Imamoglu will mit Erdogan zusammenarbeiten
24. Juni 2019Zu zehntausenden strömten die Menschen in Istanbul zu spontanen Feiern auf die Straße, nachdem der Sieg ihrem Kandidaten Ekrem Imamoglu von der oppositionellen CHP-Partei nicht mehr zu nehmen war. Autokorsos fuhren durch die Wirtschaftsmetropole, Istanbuler fielen sich lachend in die Arme. In der Hochburg der säkularen CHP, im Landkreis Sisli, skandierten die Anwohner: "Recht, Gesetz, Gerechtigkeit." Viele schwenkten türkische Flaggen, andere hielten Poster mit dem Abbild von Staatsgründer Atatürk hoch. "Ich war seit Jahren nicht so glücklich", freute sich die 30-jährige Ilayda.
"Die ganze Türkei hat gewonnen"
Und der Gewinner - er versprach einen Neubeginn für das ganze Land. "Nicht eine einzelne Partei, sondern ganz Istanbul und die Türkei haben diese Wahl gewonnen", sagte der 49-jährige Imamoglu. In einer Rede vor jubelnden Anhängern erklärte er: "Heute haben 16 Millionen Einwohner Istanbuls unseren Glauben an die Demokratie erneuert und unser Vertrauen in Gerechtigkeit untermauert."
Imamoglu kündigte an, er wolle mit Präsident Recep Tayyip Erdogan "harmonisch zusammenarbeiten", um die dringendsten Probleme der Stadt zu lösen. Der Bürgermeisterposten in der mit Abstand größten türkischen Stadt ist das bedeutendste Amt dieser Art in dem muslimisch geprägten Land.
Erdogan hatte zuvor dem Sieger via Twitter gratuliert. Die Wahl habe "den Willen des Volkes" gezeigt, schrieb er weiter. Auch Imamoglus Rivale, der frühere Ministerpräsident Binali Yildirim von der regierenden islamisch-konservativen AKP, gratulierte und wünschte viel Glück.
800.000 Stimmen mehr
Im Vergleich zur ersten Abstimmung Ende März, deren Ergebnis auf Drängen von Erdogan annulliert worden war, konnte Imamoglu dieses Mal seinen Vorsprung deutlich ausbauen. Der CHP-Kandidat gewann nach Auszählung fast aller Stimmen mit 54 Prozent. Auf Yildirim entfielen nur 45 Prozent. Der Abstand betrug damit laut TV-Sendern rund 800.000 Stimmen nach nur 13.000 bei der März-Wahl. Die Beteiligung lag bei 84,4 Prozent.
Die Wahl stand ganz im Zeichen der Wirtschaftskrise. Auch unter traditionellen AKP-Wählern war die Unzufriedenheit hoch über den drastischen Anstieg der Lebenshaltungskosten seit dem Absturz der türkischen Lira im vergangenen Sommer. Imamoglu hatte sich im Wahlkampf auf soziale Themen wie Armut, Arbeitslosigkeit und Kinderbetreuung konzentriert und dem "System der Verschwendung" in der Stadtverwaltung den Kampf angesagt.
se/qu (rtr, dpa, afp, ap)