Olympia in Gefahr? Kürzungen im deutschen Spitzensport
5. September 2023Wie wichtig sind Medaillen bei internationalen Meisterschaften und Olympischen Spielen? Auf diese Frage lässt sich die Diskussion herunterbrechen, die seit einigen Wochen im deutschen Sport geführt wird. Anfang Juli stellte die Bundesregierung ihren Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 vor, der für die Förderung des Spitzensports eine Kürzung der Mittel vorsieht - ausgerechnet ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Paris.
Konkret geht es um vier Millionen Euro, die den beiden staatlich geförderten Instituten, dem Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) und dem Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) nicht mehr zur Verfügung stehen sollen - und damit in direkter Folge dem olympischen und paralympischen Spitzensport. Der gemeinsame Etat von FES und IAT sinkt um 19 Prozent von 21,2 auf 17,2 Millionen Euro. Dabei sind die beiden Institute so etwas wie die deutschen "Medaillenschmieden". Mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit sind sie für viele olympische Sportarten tätig, in denen deutsche Sportlerinnen und Sportler verhältnismäßig viele Medaillen holen und - gerade wegen der Arbeit von FES und IAT - einen Vorsprung vor der internationalen Konkurrenz besitzen.
Technische Sportarten profitieren enorm
Vertreter der Sportverbände, Athleten und Trainer und selbstverständlich auch die Mitarbeiter von FES und IAT halten das für ein fatales Signal. Am Montag gaben sie in den Räumen des FES in Berlin eine Pressekonferenz. "Wenn wir die Axt sportpolitisch an IAT und FES legen, dann legen wir die Axt an das gesamte System des deutschen Sports", beklagte Michael Hölz, der Präsident des Deutschen Snowboardverbands (SVD). Vor allem im Wintersport ist der positive Einfluss des FES immens. An 21 der 27 Medaillen, die das deutsche Olympiateam 2022 in Peking gewann, war das FES beteiligt.
"Wir sind so gut, dass die Konkurrenz jedes Jahr versucht, unsere Schlitten mit Regeländerungen langsamer zu machen", sagt auch der vierfache Bob-Olympiasieger Francesco Friedrich. "Wenn wir da nicht alle Möglichkeiten und die Finanzen haben, wird das in den nächsten Jahren schwierig."
Auswirkungen auf Ergebnisse und Förderung
Aber nicht nur der Wintersport, für den die nächsten Olympischen Spiele 2026 in Mailand und Cortina d'Ampezzo anstehen, ist betroffen, sondern auch Sommersportarten, die bis zu Olympia 2024 in Paris nicht mehr viel Zeit haben. "In unserer Sportart zählt die Technik sehr viel", sagt Bahnrad-Fahrerin Emma Hinze, die im Teamsprint 2021 in Tokio Olympia-Silber gewann und 2023 Weltmeisterin wurde. "Das fängt auch schon im Nachwuchs an, wo man Fahrräder gestellt bekommt. Meine Eltern hätten es sich nicht leisten können, so ein Fahrrad zu kaufen." "Die FES-Räder sind angepasst an uns Sportler. Wir haben Lenker, die extra für uns entwickelt sind, mit denen jeder Sportler persönlich fährt", ergänzt ihre Nationalmannschaftskollegin Franziska Brauße, 2021 Olympiasiegerin in der Mannschaftsverfolgung. "Auch die Arbeit mit dem IAT ist superwichtig bei uns. Die Auswertungen der Trainings haben uns nach vorne gebracht und dahin, wo wir jetzt sind."
Bobs, Schlitten, Boote und Bahnräder des FES benötigen ständige Weiterentwicklungen, um auf einem Level mit oder im besten Fall ein Stück vor der Konkurrenz zu liegen, die sich mittlerweile ein Beispiel an FES und IAT nimmt und die deutschen Spitzensportler mit eigenen Innovationen und besseren Sportgeräten unter Zugzwang setzt.
Allerdings geht es nicht nur um gute Ergebnisse und Medaillen, sondern auch um die weitere Förderung und damit die sportliche Zukunft. "Mein Kaderstatus hängt an meiner Platzierung", sagt Para-Kanutin Edina Müller der DW. Sie gehört zum A-Kader. Damit ist eine gewisse finanzielle Unterstützung verbunden, die es der Sporttherapeutin erlaubt, Sport und Berufsleben miteinander zu vereinbaren. "Ich muss bei einer Weltmeisterschaft Platz eins bis vier erreichen, um diesen Status zu erhalten. Daran hängt auch meine Förderung und ich finde, das passt dann einfach nicht zusammen mit den Kürzungen. Wenn wir Leistung wollen, dann sind Technik und Wissenschaft ein unabdingbarer Baustein."
DOSB-Kampagne: "Sport ist Mehrwert"
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), Dachorganisation der deutschen Sportverbände, hat bereits reagiert und die Kampagne "Sport ist Mehrwert" ins Leben gerufen, die auf die Bedeutung des Sports hinweisen soll und die negativen Folgen, die Kürzungen im Sportetat hätten - nicht nur, was die Medaillenausbeute angeht, sondern auch bei Themen wie Gesundheit, Bildung, Integration und Inklusion. "Der Sport leistet einen unverzichtbaren Mehrwert für unsere Gesellschaft. Ihm für das olympische Jahr 2024 die Mittel kürzen zu wollen, sendet das völlig falsche Signal an alle Athleten, Trainer und Unterstützer des Sports", erklärte DOSB-Präsident Thomas Weikert in einer Mitteilung seines Verbands.
Die Kürzung um vier Millionen Euro für FES und IAT sind nämlich nur ein Teil der geplanten Gesamteinsparungen. Der Sporthaushalt des Bundesinnenministeriums soll um rund zehn Prozent von etwa 303 auf rund 276 Millionen Euro schrumpfen. Betroffen wären laut DOSB die Finanzierung wichtiger Trainingsmaßnahmen vor Paris sowie die Bezahlung des Leistungssportpersonals in den Sportverbänden.
Einstellung von Projekten, Abfluss von Wissen
Werden die Kürzungen wie geplant umgesetzt, müssen beide Institute Mitarbeiter entlassen und Projekte einstellen. Am IAT würde das unter anderem Forschungen zum Einfluss der Menstruation und des weiblichen Zyklus' auf die Leistungsfähigkeit von Sportlerinnen betreffen. "Ziel war es eigentlich, das Projekt deutlich auszuweiten", sagt IAT-Direktor Marc-Oliver Löw der DW. Es gebe noch viele Optimierungsmöglichkeiten - einerseits für die Athletinnen, auch für Trainerinnen und Trainer in der Betreuung. "Dass wir eine Ausweitung des Themas realisieren können, wenn wir weniger Ressourcen haben, wage ich mal zu bezweifeln", so Löw. "Dabei ist das eigentlich ein Thema, das gesamtgesellschaftlich relevant ist und das jetzt überhaupt diskutieren zu müssen, tut schon weh."
Allerdings gibt es laut Löw ein "vorsichtig positives Signal", dass man im Bundesinnenministerium über interne Umschichtungen nachdenke. Ob diese letztlich dazu führen, dass die Kürzungen doch nicht so drastisch ausfallen, ist aber nicht klar. Und möglicherweise kommt die Rücknahme auch zu spät, da viele Mitarbeiter an FES und IAT sich wegen ihrer unsicheren Zukunft bereits nach Alternativen umsehen. Angebote der ausländischen Konkurrenz gibt es. Ohnehin ist die Bezahlung, die Trainerinnen und Trainer in Deutschland und auch die Wissenschaftler an FES und IAT erhalten, schon jetzt in vielen Bereichen deutlich geringer als im Ausland.
"Es kommt nicht von ungefähr, dass plötzlich Medaillen in Indien durch Speerwerfer erzielt werden. Das sind deutsche Trainer, die dort mit besserer Bezahlung tätig sind", sagt Snowboardverbandspräsident Michael Hölz und gibt ein Beispiel aus seiner eigenen Sportart: "Wir haben zwei Snowboardcross-Trainer an die Schweiz verloren, weil die Schweiz einfach von vorneweg 1500 Euro mehr im Monat bezahlt, eine unbefristete Anstellung gibt, eine Privatnutzung des Pkws", sagt er. "Wenn wir uns gegenüber solch einfach nachvollziehbaren Dingen nicht positionieren, dann wird das Ausbluten unserer Spitzentrainerinnen und -trainer auch Konsequenzen haben."