Obamas Überzeugungsoffensive
4. September 2013Mit Hochdruck wirbt die US-Regierung um Abgeordnete und Öffentlichkeit. Mitarbeiter sprechen von einer "Überflutungs-Strategie", die "New York Times" von einem "Blitzkrieg" der Lobbyisten des Weißen Hauses. Bis zum 9. September, dann endet die Sommerpause des US-Kongresses, muss die Mehrheit für einen Militärschlag stehen.
US-Außenminister John Kerry, einer der deutlichsten Befürworter eines Denkzettels für das Assad-Regime, zog am Sonntag (01.09.2013) gleich durch fünf Fernsehtalkshows. Gleichzeitig ließen Vizepräsident Joe Biden und Obamas Stabschef Dennis McDonough die Telefondrähte heiß laufen, um Dutzende Kongressmitglieder auf ihre Seite zu ziehen.
Kriegsmüdigkeit bei Rechten und Linken
Eine große Gruppe, von kriegsmüden Demokraten bis hin zu isolationistisch gesinnten ultrakonservativen Tea-Party-Republikanern, wehrt sich gegen einen zusätzlichen US-Militäreinsatz. Anderen Kritikern gehen Obamas Pläne nicht weit genug. Sie könnten "nicht guten Gewissens isolierte Militärschläge in Syrien unterstützen, die nicht das Momentum auf dem Schlachtfeld verändern", erklärten die Senatoren John McCain und Lindsey Graham. Es sei ein Plan für den Sturz des Assad-Regimes nötig. Obama hatte betont, dass ein Regimewechsel nicht das Ziel des Militärschlags sei.
"Am Ende wird sich der Kongress der Lage gewachsen zeigen", glaubt der republikanische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Abgeordnetenhaus, Mike Rogers. Doch nicht jeder teilt diese Zuversicht. Sein Parteifreund, Senator Rand Paul, sprach von einer Fünfzig-Fünfzig-Chance: "Der Senat wird absegnen, was Obama will, aber im Abgeordnetenhaus wird das Votum enger."
Außenminister Kerry betonte vorsichtshalber, dass Obama die Autorität habe zuzuschlagen, "ganz gleich, was der Kongress macht". Trotzdem wäre ein "Nein" des Kongresses eine Blamage für den Präsidenten: "Obama ist öffentlich sehr weit gegangen", erklärt der deutsche Historiker und Publizist Michael Stürmer. "Wenn danach nichts passiert, können die USA ihrer Weltmachtstellung gute Nacht sagen." Doch auch Stürmer sieht einen Angriff auf das Assad-Regime kritisch: "Es fehlt eine klare Lagebeschreibung, was mit einem Militärschlag erreicht werden soll."
Russland bleibt beim "Njet"
Während Obama in der Heimat um Zustimmung wirbt, macht Russland weiterhin gegen eine Intervention mobil. Was Briten, Franzosen und US-Amerikaner als Beweise für die Schuld des syrischen Machthabers Baschar al-Assad an den mutmaßlichen Giftgasangriffen vorgelegt hätten, "überzeugt uns absolut nicht", sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow. Auf den gezeigten Bildern gebe es "nichts Konkretes, keine Landkarten, keine Namen, dafür zahlreiche Ungereimtheiten". Kremlchef Putin hat angekündigt, eine Delegation zu Gesprächen nach Washington zu entsenden.
Wenn Obama trotzdem einen Angriff beschließe, könnten sich die Hoffnungen auf eine politische Lösung "für lange Zeit, vielleicht für immer hinausschieben", warnte Lawrow.
Russland blockiert gemeinsam mit China ein schärferes Vorgehen gegen das Assad-Regime. Im UN-Sicherheitsrat haben beide Staaten ein Vetorecht. Eine Änderung dieser Politik ist nicht in Sicht. US-Präsident Obama will deswegen auch ohne eine Zustimmung des UN-Sicherheitsrates zuschlagen.
Spärlicher Rückhalt im Westen
Doch auch bei den Verbündeten sind Obamas Pläne umstritten. Nachdem der britische Premierminister David Cameron im Unterhaus ein Votum über eine Beteiligung an einer US-Militäroperation verloren hatte, steht von den wichtigen westlichen Staaten vorerst nur Frankreich an Obamas Seite. In Paris ist am Mittwoch (04.09.2013) eine Sondersitzung der Nationalversammlung zum Syrien-Konflikt geplant.
Deutschland wird sich weder unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch unter ihrem Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) an einem Angriff auf Syrien beteiligen. Zentral sei ein völkerrechtliches Mandat - auch für einen eventuellen Schritt der USA.
Hoffnung auf Diplomatie
Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft, dass nach Obamas Verzicht auf einen schnellen Militärschlag noch eine gemeinsame Haltung der Weltgemeinschaft gefunden werden kann.
Eine Möglichkeit für eine Rückkehr zur Diplomatie wäre der G20-Gipfel im russischen Sankt Petersburg, der am kommenden Donnerstag (05.09.2013) beginnt. Dort treffen auch Barack Obama und der russische Präsident Vladimir Putin zusammen.
Auch Markus Kaim, Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, plädiert für eine politische Lösung des Konflikts: "Die Eckpunkte liegen ja auf dem Tisch. Es gibt die Bemühungen, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bekommen und die 'Genf 2'-Friedenskonferenz einzuberufen."
Moskau und Washington hatten sich bereits im Mai in Grundzügen auf die Organisation dieser Konferenz verständigt. Bisher wurde aber kein konkreter Termin gefunden. Das lag auch an der mangelnden Verständigungsbereitschaft der Konfliktparteien. Doch Kaim glaubt, dass der drohende Militärschlag und die damit verbundene Veränderung der militärischen Lage ein Umdenken bei den Konfliktparteien bewirken könnte.