Wiesn-Attentat wird neu aufgerollt
12. Dezember 2014Dreizehn Tote, mehr als 200 Verletzte - das Oktoberfest-Attentat von 1980 gilt als blutigster Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Zweifel an der Einzeltäter-Theorie sind seither nie verstummt; nun wird sie auch von der Bundesanwaltschaft hinterfragt: Eine erst in diesem Sommer aufgetauchte Zeugin hat die Karlsruher Ermittler bewogen, dem Terroranschlag erneut nachzugehen. "Ich habe heute angeordnet, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden", sagte Generalbundesanwalt Harald Range in Karlsruhe. "Mord verjährt nicht." Die Zeugin könnte auf mögliche Mitwisser hindeuten, sagte Range. Die Ermittlungen würden sich aber nicht auf diese Frau allein beschränken. "Wir werden allen Ansatzpunkten erneut und umfassend nachgehen."
Der damals 21 Jahre alte, rechtsextreme Geologiestudent Gundolf Köhler hatte am 26. September 1980 am Haupteingang zum Oktoberfestgelände eine Bombe in einem Abfalleimer abgelegt. Durch deren Explosion starben zwölf Oktoberfestbesucher und Köhler selbst, 211 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die damaligen Ermittlungen zu dem Fall wurden 1982 eingestellt - die Bundesanwaltschaft konnte trotz erheblicher Zweifel an einer Einzeltäterschaft Köhlers keinen weiteren Tatbeteiligten ausfindig machen. Besonders Ermittlungen in Richtung der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann, in der auch Köhler aktiv war, blieben erfolglos.
Von der Polizei abgewimmelt
Im September hatte der Opferanwalt Werner Dietrich seinen dritten Wiederaufnahmeantrag gestellt. Darin benannte er fünf neue Zeugen, darunter nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" auch die Frau, die am Tag nach dem Anschlag Flugblätter mit einem Nachruf auf den Attentäter Gundolf Köhler gefunden haben soll - noch bevor dessen Name öffentlich bekannt war. Als die Frau damals die Polizei über ihre verdächtige Beobachtung informieren wollte, sei sie abgewimmelt worden.
Für den Opferanwalt ist die Wiederaufnahme ein riesiger Erfolg. Dietrich hat nach der Einstellung der ersten Ermittlungen 1982 mit Zähigkeit die Wiederaufnahme betrieben. Zuletzt scheiterte er 2005. Dietrich nahm die Nachricht von der Wiederaufnahme der Ermittlungen mit "Freude und Genugtuung" auf. "Ich kann nur sagen: Da hat sich das lange Arbeiten gelohnt", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Entscheidung des Generalbundesanwalts stärke seine Mehrtäterthese. Beobachter vermuten, dass der NSU-Skandal die Entscheidung begünstigt haben könnte. Bei den Ermittlungen zu der Anschlagsserie der rechtsextremen Terrorgruppe NSU hatten die zuständigen Behörden nach allgemeiner Einschätzung versagt.
Wirrwarr aus Details
Generalbundesanwalt Range sagte, die Aussage der Zeugin sei "werthaltig". Er betonte: "Eine Einzeltäter-Theorie haben wir niemals verfolgt." Von Anfang an sei nach möglichen Mittätern oder Verschwörern gesucht worden. Wiederholt habe die Bundesanwaltschaft die Wiederaufnahme der Ermittlungen geprüft, unter anderem auch nach Auswertung von Stasi-Unterlagen. Im Zuge der Ermittlungen hatte Karlsruhe mehr als 850 Spuren verfolgt und 1700 Zeugen vernommen. Mehr als 100 Sachverständigengutachten wurden erstellt. Doch es blieb ein Wirrwarr aus Details, Seitensträngen, möglichen Verbindungen.
Das Landeskriminalamt in München hat im Auftrag Ranges bereits damit begonnen, die Strukturen für die neuen Ermittlungen aufzubauen. Ein Ermittlerteam wurde eingerichtet, das erste Vorgehen eruiert. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte: "Wir sollten alles für die restlose Aufklärung der Hintergründe dieses schrecklichen Attentats tun, auch wenn schon 34 Jahre vergangen sind." Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, erklärten, es sei wichtig, mögliche rechtsextreme Hintergründe offenzulegen.
stu/SC (AFP/dpa)