Höheres Krebsrisiko für Nukleararbeiter
18. August 2015Selbst niedrige Strahlendosen führen über einen längeren Zeitraum zu einem erhöhten Leukämierisiko. Für Mitarbeiter der Nuklearindustrie ist die Gefahr, an Leukämie zu erkranken, besonders hoch - etwa vier Mal so hoch wie bei anderen Arbeitnehmern.
Dies ist das Ergebnis der "International Nuclear Workers Study" (INWORKS), die von der internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) koordiniert wurde und im medizinischen Fachmagazin Lancet Haematology veröffentlicht wurde.
Die Forscher werteten die Strahlenexpositionen und Erkrankungen von 308.000 Mitarbeitern aus, die bei Atomunternehmen in Frankreich, Großbritannien und USA beschäftig waren und verfügten so über umfangreiche Datensätze aus den Jahren zwischen 1944 und 2005. Da alle diese Personen im Dienst mit Dosimetern - Messgeräten zur Messung der Strahlendosis - ausgestattet waren, lag den Forschern die persönlich erhaltene Strahlenbelastung jeder einzelnen Person vor. Zusätzlich der Daten von Erkrankungen und die Zahl der Todesfälle.
Zusätzliche Todesfälle durch Niedrigstrahlung
Demnach lag die durchschnittliche zusätzliche Strahlenbelastung der überwachten Nukleararbeiter bei 1,1 Millisievert pro Jahr. Die durchschnittliche natürliche Strahlenbelastung auf der Erde liegt im Durchschnitt bei etwa 2,4 Millisievert pro Jahr. Kurzum: Die Mehrbelastung ist eigentlich gering.
Nach Angaben der IARC zeigt die Studie, dass auch anhaltend niedrige Dosen von ionisierenden Strahlungen zu Leukämie führen können. "Bis heute liefert diese Studie die präzisesten Daten zur Bewertung des Leukämierisikos für Nukleararbeiter durch niedrige Strahlendosis", so Studienautor Ausrele Kesminiene. "Es zeigt, dass ein kleines erhöhtes Risiko besteht, dass die von uns untersuchten Nukleararbeiter an Leukämie sterben."
Risiko doppelt so hoch wie bisher angenommen
Strahlenexperten bewerten die Studie aus mehreren Gründen als hilfreich: Zum einen wurde mit der Studie nachgewiesen, dass auch mit niedriger Strahlendosis das Krebsrisiko steigt. "Es zeigt, dass eine niedrige Strahlendosis über Jahre die gleichen Folgen haben kann, wie eine einmalig hohe Strahlung", so Strahlenexperte Alfred Körberlein. "Man findet heute einen vergleichbaren Risikofaktor wie nach Hiroshima und Nagasaki. Es hängt also nur von der Gesamtdosis ab."
Zum anderen stellten die Wissenschaftler mit der umfangreichen Langzeitstudie jetzt fest, dass das Risiko durch Strahlung an Leukämie zu erkranken etwa doppelt so hoch ist, wie bisher angenommen. Es ließe sich aber aus der Studie auch kein Schwellenwert finden, unter dem eine Strahlendosis als unbedenklich angesehen werden kann.
Strahlung im Gesundheitswesen
Nach Einschätzung des IARC sind die Daten der Studie nicht nur für Angestellte der Nuklearindustrie von Bedeutung, sondern auch für den Gesundheitsbereich. In den letzten Jahren nimmt die Zahl der ionisierenden Strahlen durch mehr Röntgenuntersuchungen zu, vor allem auch durch die Computertomographie. Die Internationale Ärzteorganisation zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) setzt sich schon seit Jahrzehnten für eine geringere radioaktive Belastung ein, und fordert auch im Gesundheitsbereich mehr Aufklärung, Patienten sollten mit Broschüren besser informiert werden. So müsse zum Beispiel klar gesagt werden "macht bitte bei eurem Kind kein Röntgenbild, wenn es nicht unbedingt notwendig ist", so Kinderarzt Alexander Rosen von IPPNW.
Neubewertung von Grenzwerten?
Deutschlands oberste Strahlenschutzbehörde, das Bundesamt für Strahlenschutz (Bfs), begrüßt, dass durch die internationale Studie das zuvor bekannte Risiko von niedriger Strahlendosis jetzt präzise dokumentiert und bewertet worden ist. Nach Ansicht des Bfs ergibt sich allerdings daraus nicht automatisch eine Veränderung des Arbeitsschutzes für Mitarbeiter der Nuklearindustrie. "Wir erwarten nicht, dass sich die Empfehlung der internationalen Strahlenschutzkommission der internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) ändern wird", sagt Pressesprecherin Ina Stelljes vom Bfs.
In Europa beträgt die erlaubte Jahresdosis für Nukleararbeiter und medizinisches Personal 20 Millisievert. Während eines ganzen Berufslebens dürfen es nicht mehr als 400 Millisievert sein. Körberlein kritisiert daran vor allem, dass die Festlegung dieser Werte in "Hinterzimmern erfolgt". Er wünscht sich, dass es über Strahlenrisiken eine breite Debatte gibt.