Omikron: Tourismusbranche am Boden?
14. Januar 2022Für die deutsche Tourismusindustrie war der vergangene Freitag wieder einmal ein schwarzer. Aufgrund der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante einigte sich die Ministerpräsidentenkonferenz auf die 2G-plus-Regel für Gaststätten und Restaurants. Das heißt: Nur wer geboostert ist oder zusätzlich zur Impfung oder Genesung einen aktuellen Negativtest vorweisen kann, darf auswärts essen und trinken. Einer von unzähligen Rückschlägen für die ohnehin gebeutelte Tourismusbranche. Viele befürchten einen massiven Kundenrückgang oder müssen eventuell ganz schließen, weil sich der Betrieb so nicht mehr lohnt.
"Die Lage ist bei vielen Mitgliedern erneut dramatisch", sagt Ingrid Hartges, Geschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. Sie fürchtet weitere Umsatzverluste aufgrund der verschärften Zugangsregeln. Auch an der Verhältnismäßigkeit der neuen Maßnahmen zweifelt sie und verweist auf Zahlen des RKI, die im letzten Jahr gezeigt hätten, dass das Gastgewerbe kein Pandemietreiber sei. Allein von Januar bis Oktober 2021 habe ihre Branche einen Umsatzverlust von fast 42 Prozent gegenüber dem Vorkrisenjahr gemacht.
Laut Dehoga-Befragungen war der Verlust im November und Dezember noch größer, da bei vielen Betrieben aufgrund der Einschränkungen das Weihnachts- und Silvestergeschäft ausfallen musste. 55 Prozent der Befragten bangen um ihre Existenz – und das obwohl die staatlichen Hilfen bis Ende März verlängert wurden.
Tourismus unterschiedlich stark getroffen
Vor allem kleinere Unternehmen hat die Pandemie schwer getroffen. "Es findet gerade eine absolute Marktbereinigung statt", sagt Tourismusforscherin Claudia Brözel von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Große Reiseveranstalter oder Fluglinien hätten es dank großzügiger staatlicher Unterstützung besser durch die Pandemie geschafft. Tatsächlich könnten die Auswirkungen auf die einzelnen Bereiche des Tourismus unterschiedlicher kaum sein. So profitieren etwa Ferienhotels in beliebten Urlaubsregionen von der gestiegenen Reiselust im Sommer – einige machten sogar mehr Umsatz als vor der Pandemie. Kein Wunder also, dass Reiseveranstalter sich für das kommende Jahr vorsichtig optimistisch zeigen. Unterkünfte in Städten, etwa für Konferenzen und Geschäftsreisen, haben hingegen seit fast zwei Jahren kaum Gäste.
Das könnte auch nach der Pandemie so bleiben. Die meisten Experten gehen davon aus, dass viele Geschäftsreisen auch in Zukunft durch Online-Meetings ersetzt werden. "Wir haben durch die Pandemie gelernt, dass wir nicht alle Reisen brauchen", sagt Claudia Brözel. Wer dennoch bestehen wolle, müsse sich innovativ zeigen, so die Tourismusforscherin.
Überall fehlen Arbeitskräfte
Doch selbst wenn die Branche die Pandemie weitgehend überstehen sollte, warten weitere große Probleme. Eines der gravierendsten: die fehlenden Arbeitskräfte. Die waren auch schon vor Corona rar. Die Pandemie hat den Trend noch beschleunigt, denn viele haben dem Tourismus mittlerweile den Rücken gekehrt, sind etwa in die Automobilindustrie oder den Einzelhandel gewechselt. Im Oktober 2021 wies die Bundesagentur für Arbeit einen Rückgang von 82.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus, sagt Dehoga-Geschäftsführerin Hartges. Im Gespräch mit der DW fordert sie eine Offensive für die duale Ausbildung, eine höhere Ausbildungsvergütung, mehr Wertschätzung für die Mitarbeiter und eine unbürokratische Lösung für die Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland.
Tourismusforscherin Brözel macht neben der Pandemie auch die Branche selbst verantwortlich. "Der Tourismus ist für viel Arbeit, schlechte Arbeitszeiten und wenig Gehalt bekannt", so Brözel. "Wer Arbeitskräfte anziehen will, muss attraktivere Angebote machen".
Zukunft der Branche: Weg vom Massentourismus?
Vielerorts hat die Pandemie für ein Umdenken in der Branche gesorgt. Von Touristenmassen geplagte Städte wie Venedig haben die vergangenen Monate genutzt, um in Zukunft eine bessere Reise für Gast und Stadt bieten zu können. Immer mehr Anbieter setzen auf nachhaltige Angebote, etwa nach dem Motto: Qualität statt Quantität – auch wenn das Reisen dadurch wohl teurer werden wird. Ein Trend, der laut Tourismusforscherin Claudia Brözel auch notwendig sei, um die Branche zukunftssicher zu machen. Zu lange habe man auf Dumpingpreise gesetzt, die Reisen nur in der Masse profitabel gemacht hätten. "Jetzt haben die Anbieter begriffen, dass der Massentourismus kein Geld in die Stadt spült, sondern sie überrannt werden", so Brözel.