1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Olympische Spiele - was will der deutsche Sport?

5. Dezember 2023

Olympiabewerbung, Russland-Kurs und Spitzensportförderung - der Deutsche Olympische Sportbund verhandelt wichtige Themen. In manchen zeigen sich deutliche Differenzen zur Politik. Wir klären die wichtigsten Fragen.

https://p.dw.com/p/4ZlDE
DOSB-Präsident Thomas Weikert steht am Rednerpult der DOSB-Mitgliederversammlung in Frankfurt und fordert: "Mehr Wertschätzung für den Sport"
DOSB-Präsident Thomas Weikert in Frankfurt: "Mehr Wertschätzung für den Sport"Bild: Thomas Frey/picture alliance/dpa

Mal wieder olympische Spiele in Deutschland ausrichten - die Pläne des deutschen Sports sind groß. Gleichzeitig steckt die Politik finanziell in der Klemme. Hinzu kommen auch inhaltliche Differenzen. "Es ist eine besondere Situation. Der Angriffskrieg Russlands hat auch hier alles verändert", sagt Dagmar Freitag der DW. Lange Jahre hat die SPD-Politikerin zwischen beiden Sphären vermittelt, unter anderem als Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages. Sie ist mit dem sportpolitischen Räderwerk vertraut. "Kein Ministerium kann in der momentanen Lage finanzielle Zusagen für 2024 machen", sagt Freitag.

Das erschwere nicht nur eine mögliche Olympiabewerbung, sondern behindere auch die Spitzensport-Reform, die hauptsächlich vom Bund angestoßen wurde, meint Jürgen Mittag, Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule. "Wenn die finanziellen Mittel hier allzu begrenzt ausfallen, ist zu erwarten, dass auch die Akzeptanz für diese Vorhaben schwindet", sagt der Wissenschaftler im DW-Gespräch.

Wie steht es um eine deutsche Olympiabewerbung?

"Wir gehen Olympia und Paralympics in Deutschland an. Wir kneifen nicht!", sagte Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, bei der DOSB-Mitgliederversammlung in Frankfurt am Main. Mit der Initiative "Deine Ideen. Deine Spiele“ hat die Dachorganisation des deutschen Sports im vergangenen Sommer die Olympiastimmung ausgelotet: per Umfragen und Dialogforen in den möglichen Bewerberregionen Berlin, Leipzig, München, Hamburg und Rhein-Ruhr. Laut DOSB war eine deutliche Mehrheit generell für eine Olympia-Kandidatur, große Resonanz haben die Veranstaltungen allerdings nicht gefunden.

Nun soll ein detailliertes Konzept entstehen, für das zwei Regionen gemeinsam als Bewerber gewonnen werden sollen. Ziel ist die Gastgeberrolle für die olympischen Sommerspiele 2036 oder 2040. DOSB-Chef Weikert wollte auch Winterspiele in Deutschland nicht ausschließen, für die als Ausrichter wohl nur München in Frage käme. Mündet der Prozess in eine Kandidatur, wäre es seit den Sommerspielen 1972 in München der achte Anlauf, Olympia wieder nach Deutschland zu holen.

"Für mich passt eine Olympiabewerbung gerade überhaupt nicht in die Zeit“, meint Dagmar Freitag. Grundsätzlich sei sie jedoch durchaus dafür, dass sich demokratische Staaten wie Deutschland um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele bewerben. "Ansonsten dürfen wir uns nicht ständig beschweren, wenn zunehmend autokratische Staaten zum Zuge kommen. Doch Russlands Angriffskrieg hat im Februar 2022 eben alles verändert. Wir haben eine neue finanzielle Situation in Deutschland, und auch in der Bevölkerung sehe ich aktuell kaum Interesse für dieses teure Prestigeprojekt. Die Menschen haben erkennbar ganz andere Sorgen.“

Wie verfährt das IOC mit Bewerbungen? 

Für Außenstehende gilt hierfür beim IOC das Prinzip "Wundertüte". Jüngst sichtbar wurde das bei der Auswahl der Austragungsorte für die Winterspiele bis 2038. Zwar entscheidet die IOC-Vollversammlung offiziell erst im kommenden Sommer. Eine offene Wahl und ein transparentes Verfahren ist es jedoch nicht, weil das Exekutivkomitee beispielsweise für 2030 in einem sogenannten "Zieldialog" nur mit einem möglichen Ausrichter verhandelt: Frankreich. Die ebenfalls interessierten Länder Schweiz und Schweden wurden sang- und klanglos aussortiert. Klar ist ebenfalls, dass Salt Lake City 2034 zum Zuge kommt. Der Schweiz wurde eine Vorzugsoption für 2038 zugesagt.

Olympischen Ringe am Eingang des IOC, dem Sitz des Internationalen Olympischen Komitees, in Lausanne
Das IOC entscheidetBild: Jean-Christophe Bott/Keystone/dpa/picture alliance

Vor dem Hintergrund dieser IOC-Praxis ist es auch eher unwahrscheinlich, dass es zu einem offenen Rennen um die Sommerspiele 2036 kommt. Indien gilt als großer Favorit, seit Premierminister Narendra Modi beim IOC-Kongress in Mumbai die Kandidatur des 1,4 Milliarden-Einwohner-Staates angekündigt hat. Dennoch heißt es in der Erklärung des DOSB: "Eine Bewerbung für 2036 muss erfolgen, weil dies die nächsten Spiele der Sommer-Edition sind, die vom IOC vergeben werden." Gleichzeitig müsse ein Konzept erwogen werden, dass auch eine Bewerbung für 2040 möglich mache, heißt es weiter - ein Fingerzeig darauf, dass der DOSB auf eine Doppelvergabe spekuliert. 

Warum unterstützt der DOSB nun den Olympiastart russischer Sportler?

Heftige Kritik schlägt dem DOSB wegen seiner Kehrtwende in Sachen Russland entgegen. Noch im Frühjahr hatte sich der Verband gegen jedwede Teilnahme russischer und belarussischer Aktiver bei den Sommerspielen in Paris gestemmt. Nun ist man ganz auf die IOC-Linie eingeschwenkt. Möglicherweise, um den obersten Olympiern zu schmeicheln, weil man die Spiele nach Deutschland holen will? DOSB-Chef Weikert bestreitet diesen Zusammenhang. Vielmehr wäre man mit einem rigorosen Nein zu einem Olympiastart russischer Aktiver international isoliert und "muss dann auch so ehrlich sein, nicht auf seiner Position zu beharren", sagte Weikert. Dabei lässt er außer Acht, dass es durchaus noch Weltverbände gibt, die einen anderen Kurs fahren - wie den Leichtathletik-Weltverband "World Athletics", der bei seinen Veranstaltungen nach wie vor keine sogenannten "neutralen" Athleten und Athletinnen aus Russland und Belarus starten lässt. 

Sportpolitik-Professor Jürgen Mittag erkennt im Stimmungswandel des DOSB "eine Tendenz, die sich auch in anderen westlichen Staaten seit einiger Zeit abzeichnet. Zugleich wird damit aber auch die - ehedem global aus einer Minderheitenposition agierende westliche Koalition noch brüchiger und damit letztlich einflussärmer."

Wo liegen Differenzen zwischen Sport und Politik?

Anders als der DOSB beharrt die Bundesregierung auf ihrer harten Linie gegenüber russischen und belarussischen Sportlern bei internationalen Wettkämpfen. "Bei der Visavergabe gilt weiterhin die Einzelfallprüfung", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Rande des DOSB-Kongresses. Damit liegt Deutschland mit der IOC-Linie über Kreuz und handelte sich schon einen entsprechenden Tadel von IOC-Präsident Thomas Bach ein. "Das IOC kann olympische Spiele nur dahin vergeben, wo seine Regeln respektiert werden", sagte Bach und machte damit klar: Dieser Kurs der Bundesregierung schmälert die Erfolgschancen einer etwaigen deutschen Olympiabewerbung deutlich.

DOSB Kongress Frankfurt 2023
Harte Linie gegenüber Russland und Belarus: Bundesinnenministerin Nancy FaeserBild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Noch handfester als diese inhaltlichen Differenzen sind die Finanz-Probleme. Zwar wolle der Bund eine "starke und glaubwürdige Bewerbung", sagte Faeser in Frankfurt. Im Hintergrund jedoch sieht es anders aus: So haben alle deutschen Olympia-Kandidatenstädte und der DOSB eine gemeinsame Absichtserklärung zum weiteren Vorgehen unterschrieben, nicht jedoch das maßgebliche Bundesinnenministerium. Grund ist die Haushaltssperre. Der DOSB muss das Verfahren also erstmal mit über einer Million Euro aus eigener Tasche anschieben. 

Wie soll der Spitzensport vorangetrieben werden?

Geld wird nicht nur für Olympia benötigt, sondern auch um den deutschen Spitzensport weiterzuentwickeln. Eine neu zu gründende, unabhängige Sportagentur soll ab Sommer 2025 die Steuerung des Spitzensports übernehmen und zum Beispiel regeln, wie die Fördergelder verteilt werden. Statt der zugesagten 600.000 Euro werden allerdings im kommenden Jahr nur 200.000 Euro zur Verfügung stehen. Der Grund ist in diesem Fall allerdings nicht die Haushaltsmisere. Vielmehr rangeln die Interessengruppen aus Sport, Regierung und Bundestag um möglichst großen Einfluss.

Krepela Jens Kommentarbild App NEU
Jens Krepela Redakteur, Reporter, Autor