Nürnberger Oper auf Reichsparteitagsgelände?
10. Dezember 2021Das Gebäude ist in vielen Ländern der Welt bekannt, meist aus Dokumentationen über die Nazizeit: Die Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände im bayerischen Nürnberg, wo die NSDAP von 1933 bis 1938 ihre Reichsparteitage abhielt. Wo Hunderttausende Menschen einst Hitler zujubelten, soll vielleicht bald die Nürnberger Oper einziehen.
Die drei größten Parteien im Stadtrat, nämlich CSU, SPD und Grüne, einigten sich im Vorfeld einer Stadtratssitzung darauf, die Kongresshalle auf dem von Albert Speer entworfenen NS-Reichsparteitagsgelände als Ausweichquartier für die städtische Oper zu nutzen. Ihre Pläne dazu stellten sie am Freitag, den 10. Dezember 2021, auf einer Pressekonferenz vor.
Kritische Stimmen
Grund für den geplanten Umzug: Das Opernhaus im Stadtzentrum muss saniert werden, für mehrere Jahre wird daher ein Ausweichquartier gesucht. Probenräume, Werkstätten und Büros könnten in der Kongresshalle untergebracht werden, die Spielstätte in einem Leichtbau daneben - oder im Innenhof, genau dort, wo während des Dritten Reiches SA- und SS-Truppen aufmarschierten.
Der monströse Koloss, mit dem die Nationalsozialisten einmal im Jahr beim Parteitag ihre absolute Macht demonstrieren wollten, ist heute vor allen Dingen ein Symbol für das Scheitern der Nazis und ihres Größenwahns. Gerade deshalb sehen Fachleute das Vorhaben kritisch: "Was mir Kopfschmerzen bereitet, ist die Frage: Will man einen solchen Bau als schickes Kulturzentrum herrichten?", sagte der Leiter des NS-Dokumentationszentrum, Florian Dierl, der Deutschen Presseagentur. Das Museum ist im Nordflügel der Kongresshalle untergebracht. Gegen mehr Kultur in unmittelbarer Nachbarschaft hat Dierl eigentlich nichts. Diese dürfe aber nicht die Funktion des Erinnerungsortes verwässern, betont er.
Gegen eine Bebauung insbesondere des ikonischen Innenhofes wendet sich auch der Verein "Geschichte für alle". Pascal Metzger hat bereits 1000 Gruppen über das Gelände geführt und jedes Mal dasselbe erlebt: "Wenn die Leute hier reinkommen, wirkt die Architektur auf sie", sagte er der DPA. Wie seine Kolleginnen und Kollegen aus dem Verein befürchtet Metzger, dass ein Opernhaus im Innenhof die Fassade verstellen und dieses sinnliche Erlebnis mindern könnte. Von der Außenseite mag die Kongresshalle mit ihren riesigen Rundbögen und Granitplatten bedrückend und beeindruckend wirken. Doch vom Innenhof her sieht man eindeutig: Sie wurde nie fertiggestellt.
Stadtrat betont Vorteile
Für Pascal Metzger ist die Kongresshalle ein steinerner Zeitzeuge, der umso mehr an Bedeutung gewinne, je weniger Zeitzeugen des Dritten Reiches noch lebten. Auch der Historiker Alexander Drecoll, der im wissenschaftlichen Beirat des Erinnerungsortes sitzt, weist daraufhin, dass jeder Eingriff in ein Gebäude auch ein Eingriffe in eine historische Quelle ist. Deshalb hätte seiner Meinung nach die Stadtgesellschaft viel mehr in die Diskussion eingebunden werden müssen, statt in einem Hau-Ruck-Verfahren zu entscheiden.
Die CSU betont vor allen Dingen die Vorteile: Es gebe nicht nur einen Mangel an Alternativen, nach der Opernsanierung könne außerdem die freie Kunstszene die für mehrere Millionen Euro hergerichteten Räume beziehen. Die Grünen freuen sich, dass nicht noch eine weitere Grünfläche versiegelt werden muss, so berichtet die "Süddeutsche Zeitung" aus München.
Am 15. Dezember soll der Stadtrat über die Pläne abstimmen. Zusammen haben CSU, SPD und Grüne aber eine komfortable Mehrheit. Einig ist man sich aber trotz gegenteiliger Erklärung doch noch nicht ganz. Zwischen den Koalitionspartnern SPD und CSU besteht ein Streitpunkt: Die CSU kann sich laut Medienberichten ein Ausweichquartier im Innenhof vorstellen, die SPD nur eines neben der Kongresshalle. Wie auch immer die Sache ausgeht, eines ist gewiss: Ein Umzug von Oper und Tanz in Hitlers Innenhof dürfte weltweit Aufmerksamkeit erregen.