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Die Baustellen des neuen Kanzlers Olaf Scholz

9. Dezember 2021

Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP unter Bundeskanzler Olaf Scholz will Deutschlands größte Probleme angehen. Ganz vorne steht die Pandemie-Bekämpfung.

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Erste Ministerpräsidentenkonferenz unter Olaf Scholz
Bild: Michael Kappeler/REUTERS

Corona: Ein General zur Pandemie-Bekämpfung

Für Olaf Scholz (SPD) beginnt die Regierungsarbeit als neuer Bundeskanzler in einer Pandemie-Krise: Die Infektionszahlen steigen in schwindelnde Höhen, dabei hat der Winter noch nicht mal richtig begonnen. Die Zahl von einhunderttausend Corona-Toten ist längst überschritten. Und die Zahl der Impfungen liegt hinter den Erwartungen und Hoffnungen der Regierung zurück. Der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach davon, dass die dies die größte Gesundheitskrise Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg sei. "Mir ist ganz klar, dass das die schwerste Aufgabe auch meines Lebens sein wird", sagte Lauterbach.

Die zentrale Pandemie-Bekämpfung übernimmt ein Krisenstab im Kanzleramt. Seine Aufgaben: Koordinierung und Zusammenarbeit bei der Steuerung der Impfkampagne sowie die Stärkung von Impfstofflieferung und -verteilung. Das Gremium setzt sich aus Vertretern des Bundes und der Bundesländer sowie Experten aus Virologie, Epidemiologie, Soziologie und Psychologie zusammen. Geleitet wird der Krisenstab vom 56-jährigen Bundeswehr-General Carsten Breuer. Er gilt als Logistik-Experte mit umfassenden Erfahrungen im Krisenmanagement.

Oberfranken Generalmajor Carsten Breuer
Generalmajor Carsten Breuer: Der Mann, der Krise kann, soll die Pandemiebekämpfung koordinierenBild: Nikolas Armer/dpa/picture alliance

"In Einrichtungen, in denen besonders vulnerable Gruppen betreut werden, sollten wir die Impfung verpflichtend machen", kündigte Scholz eine weitere Initiative an. Eine Ausweitung hin zu einer allgemeinen Impfpflicht müsse je nach Lage geprüft werden. Vorgesehen ist ein größerer Einsatz mobiler Impfteams. Corona-Impfungen sollen auch in Apotheken möglich werden.

Außenpolitik:  Zwischen Konflikten und Zusammenarbeit

Olaf Scholz und die neue Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen sind vom Start weg als außenpolitische Krisenmanager gefordert. Mit Blick auf die russischen Truppenbewegungen und US-Warnungen vor einem Einmarsch in der Ukraine sagte der SPD-Politiker, man müsse die Anstrengungen darauf richten, Russland von einem Konflikt mit der Ukraine abzuhalten. Nötig sei eine "neue Verständigung" darüber, dass Grenzen in Europa nicht verändert werden dürften.

Im Zusammenhang mit dem russischen Truppenaufmarsch könnte sich der weitere Umgang mit der Pipeline Nord Stream 2, die russisches Gas unter Umgehung der Ukraine nach Westeuropa bringen soll, auch als innenpolitischer Prüfstein für die neue Regierung erweisen: Baerbock ist dagegen, die Leitung in Betrieb zu nehmen, die SPD dafür. 

Einigkeit in der Ampel-Koalition herrscht darüber, die bisherigen deutschen Bemühungen fortzuführen, eine "starke, souveräne und offene Europäische Union zu schaffen", wie Scholz sagte. Seine erste Reise im neuen Amt führt ihn an diesem Freitag (10.12.2021) nach Paris. Baerbock reiste bereits am Mittwoch nach Frankreich. An diesem Donnerstag besuchte sie Brüssel, am Freitag die polnische Hauptstadt Warschau.

Laut ihrem Koalitionsvertrag will die neue Bundesregierung die Kompetenzen des EU-Parlaments stärken und vehementer gegen die Verletzung von Rechtsstaatlichkeitsprinzipien durch Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn vorgehen. Die EU müsse international handlungsfähiger und einiger auftreten, heißt es in Kapitel sieben unter der Überschrift "Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt".

In dem Abkommen nimmt das Verhältnis zu China viel Raum ein. Es geht um eine zwischen Wirtschaftsinteressen und Menschenrechten ausbalancierte China-Politik. Um in der Rivalität der Systeme "unsere Werte und Interessen verwirklichen zu können", brauche es eine umfassende China-Strategie im Rahmen der gemeinsamen EU-China-Politik. Offen ist, ob sich Deutschland wegen Menschenrechtsverletzungen in China einen diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele in Peking anschließen wird. Bundeskanzler Scholz kündigte zunächst eine enge Abstimmung mit den Partnerländern an.

Wie für die frühere Bundesregierung ist die Sicherheit Israels Staatsräson. Mit Blick auf die Lage in der Türkei sieht die Koalition dort viele "besorgniserregende innenpolitische Entwicklungen und außenpolitische Spannungen" und will deshalb keine neuen Beitrittsgespräche zur EU eröffnen. Die Koalitionäre wollen die Vereinten Nationen als wichtigste Institution internationaler Ordnung stärken und betonen durchgehend die gemeinsame Zusammenarbeit der Staaten.

Verteidigung: Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll die Evakuierungsmission des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr"aufarbeiten". Geplant ist eine Enquetekommission zur Untersuchung des 20-jährigen Einsatzes deutscher Soldaten am Hindukusch.

Symbolbild Drohne Bundeswehr
Eine Drohne der Bundeswehr des Typs "Heron": Bald könnte sie bewaffnete Einsätze fliegenBild: Arne Immanuel Bänsch/dpa/picture alliance

Die Bundeswehr soll ihre Drohnen künftig bewaffnen dürfen. Das soll unter "verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten" ermöglicht werden. "Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen", hält der Koalitionsvertrag fest.

Klimaschutz: Jahrhundertaufgabe vieler Ministerien

Die Jahrhundertherausforderung Klimaschutz zieht sich durch fast alle Ressorts und Aufgabenbereiche. Als "Querschnittsaufgabe" sollen künftige Gesetze auf ihre Klimaschutz-Wirksamkeit überprüft werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien soll durch Solaranlagen sowie Windkraftanlagen vorangetrieben werden. Die ehrgeizigen Ziele: bis 2030 soll der Strombedarf zu 80 Prozent von regenerativen Quellen abgedeckt werden; Heizwärme soll zu 50 Prozent klimaneutral sein. Ebenfalls bis 2030 soll der Kohleausstieg möglichst abgeschlossen sein und sich die Zeit der Verbrennungsmotoren endgültig dem Ende neigen.

Albertshof, Deutschland | Windräder
Ein Windpark in Brandenburg: Alternative Energien stehen in Deutschland hoch im KursBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Migration: erleichterte Einbürgerung

In das Staatsangehörigkeitsrecht kommt Bewegung. Um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu vereinfachen, sollen Einbürgerungen bereits nach fünf Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen nach drei Jahren. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern werden mit ihrer Geburt Deutsche, wenn ein Elternteil seit fünf Jahren in Deutschland lebt. Migration - so heißt es im Vertrag - solle "vorausschauend und realistisch" gestaltet, "irreguläre Migration" reduziert werden.

Für schnellere Asylverfahren will die neue Koalition das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entlasten. Die Visavergabe soll digitalisiert und ebenfalls beschleunigt werden. Arbeitsverbote "für bereits in Deutschland Lebende" sollen abgeschafft werden.

Deutschkurse für Flüchtlinge
Deutschunterricht für Flüchtlinge - legale Einwanderung soll erleichtert werdenBild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Arbeit: Zuwanderung gegen Fachkräftemangel

Der gesetzliche Mindestlohn soll in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöht werden. Er liegt derzeit bei 9,60 Euro pro Stunde. Dem Fachkräftemangel wollen die drei Parteien eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren, mehr Qualifizierung sowie mehr Zuwanderung entgegensetzen.

Gesundheit: Bonus für Pflegende

Für die in der Pandemie besonders geforderten Pflegekräfte in Krankenhäusern und Heimen soll es Bonuszahlungen geben. Dafür werde "erst einmal" eine Milliarde Euro bereitgestellt, sagte Scholz. Insgesamt sollen Pflegeberufe attraktiver werden: durch eine Anhebung der Löhne sowie den Einsatz von mehr Personal, um die Pflegekräfte zu entlasten.

Digitalisierung: Abbau bremsender Bürokratie

Die Ampel will Deutschland fit für die digitale Zukunft machen und hinderliche Bürokratie abbauen. Anfangen will sie damit bei der Verwaltung. Dafür setzen SPD, Grüne und FDP auf Digitalisierung und Transparenz in den Ämtern. Das Ziel: frühere Beteiligung der Öffentlichkeit und beschleunigte Bewilligungsverfahren, vor allem für Infrastrukturprojekte.

Soziales: "Bürgergeld" statt Hartz IV

Die Grundsicherung Hartz IV benennen die Koalitionäre in ein "Bürgergeld" für Arbeitslose um. Das kann in den ersten beiden Jahren ohne Anrechnung des Vermögens ausgezahlt werden. Im Jahr 2022 soll es um drei Euro auf dann 449 Euro im Monat für einen alleinstehenden Erwachsenen erhöht werden.

Alterssicherung: kaum Änderungen bei Rente

Das Renteneintrittsalters wird nach dem Willen der drei Parteien bei 67 Jahren bleiben. Das Rentenniveau soll nicht unter 48 Prozent des aktuellen Durchschnittseinkommens sinken. Für die kommenden vier Jahre wird der Beitrag für die Rentenversicherung auf 20 Prozent festgefroren.

Finanzen: Pause für die Schuldenbremse

Die Schuldenbremse soll erst im Jahr 2023 wieder greifen. Sie begrenzt die Möglichkeiten des Staates, neue Schulden aufzunehmen. Vorher gilt es weiterhin, pandemiebedingte Hilfen zu ermöglichen. Dafür muss der Staat tief in seine Tasche greifen. Ebenfalls müssen zusätzliche Milliardensummen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz und der Energiewende bereitgestellt werden.

Infrastruktur: Ausbau Bahn und E-Mobilität

Das von den Grünen seit langem geforderte Tempolimit ist erstmal vom Tisch. Stattdessen sollen bis 2030 mindestens 15 Millionen elektrisch angetriebene PKW über Deutschlands Straßen fahren - bei entsprechendem Ausbau der Lade-Infrastruktur. Ein weiterer Fokus liegt auf der Bahn: Sie soll eine noch wichtigere Rolle spielen. So soll mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene gebracht werden. Das bisherige Güteraufkommen bei der Bahn soll um ein Viertel stiegen.

Der Anspruch der Koalition: Deutschland soll als Exportnation gestärkt werden während die deutsche Industrie gleichzeitig klimaneutral werden soll.

Wohnen: hunderttausende Neubauten

In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu elf Prozent steigen dürfen. Bisher waren bis zu 15 Prozent möglich. Pro Jahr sollen 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, 100.000 davon sollen öffentlich gefördert werden.

Bildung: Digitalisierung der Schulen

COP26 in Glasgow | Greta Thunberg
Mehr Mitspracherecht? Vor allem die Fridays-for-Future-Generation will auf Politik aktiv Einfluss nehmenBild: Scott Heppell/AP/picture alliance

Bildung ist die wichtigste Investition in die Zukunft. Darüber herrscht bei allen deutschen Parteien Einigkeit. "Wir wollen allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft beste Bildungschancen bieten, Teilhabe und Aufstieg ermöglichen und durch inklusive Bildung sichern", heißt es im Koalitionsvertrag. Die Bundesregierung will besonders Schulen in sozial benachteiligten Lagen unterstützen. Im Vordergrund steht eine Modernisierung des Schulsystems durch die Anschaffung neuer digitaler Technik, Es sollen "zeitgemäße Lernumgebungen und Kreativlabore" entstehen.

Wahlrecht: Mehr Macht für Jugend

Die "Fridays for Future"-Demonstrationen haben gezeigt, wie sehr sich junge Menschen in die Politik einmischen wollen und können. Dem will offenbar auch die Ampelregierung Rechnung tragen: Das Wahlalter soll auf 16 Jahre gesenkt werden. Das würde eine Änderung des Grundgesetzes nötig machen - dafür bräuchte es allerdings eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag.

Drogenpolitik: Kontrolliertes Kiffen erlaubt

Die Regierungskoalition verständigte sich darauf, eine "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" einzuführen. Dadurch würden "die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet", erwarten SPD, Grüne und FDP.

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur