NSU-Prozess ohne türkische Medien?
27. März 2013Einige türkische Journalisten trauten ihren Augen nicht, als sie die Liste sahen: Unter den Medien, die während des NSU-Prozesses einen garantierten Platz im Gerichtssaal haben, ist kein einziges türkisches. "Ich finde das überraschend und enttäuschend", sagt der Journalist Mustafa Görkem, der in Berlin für das "Deutsch Türkische Journal" arbeitet, im Gespräch mit der DW. "Es wäre gut für die Glaubwürdigkeit des Gerichts gewesen, hier Transparenz zu schaffen." Acht der zehn Mordopfer der rechtsextremistischen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) waren türkischstämmig, daher ist das Interesse an dem Prozess sowohl unter den Türken in Deutschland als auch in der Türkei sehr groß.
Nach streng formalen Vorgaben
Insgesamt sind nur 50 Journalisten im Saal zugelassen, wenn am 17. April vor dem Oberlandesgericht München das Strafverfahren gegen Beate Zschäpe und mutmaßliche Unterstützer des fremdenfeindlichen NSU beginnt. Einen sicheren Platz haben die meisten großen deutschen Tageszeitungen, Nachrichtenagenturen und Sender. Internationale Medien sind nur vereinzelt dabei, unter anderem gingen die BBC und die New York Times leer aus.
"In der Reihenfolge ihres Eingangs" seien die Akkreditierungsgesuche berücksichtigt worden, teilte die Pressestelle des Gerichts nüchtern mit. Und verwies darauf, dass insgesamt 123 Journalisten eine Akkreditierung erhalten hätten, aber nur 50 einen festen Platz im Saal. Wenn diese Plätze frei würden, könnten andere Medienvertreter nachrücken. Bürokratisch sei das, unsensibel und unverständlich, monierten Politiker und Journalistenverbände.
Aus erster Hand berichten
Für den Journalisten Mustafa Görkem geht es um weit mehr als die Berichterstattung über einen Strafprozess. Die rassistisch motivierte Mordserie der NSU-Terrorzelle sei einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik. "Viele Türken haben das Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden verloren. Sie fühlen sich benachteiligt und hintergangen", so Görkem.
Gerade vor diesem Hintergrund sei es wichtig, dass türkische Journalisten den Prozess selbst beobachten und aus ihrer Perspektive darüber berichten könnten. Auf diese Weise könne verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden. Wenn sie nicht im Saal seien, müssten die türkischen Medien mit Informationen aus zweiter Hand arbeiten. Das sei nicht förderlich für die Berichterstattung, argumentiert der Redakteur.
Großes Interesse, wenig Platz
Gemessen an der großen nationalen und internationalen Aufmerksamkeit für den Prozess seien 50 Plätze für Journalisten sehr wenig, kritisiert der Deutsche Journalistenverband DJV. "Wir halten es für ein Unding, dass tatsächlich nur 50 Medienvertreter zugelassen sind", sagt Eva Werner, stellvertretende Pressesprecherin des DJV, gegenüber der DW. "Das wirft kein gutes Licht auf die deutsche Justiz." Das Gericht sei nun gefordert, nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Denkbar sei die Übertragung der Verhandlung in einen weiteren Saal. Das lehnt das Gericht allerdings bisher ab.
Auch die vielfach geforderte Verlegung des Prozesses in einen größeren Saal gilt als unwahrscheinlich, da der vorgesehene Saal bereits umgebaut und auf 230 Plätze vergrößert wurde. Die sind gut zur Hälfte von den zahlreichen Nebenklägern und ihren Anwälten belegt, hinzu kommen Plätze für die "allgemeine Öffentlichkeit". Auch um diese gab es schon Zwist, weil das Gericht keinen Platz für den türkischen Botschafter und den Menschrechtsbeauftragten des türkischen Parlaments reservieren wollte. Das hatte der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), kritisiert. Es sei nicht zumutbar, wenn sich der türkische Botschafter in der Warteschlange anstellen müsse, möglicherweise zusammen mit Neonazis.
Widerstreitende Interessen von Justiz und Medien
Für das Gericht ist das nicht nur eine Frage des Platzes, sondern auch der Sicherheit. Schließlich geht es hier um den rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen "Nationalsozialistischen Untergrund", dessen mutmaßliches Mitglied Beate Zschäpe vor Gericht steht.
Ihre beiden Komplizen hatten sich 2011 das Leben genommen, als die Polizei ihnen dicht auf den Fersen war. Auf das Konto des Trios gehen zehn Morde, zahlreiche Bombenanschläge, Banküberfälle und besonders schwere Brandstiftung. Zschäpe, die bisher schweigt, ist wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Ihr soll die Mittäterschaft an den Verbrechen des NSU nachgewiesen werden. Nach Angaben des Gerichts hat die Sicherheit des Verfahrens Priorität.
Für die interessierten ausländischen Medienvertreter steht die Transparenz hingegen höher im Kurs. Für sie ist der Prozess ein Indiz dafür, wie der deutsche Staat mit der fremdenfeindlichen Mordserie umgeht und welche Schlüsse er daraus zieht. Nach den gravierenden Fehlern der Sicherheitsbehörden, die dem Terror-Trio jahrelang nicht auf die Spur kamen, sind die Erwartungen an eine glaubwürdige Aufklärung nun verständlicherweise besonders hoch.