Geschichte rechtsextremer Attentate
21. November 2011Ein Sommermorgen 1922 in Berlin: Walter Rathenau macht sich auf den Weg ins Büro. Er wird im Dienstwagen von seiner Villa in Grunewald in die Mitte der deutschen Hauptstadt chauffiert. Plötzlich schneidet ein Auto den Weg ab, darin sitzen vier Männer – zwei Studenten, ein ehemaliger Offizier und ein Ingenieur. Schüsse aus einer Maschinenpistole fallen, eine Handgranate wird gezündet – in Sekundenschnelle ist der Außenminister des Deutschen Reichs tot. Die Mörder sind schon kurze Zeit später namentlich bekannt, sie gehören der rechtsextremen "Organisation Consul" an, einer im Geheimen agierenden paramilitärischen Terrorgruppe, die zahlreiche politische Morde verübt und sich dem Kampf gegen "Internationalismus, Sozialdemokratie und Judentum" verschrieben hatte. Der Berliner Polizeipräsident setzt eine Belohnung von einer Million Reichsmark aus für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen würden.
Verhasste Liberale
Rathenau war schon lange eine Hassfigur für die rechtsgerichteten Kreise in der Weimarer Republik. Er hatte den Vertrag von Rapallo ausgehandelt, mit dem die 1918 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Sowjetrussland wieder aufgenommen wurden. In der nationalistischen Presse Anfang der 1920er Jahre war mehr oder minder unverblümt zum Mord an dem liberalen Politiker aufgerufen worden – der dazu auch noch Jude war und vielen als ein Sinnbild der verhassten so genannten "Judenrepublik" galt. Die öffentliche Aufregung war groß. Zehntausende gingen auf die Straßen, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Der damalige Reichskanzler Joseph Wirth würdigte in einer ergreifenden Rede im Parlament die Verdienste des Ermordeten, geißelte die Hetze in der rechten Presse und prangerte die mangelnde Kritik der Abgeordneten an den politischen Zuständen an. Eine "Mordatmosphäre" sei in Deutschland entstanden, sagte er. Und dann sprach Wirth den legendär gewordenen Satz aus: "Der Feind steht rechts!"
Hetze und Antisemitismus
Die Ermordung Walther Rathenaus hat eine Vorgeschichte, die in der politisch vergifteten Atmosphäre der Weimarer Republik jener Jahre verankert ist. Schon 1919 rüttelte ein politischer Mord Deutschland auf. Als der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner am 21. Februar seine Dienstwohnung verlässt, lauern ihm seine Mörder bereits auf. Eisner wird durch mehrere Schüsse tödlich getroffen. Attentäter ist Anton Graf von Arco auf Valley, ein 22 Jahre alter Leutnant und Mitglied der so genannten "Thule Gesellschaft", einem antisemitischen, nationalistischen Geheimbund. Der Ermordete ist Sozialist jüdischer Herkunft. Die rechtsgerichteten Offiziere betrachten ihn als "Vaterlandsverräter", weil er zum Sturz der bayerischen Monarchie beigetragen und sich kritisch zur deutschen Schuld am Ersten Weltkrieg geäußert hatte. Dieses Attentat gilt heute als erste Gewalttat rechtsextremer Terroristen auf deutschem Boden. Der Terror, der die Republik erschüttern sollte, setzt sich danach unvermindert fort. Graf Arco wird verurteilt, doch das Gericht bescheinigt ihm "glühende Vaterlandsliebe" – nicht lange danach ist Arco begnadigt.
Organisation Consul
Am 26. August 1921 wird Matthias Erzberger auf offener Straße beim Sommerspaziergang in einem kleinen Ort im Schwarzwald erschossen. Erzberger ist Mitglied des "Zentrums", einer katholisch orientierten Partei der Mitte. Die Täter sind auch hier ehemalige Offiziere und gehören ins rechtsextreme Spektrum. Auch Erzberger ist für die nationalistischen Kreise ein Feind – er hatte 1918 das Waffenstillstandsabkommen unterschrieben, mit der die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg besiegelt worden war. Seine Mörder können entkommen, eine Gruppe von Hintermännern wird indes verhaftet. Alle gehören der "Organisation Consul" an.
Anfang Juni 1922 – knapp drei Wochen vor der Ermordung Rathenaus – ist der Kasseler Oberbürgermeister Philipp Scheidemann mit Tochter und Enkelin unterwegs im Park, ein prominenter Sozialdemokrat, 1918 erster Ministerpräsident der jungen Republik, die er vom Fenster in der Reichskanzlei ausrief, ein Auftritt, der Geschichte gemacht hat. Zwei Männer kommen ihm entgegen. Einer zückt eine Spritze und sprüht Scheidemann Blausäure ins Gesicht. Er überlebt, die Täter werden wenige Wochen später festgenommen.
Schonung für die Attentäter
Die Justiz ist in jenen Jahren dennoch auf dem rechten Auge blind: Der rechtsextreme Terror bleibt vielfach ungestraft. Es gibt Schätzungen, wonach von 1918 bis 1922 insgesamt 354 politische Morde durch rechte Kräfte verübt wurden, 22 von linken Gruppierungen. Die Bestrafungen fielen höchst unterschiedlich aus: In der Regel gab es hohe Haftstrafen, auch Todesstrafen, für linksextreme Attentäter – rechtsextreme Mörder dagegen wurden geschont und mussten nur wenige Monate ins Gefängnis. Die politische Elite und die Justiz in der Weimarer Republik waren nicht bereit, die wirklichen Hintergründe der Attentate auszuleuchten – was fatale Folgen hat. Rechte Geheimbünde mit vielfachen Verbindungen zum Militär werden sich später mit nationalsozialistischen Organisationen zusammenschließen und als Hitlers Fußtruppen Terror und Gewalt verbreiten.
Die Legende vom Einzeltäter
Nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es zunächst keinen rechtsextremen Terrorismus in Deutschland. Erst in den 1960er Jahren machen spektakuläre Anschläge wieder Schlagzeilen. 1968 schießt der Hilfsarbeiter Josef Bachmann auf Rudi Dutschke, eine Führungsfigur der linken Studentenbewegung. Bachmann hat Kontakte zu Neonazis. Radikale Gruppen machen unterdessen Schießübungen in deutschen Wäldern und proben den Umsturz – darunter die berüchtigte "Wehrsportgruppe Hoffmann", die 1980 verboten wird. Am 26. September des Jahres sind Tausende unterwegs auf der "Wies’n", dem Münchner Oktoberfest. In einem Papierkorb explodiert eine mit Nägeln und Schrauben präparierte Bombe. 13 Menschen sterben, 213 werden zum Teil schwer verletzt. Unter den Toten ist auch der Attentäter Gundolf Köhler, ein Student. In zweijährigen Ermittlungen findet die Polizei heraus, dass Köhler ein Rechtsextremist gewesen ist und der neonazistischen "Wiking-Jugend" angehörte – die später verboten wurde. Er soll auch Verbindungen zu anderen Gruppen gehabt haben. Dennoch halten die Ermittler schließlich die These vom "Einzeltäter" aufrecht und schließen die Akten. Immer wieder ist seither die Wiederaufnahme des Verfahrens gefordert worden. Vergeblich.
In den 1990er Jahren gibt es Brandanschläge auf Wohnheime von Asylbewerbern und auf Wohnungen von Ausländern – Hamburg, Mölln, Solingen sind die Orte, die weit über die Grenzen Deutschlands hinaus für Schlagzeilen sorgen. Auch hier kommen die Brandstifter aus der Neonazi-Szene. Und es dauerte dann nur wenige Jahre, bis sich - besonders im Osten des wiedervereinigten Deutschlands - die rechte Gewalt ausbreiten konnte: Aktivitäten von Skinheads und Neonazi-Kameradschaften, "national befreite Zonen", brutale Gewalt. Die jüngste Mordserie an türkischen und griechischen Mitbürgern ist längst nicht vollständig aufgeklärt. Soviel aber ist klar: Die Taten sind Verbrechen rechtsextremer Terroristen und nur ein kleiner Teil eines düsteren Kapitels deutscher Geschichte, das weiter beleuchtet werden muss.
Autorin: Cornelia Rabitz
Redaktion: Sabine Oelze