"Odessa Classics" kommt nach Bonn
4. Juli 2022Odessa, die Perle am Schwarzen Meer, genießt den Status als eine der wichtigsten Kulturmetropolen der Ukraine. Berühmt sind das 1809 eröffnete Opernhaus der Stadt, gebaut von einem französischen Architekten, die Philharmonie und die Musikschulen, an denen Künstler von Weltrang wie Swjatoslaw Richter, David Oistrach oder Natan Milstein studiert haben. Kein Wunder, dass Odessa ein Magnet für die internationale Musiker-Community ist.
Auch in diesem Sommer wären zahlreiche Künstler aus der ganzen Welt nach Odessa gepilgert, unter anderem zum beliebten Sommerfestival "Odessa Classics". Aber am 24. Februar, dem Tag, an dem russische Truppen die Ukraine überfielen, veränderte sich die Welt. Auch für den Starviolinisten Daniel Hope.
"Hope for Peace"
"Seit vielen Jahren spiele ich bei dem wunderbaren Musikfestival 'Odessa Classics‘', einem Ort, der die Verbindung von Europa und Asien symbolisiert", sagt Hope. Sehr gern wäre er auch im diesem Jahr in der Stadt aufgetreten, in der auch sein Mentor, der berühmte Geigenlehrer Zakhar Bron, ausgebildet wurde.
Daher war es Daniel Hope eine Herzensangelegenheit, "Odessa Classics" in diesen schweren Zeiten zu unterstützen. Als Präsident des Beethoven-Hauses in Bonn hat er das Projekt "Hope for Peace" mitinitiiert - eine Reihe aus sieben Benefizkonzerten, die vom 5. Juli bis 23. August 2022 im Beethoven-Haus Bonn stattfinden. Mit von der Partie sind Künstlerinnen und Künstler, die bereits in Odessa aufgetreten sind oder es in diesem Sommer getan hätten: darunter international renommierte Musikerpersönlichkeiten wie der Opernsänger Thomas Hampson oder die Geiger Pinchas Zukerman und Michael Barenboim sowie namhafte, aber auch noch unbekannte junge ukrainische Künstler. Auch Daniel Hope selbst wird auf der Bühne stehen.
Konzipiert hat die Konzertreihe der Gründer und künstlerische Leiter des Festivals "Odessa Classics" - der ukrainische Starpianist Alexey Botvinov. "Wir haben 'Odessa Classics' als europäisches Festival für eine europäische Stadt etabliert, die unser Odessa war und bleibt. Das war unsere Antwort auf die Krim-Annexion 2014", erzählt Botvinov, der aus einer alten Odessa-Künstlerdynastie stammt, der DW.
Nun ist auch er mit seiner Familie auf der Flucht: "Wie viele ukrainische Musiker war ich aufgrund der schrecklichen russischen Aggression gegen mein Land gezwungen, meine Heimat zu verlassen. Ich versuche, als Künstler so viel wie möglich zu tun und jede Konzertmöglichkeit zu nutzen, um die Öffentlichkeit auf das Unrecht aufmerksam zu machen, das der Ukraine derzeit widerfährt. Ich glaube, dass die Konzertreihe in Bonn nicht nur ein großartiges Symbol der Solidarität mit der Ukraine ist, sondern auch ein hochspannendes und facettenreiches Kulturprojekt", so Botvinov. Vor der Ankunft in Bonn hat 'Odessa Classics' Zwischenstationen im estnischen Tallinn und im griechischen Thessaloniki gemacht. "Die Hilfsbereitschaft war enorm und sehr berührend", erzählt Alexey Botvinov.
Ukrainische Künstler zu Gast bei Beethoven
Der Direktor des Beethoven-Hauses und -Archivs, Malte Boecker, gehört - wie Hope - zu den Mitinitiatoren des Projekts: "Wir verstehen, welche strategische Rolle Odessa jetzt spielt", so Boecker zu der DW. "Aber auch welche symbolische Bedeutung es als Kulturstadt in der Ukraine hat."
Auch die Kultur habe unter diesem Krieg zu leiden, sagt Boecker. Als Kulturmanager könne man militärisch nichts bewirken, aber zumindest auf die Situation aufmerksam machen: "Wenn da ein ganzes Festival zum Verstummen gebracht wird, haben wir Verantwortung dafür, den Künstlern eine Perspektive aufzuzeigen."
Neben dem bereits Anfang März im Rahmen des Projektes "Hope for Peace" ins Leben gerufenem Nothilfeprogramm stellt das Beethoven-Haus Wohnraum und Stipendien für Ukrainer, die ihre Heimat verlassen mussten, zur Verfügung. "Damit wollen wir den geflüchteten Künstlern ermöglichen, in Bonn weiter künstlerisch oder wissenschaftlich zu arbeiten und Projekte zu verwirklichen, die kulturelle Brücken bauen", so Malte Boecker.
Zu den Stipendiaten gehört auch die aus Luhansk stammende und aus Kiew geflohene junge Theaterregisseurin Anastasia Verveiko. "Diese extrem schwierigen Zeiten formen die Identität der Ukraine", sagt die 25-Jährige. "Und wir sind stolz darauf, ein Teil des Widerstands zu sein, denn wir verteidigen auch das große europäische Haus, unsere gemeinsamen Werte. Die Möglichkeit, unsere Kultur weiter zu leben und zu entwickeln, auch hier, in Bonn, dank dem Beethovenhaus, ist ein Teil dieses Kampfes."
Auch der Pianist Alexey Botvinov hat im Beethovenhaus Quartier bezogen: "Wir hoffen so sehr, dass wir uns einmal wieder in dem schönen Odessa treffen können", so Botvinov gegenüber der DW. "Aber realistisch gesehen: So schnell wird es wohl leider nicht wieder möglich sein."