Olympia 2024 in Paris: Ein Segen für die Wirtschaft?
20. Oktober 2023Ein konstantes Brummen von Lastwagen liegt in der Luft. Sie rollen über die Straßen des Geländes und transportieren Schlafcontainer oder Dixie-Toiletten, die hier nun bald nicht mehr gebraucht werden. Auf diesem 52 Hektar großen Gebiet entsteht das Olympische Dorf für die Sommerspiele 2024 in Paris. Fertig werden soll es zum 31. Dezember dieses Jahres.
Die Behörden hoffen, das Megaprojekt werde die lokale Wirtschaft beleben und die Gegend aufwerten. Es liegt in Seine-Saint-Denis, dem ärmsten Département in Kontinentalfrankreich. Doch manche Bewohner fürchten, das Olympiaprojekt könnte ihnen Nachteile bringen. Ökonomen schließen das nicht aus.
Klimafreundliche Baustelle für Olympisches Dorf
"Wir haben mit 40 Architekten aus der ganzen Welt zusammengearbeitet, um die Stadt des 21. Jahrhunderts zu bauen", sagt Marion Le Paul, stellvertretende Generaldirektorin des Projektträgers Solideo, während sie an einem Donnerstagnachmittag eine Gruppe Journalistinnen über die Baustelle führt. "Der Bau verursacht 47 Prozent weniger CO2 als herkömmliche Verfahren. Wir verwenden viel Holz, CO2-armen Beton, benutzen Schiffe zum Transport, wodurch wir 25.000 Lastwagenfahrten eingespart haben, und haben ein Heiz- und Kühlsystem installiert, das auf Erdwärme beruht."
Das öffentliche Unternehmen Solideo investiert 1,7 Milliarden Euro in das Olympische Dorf, an dem seit Ende 2020 mitunter bis zu 3000 Arbeiter bauen. Vier Immobiliengesellschaften - Vinci Immobilier, Icade, Legendre Immobilier und Nexity - haben das Gelände von der öffentlichen Hand gekauft. Sie errichten Gebäude, in denen 14.500 olympische und später 6000 paralympische Athleten wohnen werden. Nach den Spielen werden die Firmen 2800 umfunktionierte Wohnungen verkaufen oder vermieten.
Außerdem entstehen Büroflächen für bis zu 6000 Personen. Für den Bürgermeister von Saint-Denis, Mathieu Hanotin, sind das Dorf und andere Bauten wie ein Olympia-Wasserpark "eine hervorragende Neuigkeit". "Das wird unsere Gegend aufwerten", freut er sich im Gespräch mit der DW. "Außerdem werden hier wegen der Spiele neue Brücken und Straßen gebaut, Antigeräuschmauern errichtet und neue Stromleitungen verlegt."
Sorge vor mehr Luftverschmutzung - auch nach den Spielen
Dass das den Bewohnern zugute kommen wird, glaubt Hamid Ouidir allerdings kaum. Er gehört zum sogenannten Komitee der Wachsamkeit über die Olympischen Spielen in (der Stadt) Saint-Denis. "Als es hieß, die Spiele kommen hierher, haben wir uns gefreut", erinnert sich der 50-Jährige im Gespräch mit der DW. "Doch inzwischen haben wir das Gefühl, von einer wirtschaftlichen Dampfwalze überrollt zu werden."
Der Vater von zwei Kindern macht sich Sorgen, dass sich die Luftqualität während der Spiele und später durch die zusätzlichen Einwohner weiter verschlechtern könnte. "Wir haben über fünf Monate hinweg Messungen durchgeführt und festgestellt, dass die Höchstwerte für Luftverschmutzung durch den Autoverkehr hier konstant überschritten sind. Bei noch mehr Einwohnern werden sich diese Werte bestimmt weiter verschlechtern", sagt er. Daran würden auch vier neuen Metro-Anbindungen - eine davon soll zu den Spielen fertig sein - wenig ändern. "Viele hier sind auf das Auto angewiesen", meint er. Ouidir denkt auch nicht, dass die Apartments zumindest die Wohnungsnot lindern könnten, die wie in vielen anderen französischen Départements auch in hier herrscht. "Die Apartments werden hauptsächlich Leute von außerhalb kaufen - Anwohner können sich Wohnungen für um die 7000 Euro pro Quadratmeter doch nicht leisten", meint er.
Der französische Immobilieninvestor Icade widerspricht dem. Das Unternehmen baut 643 der Apartments. 200 davon hat das Unternehmen gerade auf den Markt gebracht, um sie an Privatpersonen zu verkaufen. "Wir haben sowohl interessierte Käufer aus der Gegend, als auch aus anderen Teilen des Landes wie Paris", sagt Florence Chahid-Nourai, die Projektleiterin beim Unternehmen, zur DW. "Neubauten sind immer teurer als Altbauten, und wir haben uns an den Marktpreisen orientiert."
Blick in die olympische Geschichte
Andrew Zimbalist jedoch sagt, Ouidir könnte nicht ganz Unrecht haben. Er ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Smith College in Northampton im nordöstlichen US-Staat Massachusetts und hat sich die ökonomischen Auswirkungen fast aller Olympischen Spiele seit 1986 angeschaut. "Oft führt der Bau des Olympischen Dorfes zu einer Gentrifizierung der Gegend. Die Mieten steigen und ärmere Bevölkerungsgruppen müssen wegziehen", erklärt er im Gespräch mit der DW. Nur selten sei ein Olympisches Dorf später dem Allgemeinwohl zuträglich gewesen.
"Im südostamerikanischen Atlanta zum Beispiel ist nach den Sommerspielen 1996 daraus ein Studentenwohnheim geworden", sagt er. "Allerdings hat man für dessen Bau die Bewohner des Viertels, die zur ärmeren Schicht gehörten, vertrieben und ihre Häuser abgerissen." Für ihn stelle sich auch die Frage der sogenannten Opportunitätskosten: "Könnte man, wenn man das Projekt nicht baut, das öffentliche Geld für andere Zwecke verwenden, die sozial verträglicher wären?" Für Anwohner Ouidir ist die Antwort darauf klar: "Wir haben weder eine Apotheke noch ein Gesundheitszentrum hier - aber das bräuchten wir dringend", sagt er. Laut den Plänen von Solideo sind im Olympischen Dorf zumindest private Geschäfte vorgesehen - welche genau, steht noch nicht fest.
Gentrifizierung durch Olympisches Dorf ist gewollt
Doch Bürgermeister Hanotin entgegnet dem, dass die Spiele nicht dazu da sind, die Probleme des Départements zu lösen. Gentrifizierung scheint im Übrigen gewollt. "Die Spiele werden dazu beitragen, dass wir eine gemischtere Bevölkerung in Seine-Saint-Denis haben - bisher haben wir 52 Prozent Sozialwohnungen. Wir brauchen mehr reguläre Wohnungen, um auch andere Bevölkerungsschichten anzuziehen", unterstreicht Hanotin.
Einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen hält Ökonom Zimbalist dabei für unwahrscheinlich. "In den meisten Fällen kosten die Spiele zwischen 20 und 40 Milliarden Dollar, bringen aber nur um die fünf Milliarden Dollar ein", sagt er. Wladimir Andreff, emeritierter Wirtschaftsprofessor an der Universität Paris 1 und Präsident der Beobachtungsstelle für Sportwirtschaft am französischen Wirtschaftsministerium, ist optimistischer.
Olympische Spiele kosten Paris ein Drittel mehr als geplant
Der Forscher leitet eine von zwölf Wirkungsstudien, die man zu den Spielen durchführt. "Organisierende Städte haben tatsächlich oft die Kosten unterschätzt - auch, um den Zuschlag für die Spiele zu bekommen. Die Winterolympiade 2014 im russischen Sotschi hat 50 anstelle von sechs Milliarden Dollar gekostet", sagt er zu DW. "Aber bisher halten sich die Kosten in Paris im Rahmen - laut Frankreichs Rechnungshof sind sie nur um 30 Prozent auf etwa acht Milliarden Euro gestiegen."
Eine wirklich Bilanz könne man jedoch erst im Nachhinein ziehen - außerdem sei das sehr schwierig, fügt Luc Arrondel, Wirtschaftsprofessor an der Pariser School of Economics, hinzu. "Es gibt viele indirekte Effekte - zum Beispiel könnten die Spiele das Image des Départements Seine-Saint-Denis bei internationalen Investoren aufbessern", erklärt er gegenüber DW. Zumindest einen positiven Effekt würden die Spiele wohl dennoch haben: "In London haben die Bewohner im Sommer 2012 in Umfragen gesagt, dass sie während der Olympiade glücklicher waren - natürlich vor allem, wenn ihr Team Medaillen gewannen." Das freilich hoffen die Franzosen auch.