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Das Stigma der Depression

Gudrun Heise
6. April 2017

Depressionen sind eine ernsthafte Erkrankung, aber auch ein Tabuthema. Die WHO fordert bessere Aufklärung und hat Depressionen in den Mittelpunkt des diesjährigen Weltgesundheitstages gestellt.

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Symbolbild Depression
Bild: Irna

"Depression: Let's talk" - lasst uns reden: ein Lehrer und ein Schüler, zwei Frauen, Arbeitskollegen, Arzt und Patient. Sie sprechen miteinander. Die Plakate der WHO zeigen Menschen aus der ganzen Welt, etwa aus Europa und Asien, aus Afrika und sogar aus Japan. "Depressionen sind wahrscheinlich in den allermeisten Ländern und Kulturen ähnlich häufig", sagt Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie der Universität Leipzig. Einer WHO-Studie zufolge leiden weltweit etwa 322 Millionen Menschen an Depressionen. Das sind 4,4 Prozent der Weltbevölkerung.

Infografik Depression weltweit nach Region DEU

Eine ernstzunehmende Krankheit 

Noch immer besteht bei vielen der Irrglaube, dass Depressionen vor Allem mit allgemeinen Lebensproblemen zu tun haben oder mit Trauer und Verzweiflung. Schon seit vielen Jahren greift die WHO solche Vorurteile immer wieder auf. Das sei aber eben nicht genug, meint Thomas Müller-Rörich von der Deutschen Depressionsliga. "Es wird noch immer viel zu wenig darüber gesprochen. Das Bewusstsein über die Erkrankung findet im Gesundheitssystem und in der Gesellschaft allgemein nicht die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich haben sollte." Er selbst habe unter Depressionen gelitten, erzählt er. Ihm haben Psychotherapie und Antidepressiva geholfen.

WHO global health days
Eines von vielen Plakaten der WHO zum Weltgesundheitstag 2017Bild: WHO

Die Angst vor Antidepressiva.

Gerade in Deutschland haben viele Patienten Angst davor, Antidepressiva einzunehmen. "In Deutschland muss man Patienten mit Engelszungen dazu überreden, dass sie ein solches Medikament ausprobieren", erklärt Hegerl. "Und viele stellen dann fest, dass ihre oft seit Monaten bestehende Depression endlich abklingt. Viele haben auch Angst, dass Antidepressiva süchtig machen könnten. Hätte er selbst eine schwerere Depression, sagt Hegerl, würde er ohne Zögern Antidepressiva einnehmen, genauso wie Insulin bei einem schweren Diabetes.

Am Arbeitsplatz und in der Familie, bei Freunden und Verwandten - überall gibt es erhebliche Defizite beim Thema Depressionen - aber man spricht nicht darüber. Gerade Angehörige fühlen sich oft nicht in der Lage, angemessen mit den Betroffenen und ihren Problemen umzugehen. Und selbst Ärzte sind manchmal  überfordert, denn die Krankheit versteckt sich oft hinter körperlichen Beschwerden. Schließlich sehen viele Depressionen als Stigma an und versuchen, die Erkrankung zu verheimlichen und sich nicht damit auseinanderzusetzen.

Typische Symptome

Leidet jemand an einer Depression, gibt es zahlreiche Anzeichen. Sie müssen mindestens über zwei Wochen permanent vorhanden sein. Es geht dabei nicht nur um eine gedrückte Stimmung. Menschen mit Depressionen sind unfähig, Freude zu empfinden, leiden unter einem dauernden Erschöpfungszustand, haben Schlafstörungen. "Diese Menschen können nicht einschlafen, obwohl sie erschöpft sind. Appetitstörungen mit Gewichtsverlust, Hoffnungslosigkeit und auch finstere Gedanken, sich etwas anzutun, gibt es häufig. Der Zustand der Depression unterscheidet sich deutlich von anderen Befindlichkeitsstörungen wie etwa Trauer oder Stress", erläutert Hegerl. "Die Menschen sind innerlich wie versteinert, können oftmals nicht mehr weinen und fühlen sich permanent angespannt, wie vor einer Prüfung."

Infografik Depression weltweit nach Region DEU

Das Smartphone als Gesundheitsbegleiter

Hilfe und Unterstützung könnte ein neues Projekt mit dem Namen "Steady" bieten. Es ist ein sensorbasiertes System, das die Therapie fördern und vor allem das Selbstmanagement bei Depressionen optimieren soll. Steady ermöglicht es den Patienten, dauerhaft mittels des Smartphones und zum Beispiel eines Fitness-Armbands Biosensordaten wie etwa Herzfrequenz, Schlaf, Stimme oder Bewegung zu sammeln und diese Information für das individuelle Selbstmanagement zu nutzen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und das Institut für Angewandte Informatik in Leipzig koordinieren dieses Projekt.

"Die Patienten geben morgens und abends ein, wie ihre Stimmung und ihr Antrieb sind ", sagt Hegerl. „Es wird dann mit Hilfe von Algorithmen untersucht, wie diese mit den gemessenen Biosensordaten zusammenhängen und dies wird dann so aufbereitet, dass der Patient damit was anfangen kann. So könnte Steady den Patienten sehr frühzeitig auf Besserungen und Verschlechterungen von Stimmung und Antrieb hinweisen. Der Patient könnte dann frühzeitig gegensteuern.

Eine wertvolle Ergänzung

Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze
Viele Flüchtlinge leiden unter Depressionen. Gewalt, Flucht und Traumatisierung hinterlassen deutliche Spuren. Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

"iFightDepression" -  "ich kämpfe gegen die Depression" - ist ein internet-basiertes Selbstmanagement-Programm, das in Deutschland von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe kostenfrei angeboten wird.  Es besteht aus verschiedenen Informationsmodulen, aus Arbeitsblättern und Übungen. Sie sollen den Patienten dazu anregen, negative Verhaltensmuster zu ändern, die eigenen Aktivitäten zu beobachten und auch verschiedene Stimmungen zu registrieren. Letztendliches Ziel ist es auch hier, die Depression in den Griff zu bekommen. Aber auch der behandelnde Arzt muss mitspielen. Er muss den Patienten bei der Nutzung des iFightDepression-Tools begleiten, das heißt nachfragen, ob es hilft und alles verstanden wird. Das iFightDepression-Tool ist eine Ergänzung und kein Ersatz für eine reguläre Behandlung mit Antidepressiva oder Psychotherapie.

Die Kluft zwischen arm und reich

In Deutschland und Europa gibt es immer mehr solcher digitaler Möglichkeiten, bei denen die Patienten aktiv bei der Therapie mitmachen. In den ärmeren Ländern sieht das anders aus. Das trifft auch auf die vielen Kriegsflüchtlinge zu, auf die Opfer von Verfolgung und Gewalt, Menschen, die schwerstens traumatisiert sind. Depressionen können sich dann auch auf die nächste Generation auswirken. "Hat man einen nahen Verwandten, der an Depressionen leidet, ist das Risiko selbst daran zu erkranken zwei- bis dreimal so hoch", erläutert Hegerl. Und Müller-Rörich gibt zu bedenken, dass es ohne psychische Gesundheit auch keine körperliche Gesundheit gebe. "Wir finden es absolut angemessen, dass an einem Weltgesundheitstag einmal die Psyche in den Vordergrund gestellt wird."