Terrorismus-Debatte
12. November 2011Einen Tag nach den neuesten Erkenntnissen über die sogenannte Döner-Mordserie macht in Deutschland das Wort des "Rechtsterrorismus" die Runde. In die Diskussion eingebracht hat es Ralf Jäger. In einem Interview für die Zeitungen der WAZ-Mediengruppe am Samstag (12.11.2011) spricht der nordrhein-westfälische SPD-Innenminister von einem "erschütternden Ausmaß" an bereits bekannten Hintergründen. Aus Rechtsextremisten seien Terroristen geworden.
Die Bundesanwaltschaft hatte am Freitag die Ermittlungen um den Polizistenmord von Heilbronn an sich gezogen. Zwei Männer und eine Frau werden verdächtigt, für die Morde an acht Türken und einem Griechen sowie einer Heilbronner Polizistin verantwortlich zu sein. Die beiden Männer sollen sich nach Erkenntnis der Ermittler vor einer Woche selbst erschossen haben, die Frau sitzt in Untersuchungshaft. Das Trio soll in den 1990er Jahren Verbindungen zum rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz" gehabt haben, verschwand 1998 aber aus dem Blick der Verfassungsschützer.
NRW-Innenminister Jäger will nun auch mögliche Verbindungen zu Anschlägen in Nordrhein-Westfalen überprüfen lassen. Dabei geht es um einen Nagelbombenanschlag in einer überwiegend von Türken bewohnten Straße in Köln im Jahr 2004 sowie einen Anschlag auf jüdische Aussiedler an einer S-Bahn-Haltestelle in Düsseldorf im Jahr 2000.
"Übergang zum Terrorismus"
Rechtsextremer Terrorismus in Deutschland? Im Interview mit DW-WORLD.DE sagt ein ehemaliger Verfassungsschützer, der namentlich nicht genannt werden will, die Bezeichnung Terrorismus sei falsch. Die Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt müsse im Vordergrund stehen, alles andere sei zum jetzigen Stand der Ermittlungen Panikmache der Politik. Denn: Rechtsextreme Gewalt gebe es, doch sei diese in der Regel weder geplant noch strategisch. Der Sicherheitsexperte glaubt, im Rechtsextremismus könne sich kaum eine terroristische Struktur entwickeln. Zu gut sei diese Szene von den Sicherheitsbehörden durchdrungen.
Wer diese Kreise verlassen will, kann dies mit Unterstützung von "Exit Deutschland" tun. Die Initiative hilft Rechtsextremen beim Ausstieg aus der Szene und dem gesellschaftlichen Wiedereinstieg. Gegründet wurde "Exit" vor mehr als zehn Jahren von Bernd Wagner. Ihn überraschen die jüngsten Entwicklungen nicht. Dass ein Zusammenhang zu den zwischen 2000 und 2006 bundesweit getöteten acht türkischen und einem griechischstämmigen Kleinunternehmern bestehe, sei "durchaus im Bereich des Möglichen", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger".
Er habe immer darauf aufmerksam gemacht, "dass sich aus der Szene heraus Gruppierungen entwickeln, die sehr militant sind". Wagner spricht von einem "Übergang zum Terrorismus", auf den es schon in den neunziger Jahren Hinweise gegeben habe. Und er kritisiert: Damals seien die Sicherheitsbehörden zu zaghaft vorgegangen.
Ein Verfassungschutz-Skandal?
Auch die Rolle dieser Behörden – Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst – wird gerade eifrig diskutiert. Eine Mutmaßung: Die Täter könnten vom Verfassungsschutz eine neue Identität erhalten und dann als Verbindungsleute in der rechten Szene geführt worden sein. Hinweise auf ein solches Szenario hat der Thüringer Verfassungsschutz nicht. Präsident Thomas Sippel räumt in einem "Focus"-Interview allerdings ein, dass bei einer Überprüfung im Jahr 2000 "letzte Zweifel nicht beseitigt" worden seien.
Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, will nicht ausschließen, dass dies der Anfang einer Verfassungsschutz-Affäre ist. "Ich habe das Gefühl, das wird noch sehr interessant", sagte der CSU-Politiker der "Mitteldeutschen Zeitung". Möglicherweise habe der Geheimdienst mehr über die Hintergründe der Taten gewusst, als bisher bekannt sei. Der Vizechef der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, geht noch weiter: Er sieht "einen handfesten Verfassungschutz-Skandal". Es sei geradezu empörend, dass eine Gruppe Rechtsextremer offenbar über Jahre immer neue Morde habe verüben können.
Autor: Michael Borgers (afp, dpa, dapd)
Redaktion: Ursula Kissel