Titel "The Me You Can't See" (Das Ich, das du nicht siehst) auf. Die beiden haben das Format mit gestaltet und produziert. Ab dem 21. Mai werden beim Streaming-Dienst Apple TV+ Prominente und andere Menschen über ihre Erfahrungen mit psychischen und emotionalen Problemen sprechen. Die Reihe soll dabei helfen, Depressionen und psychische Probleme von ihrem Stigma zu befreien. In der ersten Folge spricht Prinz Harry mit Oprah Winfrey ausführlich darüber, wie der Tod seiner Mutter Diana im Jahr 1997 seine Entscheidung beeinflusst hat, die königliche Familie zu verlassen. Als Gründe gibt er die Enttäuschung über seinen Vater, Prinz Charles, an, und gibt ihm die Schuld dafür, als Kind viel Leid erlebt, und später, als er und seine Frau Meghan Markle von den Medien belästigt wurden, nicht eingegriffen zu haben.
Folgen der Pandemie für die Psyche noch offen
Thema der Serie sind auch die Pandemie und ihre langfristigen Auswirkungen auf die Psyche. Noch herrscht Unklarheit, welches Ausmaß diese haben. Einige Statistiken lassen aber jetzt schon Düsteres erahnen. Eine Umfrage der amerikanischen Bundesbehörde "US Census Bureau" im Dezember 2020 ergab, dass 42 Prozent der Befragten in diesem Monat über Symptome von Angst oder Depression klagten - im Vorjahreszeitraum waren es nur elf Prozent gewesen.
Studien in Deutschland, etwa vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, belegen, dass eines von drei Kindern in Folge der Pandemie an Ängsten oder Depressionen leidet oder psychosomatische Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen entwickelt hat.
Gefühl der Hoffnungslosigkeit
Linda Blair, Psychologin und Mitarbeiterin der British Psychological Society, warnt, dass es lange dauern könne, bis sich die Psyche wieder erholt habe, selbst wenn sich die Gesamtsituation wieder normalisiere. "Eine oft zu beobachtende Reaktion auf Katastrophen ist es, sich mit anderen zu verbünden", sagt Blair im Gespräch mit der DW.
Zu dieser Form von Gemeinschaftsbildung gehöre im konkreten Fall der Corona-Pandemie etwa das gemeinsame Online-Musizieren oder das Bejubeln des Gesundheitspersonals, wie es nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern im Frühjahr 2020 stattfand. "Menschen können nur in Gruppen effektiv überleben", bilanziert sie.
Doch nach ein paar Monaten fange der Mensch an, Adrenalin und andere Neurohormone, die ihn mit Energie versorgen und zum Kämpfen anspornen, abzubauen, "vor allem, wenn die Ursache nicht zu fassen ist - wie ein Virus", erklärt die Psychologin.
Es folge eine Phase des Rückzugs, in der die Menschen nicht mehr aneinander festhalten oder sich um Hilfe bemühen, obwohl sie diese angesichts der sozialen Distanz eigentlich bräuchten. So entstünde ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit.
Emotion des Jahres: Antriebslosigkeit
Von dieser Phase des Rückzug handelte kürzlich auch ein Artikel in der "New York Times", in dem der US-amerikanische Psychologe Adam Grant über die dominierende Emotion des Jahres 2021 schrieb: die Antriebslosigkeit. Mit dem Fortschreiten der Pandemie - vor allem in Europa - verspürten viele Menschen ein Gefühl der Stagnation, eine Freudlosigkeit und Ziellosigkeit, die aber nicht als Burn-out oder Depression bezeichnet werden könne, schreibt Grant.
Antriebslos sind jene, die nicht depressiv, aber dennoch niedergeschlagen sind. Dieses Gefühl könne der Anfang für psychische Erkrankung sein. "Erst in den nächsten sechs bis acht Monaten werden wir anfangen, die posttraumatische Belastungsstörung, die Depressionen und die chronische Angst zu erkennen", prognostiziert Linda Blair.
Für manche war die Pandemie auch ein Weckruf, der daran erinnerte, dass es im Leben keine Garantien gibt und sicher geglaubte Routinen sich schnell ändern können. "Die Angst vor einer unsicheren Zukunft ist viel größer als die Ängste, die wir vor COVID hatten", sagt Blair.
Lady Gaga als Vorbild
In der Apple-Serie diskutieren Prinz Harry und Oprah Winfrey mit 14 Fachleuten und Vertretern von Institutionen aus dem Bereich der psychischen Gesundheit, um Therapiewege aufzuzeigen.
Prominente Gesprächsgäste wie Lady Gaga, die Schauspielerin Glenn Close und der Basketballspieler DeMar DeRozan von den San Antonio Spurs sollen Betroffenen als Vorbilder dienen und ihnen Mut machen, Hilfe und Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
"Die meisten von uns tragen irgendeine Form von ungelöstem Trauma, Verlust oder Trauer mit sich, die sich sehr persönlich anfühlt - und es auch ist", wird Harry in einer offiziellen Stellungsnahme zitiert. Die Doku-Reihe solle zeigen, "dass in der Verletzlichkeit Kraft liege, in der Empathie Verbindung und in der Ehrlichkeit Stärke".
Auch Podcast-Formate geplant
Seit seinem Rückzug vom britischen Königshaus engagiert sich Prinz Harry auf verschiedenen Ebenen. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Meghan hat er Verträge für Dokumentarfilme mit Netflix und Podcasts abgeschlossen. Anfang März hatte das Paar Oprah Winfrey ein exklusives TV-Interview gegeben, das laut des Senders CBS 17,1 Millionen Zuschauer anschauten.
Ob eine TV-Sendung mit prominenter Unterstützung nachhaltig dazu beitragen kann, das Thema psychische Probleme aus der Scham-Ecke zu befreien, hängt laut Linda Blair vor allem von deren Inhalt ab. "Das Bewusstsein zu schärfen ist großartig, aber wenn man sich Themen wie Black Lives Matter oder Frauenrechte anschaut, reicht es nicht aus, sie nur im Bewusstsein der Leute zu halten." Das Fernsehen sei als Medium für kurze Aufmerksamkeitsspannen und Unterhaltung konzipiert worden.
Deutsche Adaption: Torsten Landsberg/Sabine Oelze