Ende der Eiszeit zwischen Obama und Rousseff?
14. November 2014Seit mehr als einem Jahr wartet Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff auf eine Entschuldigung ihres US-amerikanischen Amtskollegen Barack Obama. Vergeblich. Damals war herausgekommen, dass der US-Auslandsgeheimdienst NSA Präsidentin Rousseff sowie diverse brasilianische Unternehmen und Bürger ausspioniert hatte.
Anders als Bundeskanzlerin Angela Merkel stand die brasilianische Präsidentin nie in dem Verdacht, ihre Empörung sei gespielt gewesen. Kurzerhand sagte sie den für September 2013 fest geplanten Staatsbesuch im Weißen Haus ab. Mehrfach haben Präsident Barack Obama, sein Vize Joe Biden und auch US-Außenminister John Kerry die Einladung seither erneuert. Doch Rousseff blieb stur, weil Obama sich bis heute nicht zu einer persönlichen Entschuldigung durchgerungen hat oder diese als nicht notwendig erachtet - denn das hätte er schon kurz darauf beim G20-Gipfel 2013 in Sankt Petersburg tun können.
Eine neue Gelegenheit, aufeinander zuzugehen, bietet nun der diesjährige G20-Gipfel in Australien: "Das Treffen könnte helfen, das Eis zu brechen und die schlechten Beziehungen wiederzubeleben", meint Leonardo Paz Neves, Politologe am Brasilianischen Zentrum für Internationale Beziehungen CEBRI.
Nicht Freund, nicht Feind
Traditionell gelten die Beziehungen zwischen beiden Ländern als gut, aber nicht intensiv. "Brasilien hat immer skeptisch auf die Vorherrschaft der USA geblickt", sagte der Politikforscher Matthew Taylor von der Washingtoner American University kürzlich der BBC. Die Problematik sei viel tiefer verwurzelt als irgendwelche persönlichen Animositäten.
Eine kurze Blütezeit erlebten die Beziehungen dennoch, als Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso (1994-2001) sich für die gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA, ein Vorschlag von George Bush Senior, stark machte. Sie endete rasch mit Cardosos Nachfolger Lula da Silva, weil der - wie andere lateinamerikanische Staatschefs - die Pläne als zu US-dominiert kritisierte. Brasiliens Klage vor der Welthandelsorganisation gegen US-Baumwollsubventionen tat ihr Übriges. Größere diplomatische Verwicklungen resultierten daraus jedoch nicht.
Von einem Freihandelsabkommen sind die beiden größten Volkswirtschaften Amerikas gleichwohl weit entfernt. "Dilma Rousseff hat sich in ihrer ersten Amtsperiode noch stärker auf die Süd-Süd-Kooperation konzentriert als ihr Vorgänger Da Silva", gibt Juan Carlos Hidalgo, Lateinamerikaanalyst vom Washingtoner Cato Institute zu bedenken. Und wenn es um Beziehungen zum Norden gehe, dann sei die Europäische Union (EU) derzeit wichtiger als die USA.
Insgesamt ist die EU nämlich der wichtigste Handelspartner Brasiliens: Mehr als ein Fünftel des Außenhandels wickelt Brasilien mit der EU ab. Dahinter folgen China und die USA mit je etwa einem Sechstel des gesamten Handelsvolumens.
Brasiliens Anteil am US-Handel beträgt deutlich unter drei Prozent. Auch für die USA hat der Ausbau der Beziehungen zur EU und zu China den klaren Vorrang vor Partnerschaften auf dem amerikanischen Kontinent.
Gegenseitiges Desinteresse
USA und Brasilien planen zwar ein Visa-Abkommen, um die gegenseitige Einreise zu erleichtern. Und auch sonst hatte Obama sich zuletzt wieder stärker für Lateinamerika interessiert.
Doch beide Staatsoberhäupter plagen derzeit wesentlich dringendere Fragen: Obamas Kräfte sind in Syrien und der Ukraine gefragt. Zuhause muss er sein politisches Erbe gegen einen republikanisch dominierten Kongress verteidigen. Und auch Dilma Rousseff ist nach ihrer Wiederwahl Ende Oktober in Brasilien stark eingebunden: Sie muss ein neues Kabinett zusammenzustellen, mit dem sie ihr Land aus der Wirtschaftsflaute führen kann.
Nun werden sich die beiden Staatsoberhäupter beim G20-Gipfel in Australien begegnen. Obama hatte Rousseff zu ihrer Wiederwahl gratuliert und den Wunsch ausgedrückt, sie in Brisbane zu treffen. "Es wird wohl einen höflichen Austausch geben, aber sicher keine substanziellen Fortschritte in den Beziehungen", vermutet Marcos Troyjo, Leiter des BRICLab an der New Yorker Columbia Universität.
Allzu große Hoffnung hegt auch Politologe Paz Neves nicht für eine rasche Annäherung: "Im Weißen Haus gibt es etwa zwei Staatsempfänge pro Jahr. So schnell wird Rousseff da keinen Termin mehr bekommen." Wenn sich aber etwas tun soll, meint er, müsse vor allem die brasilianische Präsidentin ein Zeichen setzen: "Der Ball liegt eindeutig bei Dilma Rousseff."