Olympia 2024 in Paris: Timo Bolls siebter und letzter Tanz
24. Juli 20242008. Peking. Olympische Spiele. Timo Boll an der Platte. Sein Gegner: Seiya Kishikawa aus Japan. Satz fünf. Wenn Boll jetzt den Punkt macht, hat das deutsche Team die Silbermedaille sicher. "Ich war sehr nervös. Für das Team zu spielen, ist immer aufregender [als im Einzel - Anm. d. Red.]", erinnert sich Boll im Gespräch mit der DW.
"Als ich den entscheidenden Punkt gemacht habe, bin ich auf den Boden gefallen und habe geweint. Die Jungs kamen rüber und sprangen auf mich. Das war der emotionalste Moment meiner Karriere. Ich liebe es, mich daran zurückzuerinnern." Im Finale unterlagen die Deutschen dann dem übermächtigen Team aus China.
Danach holte Boll im Team eine weitere olympische Silber- (2021) und zwei Bronzemedaillen (2012 und 2016). Heute ist der ehemalige Weltranglisten-Erste 43 Jahre alt und spielt sein siebtes olympisches Turnier. Kein deutscher Athlet hat an mehr Sommerspielen teilgenommen als Boll.
Ein letztes Mal Olympia
Diesmal tritt er nur im Teamwettbewerb an, seiner Paradedisziplin. Seine siebte Olympia-Teilnahme wird Bolls letzte sein: "Es fühlt sich schon anders an. Du kannst dir selbst sagen: Nur noch ein letztes Mal. Du musst dich nur noch einmal foltern. Das hilft."
Für die Olympischen Spiele in Paris hat sich der Linkshänder nochmal zurückgekämpft. Wegen einer Schulterverletzung fiel er lange Zeit aus. Wegen eine Augenentzündung verpasste Boll zudem im vergangenen Februar die Team-Weltmeisterschaft in Südkorea. Nun ist er zurück. Ein letztes Mal.
"Die Karriere bei Olympia zu beenden, ist ein gutes Gefühl. Es wäre perfekt eine Medaille zu gewinnen", sagt Boll der DW. "Ein ambitioniertes Ziel." Den Weg dorthin hat er sich schon ausgerechnet. Auf das schier übermächtige Team aus China würde das deutsche Team erst im Finale treffen. Wie damals, 2008.
Adlerauge und Fairplay
Boll ist für sein überdurchschnittlich gutes Sehvermögen bekannt. Er kann den Stempel des Herstellers auf dem kleinen, bis zu 150 km/h schnellen Ball erkennen und so den Spin - die Drehung des Balls - einschätzen.
2005. Shanghai. Tischtennis-Weltmeisterschaft. Sein Gegner: Liu Gouzheng aus China. Matchball Boll. Gouzheng pariert den Ball, trifft aber die Platte nicht. Boll steht im Viertelfinale. Doch Boll geht auf den Schiedsrichter zu. Er protestiert. Er hat genau gesehen, dass der Ball doch noch leicht die Platte berührt hat. Die Entscheidung wird umgekehrt. Boll verliert danach das Spiel. "Wir betreiben Sport, weil wir ihn lieben, und eine große Liebe betrügt man nicht", sagt Boll später.
Immer wieder gab er in seiner langen Karriere Punkte zurück, die der Schiedsrichter fälschlicherweise für ihn hatte zählen lassen. Auch dieser Sportsgeist machte Boll 2016 bei den olympischen Spielen in Rio de Janeiro zum deutschen Fahnenträger. Eine große Ehre.
In Deutschland bleibt Boll auf der Straße häufiger unerkannt als in dem Land, in dem Tischtennis eine ganz besondere Bedeutung hat. In China kennt ihn jeder.Fast jeder zumindest. Er ist dort regelmäßig Werbeträger und wurde sogar mal zum "attraktivsten Sportler weltweit" gewählt. Ein YouTube-Video, in dem Boll sich ein Duell mit einem Tischtennisroboter lieferte, wurde mehr als 14 Millionen Mal aufgerufen.
Liegestütze vor dem Spiel
Deutschlands aktuelle Nummer eins im Tischtennis, Dang Qiu, spielt in Paris sein erstes olympisches Turnier und steht gleich in drei Disziplinen an der Platte: im Einzel-, im Team- und im Mixed-Wettbewerb. Er habe von Boll viele Tipps bekommen, aber "das Wichtigste, was ich von ihm gelernt habe, ist, wie man entspannt ist und die Ruhe behält", sagt der Europameister von 2022 der DW.
Damit Boll selbst auch bei den letzten Olympischen Spielen seiner langen Karriere ruhig bleibt, wird er - wie immer - vor jedem Wettkampf ein paar Liegestütze machen. "Ich mache das, um Anspannung reinzubekommen", erklärt Boll. "Wer die Spannung während des Spiels verliert, hat große Probleme."